Foto: Stefan Joham
Der österreichische Schriftsteller Bodo Hell wurde das letzte Mal am 9. August frühmorgens im Gebiet des Dachsteins gesehen. Seither fehlt von ihm jede Spur, die großangelegte Suche nach ihm wurde wiederholt abgebrochen. Hell arbeitete seit Jahrzehnten dort immer im Sommer als Senner und Hirte, es ging ihm nicht um den bescheidenen Lohn – die Arbeit im Gebirge, der Aufenthalt in der Natur, war für den 1943 in Salzburg geborenen Autor ein Lebenselixier. Nie vergaß er bei unseren Treffen auch in Wien Kostproben vom Berg mitzubringen. Überhaupt kann man sich keinen lebensfroheren und offeneren Schriftsteller vorstellen – eine Begegnung mit ihm war immer eine Freude.
Wir hoffen natürlich noch immer auf eine glückliche Wendung.
Anlässlich seines 80. Geburtstags erschien im wienlive 2023 folgendes Porträt:
Beim letzten Treffen zeigte mir Bodo Hell, wie er beim Melken in die Hocke gehen müsse – und das im Sommer täglich am Dachstein auf der 1.300 Hektar großen Alm mit weit mehr als 100 Kühen und einigen Ziegen. Auf die Frage, wie es ihm kurz vor seinem 80er gehe, antwortet er: „Die Frage ist nicht, wie es mir geht, sondern wie meine Beine gehen. Solange die gehen, gehe ich mit.“
Auch heuer will er daher wieder den Sommer auf der Grafenbergalm verbringen – sein 45. Einsatz im Dienste der Almwirtschaft. Hell: „Es ist mein Jungbrunnen, obwohl ich das Jahr zweimal erlebe, denn wenn ich im Juni raufkomme, ist dort noch Frühling.“
Dieses karge Leben – anfangs noch ohne Strom und auch heute noch nicht durchgehend mit Handyempfang – voller körperlicher Arbeit in der Natur und mit den Tieren, hat natürlich auch das Werk des in Salzburg geborenen und in Wien lebenden Autors beeinflusst. Hell studierte zunächst Orgel beim Salzburger Domorganisten Franz Sauer, sah dann aber, dass eine professionelle Musikkarriere mit seiner Leidenschaft für Literatur unvereinbar wäre. In Wien landete er an der Uni und in der damals noch erzkonservativen Filmakademie. Er machte auch einige Filme – etwa den kurzen Streifen „13A“. Der 13A war damals noch ein Doppeldeckerbus.
Hell: „Der 8-Minuten-Film, der auch in Saarbrücken gezeigt wurde, hatte schon den Zusammenhang mit Lesen und der Bedeutung von Wörtern, die ich im Stadtbild vorgefunden habe.“ Gerne bezeichnet er sich nämlich selbst als „Schriftenleser und Wortklauber“ – der Übergang von der fast schriftlosen Alm zum schriftüberfluteten Wien ist jedesmal eine Herausforderung. Aber Spuren und Zeichen findet Hell natürlich auch in der Natur. Carl von Linnés „Lappländische Reise“ von 1737, in der Übersetzung von H. C. Artmann, ist ihm da ein wichtiger Führer. Hell: „Heute findet man ja viel im Netz und in Buchhandlungen, aber früher war ich Tage in den Bibliotheken.“ Auch sein neuestes Buch „begabte Bäume“ ist alphabetisch geordnet – von Ahorn bis Zirbe.
Ausgehend von den Pflanzen entspannen sich da auch viele Geschichten – in der letzten wird etwa der traurige Fall eines Kindesmissbrauchs durch einen Mönch berichtet.
Neben hunderten Büchern – meistens erscheinen 2 pro Jahr! – verwirklichte Bodo Hell auch Opern- und Theaterprojekte. Markus Kupferblum realisierte etwa die Dschungeloper „Anfechtungen! San Ignacio“. Basierend auf einer originalen bolivianischen Barockoper schrieb Hell einen neuen Text um einen Tiroler Pater, der den Indios zeitgenössische Musik vermitteln wollte.
Obwohl Hell vielgereist ist, findet er auch auf seiner Alm immer wieder Plätze, wo er noch nie hingekommen ist. Meist auf der Suche nach einem ausgebüchsten Vieh. In der Hütte trifft man ihn daher nur selten an, denn er ist meistens unterwegs. Beobachten kann er dort oben auch die Auswirkungen der drohenden Klimakatastrophe. Der Gletscher ist etwa schon fast weg, die früher begehrten Loipen für’s Sommer-Höhentraining werden immer kürzer. Und die Stützen für den Lift werden mit Schnee bedeckt, damit sie nicht den Halt verlieren.
Ab und zu kreuzen verirrte Touristen seinen Weg, die in die falsche Richtung unterwegs sind. Dafür wird sein Grätzel in Wien in der Josefstadt immer mehr zum Dorf. Hell: „Es werden mehr Bäume gepflanzt – mit den Stadtbäumen müsste ich mich auch einmal beschäftigen.“ Sein Lieblingsbuchhändler Reinhold Posch war ursprünglich Botaniker und macht im Winter für Interessierte Knospenspaziergänge durch Wien, weiß der Autor schon eine Wissensquelle.
bodohell.at
Foto: Stefan Joham