Abbas Khiders Roman über einen Jungen in den Slums von Bagdad, der im Gefängnis landet, ist aufwühlend, erschreckend und trotzdem oft unterhaltsam. Text: Helmut Schneider / Foto: Peter-Andreas Hassiepen
Es gibt nicht mehr viele Historiker, die den Irak-Krieg von George W. Bush nicht als schweren außenpolitischen Fehler betrachten – hat er doch die Region nachhaltig destabilisiert. Aber wie lebte man im Irak unter Saddam Hussein? Einer, der es wissen muss, hat jetzt einen Roman veröffentlicht, der die Regentschaft des Diktators aus der Sicht eines Heranwachsenden beschreibt. Abbas Khider saß zwei Jahre lang in einem der berüchtigten Gefängnisse Husseins, weil er mit 19 Flugblätter gegen das Regime verteilt hatte. Nach seiner Freilassung gelang es ihm, nach Deutschland zu flüchten. Er erhielt Asyl, studierte in München und Potsdam Literatur und Philosophie und fing an, in der Sprache, die er hier lernte, zu schreiben. Denn als er in Deutschland landete, kannte er nur drei deutsche Wörter: „Hitler, Scheiße, Lufthansa“.
Dieser Sozialisation ist es geschuldet, dass sein Stil ganz anders ist, als man von deutschen Autoren gewohnt ist. Seine Bücher lesen sich extrem flüssig und spannend, es mangelt ihnen aber keineswegs an Poesie und Schönheit. Und das schafft Abbas Khider sogar, wenn es wie in seinem neuen Roman „Palast der Miserablen“ um ein alles andere als erfreuliches Thema geht. Gleich zu Beginn leidet der Ich-Erzähler, der Student Shams, in einem Gefängnis und rechnet sich die kaum vorhandenen Chancen aus, dort wieder lebend herauszukommen. Die Gefängnisszenen durchziehen das ganze Buch, aber die Geschichte selbst ist die Kindheit und Jugend von Shams. Seine Familie – er hat noch eine Schwester – wohnt im Süden des Irak, doch nach dem blutigen Krieg mit dem Iran beschließt der Vater, aus dem umkämpften Gebiet in die Hauptstadt Bagdad zu ziehen. Da sie kein Geld haben, landen sie dort, wo die Ärmsten der Armen leben – im Blechviertel gleich neben der Müllkippe, wo sich die Besitzlosen aus dem Abfall selbst kleine Hütten bauen. Da es so viele sind, ist der vom Krieg geschwächte Staat zu schwach, um sie zu vertreiben. Im Gegenteil, Husseins Regime verdient noch etwas an den Armen. Denn ohne Schmiergeld geht nichts im Irak. Von Kindheit an verkauft Shams – allein oder mit seinem Vater – Kleinigkeiten wie Plastiksackerln oder Wasser und muss diese geringen Einkünfte auch noch gegen große Konkurrenz verteidigen.
Bitter arm, aber lebensfroh Was den Leser aber noch mehr erstaunt, ist, dass Shams’ Familie zwar oft nicht weiß, wie sie am nächsten Tag Essen beschaffen soll, alle aber trotzdem immer guter Dinge sind. Man freut sich über Kleinigkeiten und gibt die Hoffnung nicht auf. Das größte Glück für Shams ist seine Schwester Qamer, mit der er bis zur Pubertät in einem Bett schläft und mit der er alle seine Erlebnisse, Freuden und Sorgen teilt. Zwar ist Shams kein guter Schüler, aber ausgerechnet über das Lesen von erotischer Literatur – im Müll findet er ein Buch von Alberto Moravia – entdeckt er die Welt der Literatur. Sein Lieblingsort in Bagdad wird der Buchmarkt, wo er schließlich später sogar selbst Buchhändler wird. Allerdings muss er die Schule schaffen und auf die Universität. Wer durchfällt, wird sofort zur Armee eingezogen, was zwei Jahre schwerste Schikanen bedeutet. Wer sich zu drücken versucht, riskiert zumindest ein paar Fingerglieder – oft aber sein Leben.
Leben in der Diktatur Der „Palast der Miserablen“ ist auch ein Buch, das zeigt, wie Diktaturen funktionieren. Denn zu deren Kennzeichen gehört es auch, dass massenweise Unschuldige leiden. Shams wird verhaftet, weil er als areligiöser Mensch in seiner finanziellen Not auch illegale schiitische Schriften verkauft. Und an der Wahrheit ist natürlich niemand interessiert.
Das Lesefestival „Rund um die Burg“ ging heuer coronabedingt am 8. Mai online über die Bühne. Und das mit sensationellem Erfolg: Insgesamt waren mehr als 7.000 Besucher dabei, also weitaus mehr als im Zelt neben dem Burgtheater Platz gehabt hätten. Text: Helmut Schneider / Fotos: Rund um die Burg
Insgesamt lasen 48 Autorinnen und Autoren zur Feier der Literatur – mehr als doppelt so viele wie in vergangenen Jahren – bis nach Mitternacht aus ihren Werken. Darunter waren heimische Größen wie Hugo Portisch, Erika Pluhar und Michael Köhlmeier ebenso dabei wie internationale Topstars wie T. C. Boyle, Rafik Schami oder Hilary Mantel.
T. C. Boyle las in seinem Heimatort Santa Barbara in Kalifornien.
Ebenso zu erleben waren Einblicke in jene Texte, die Autoren wie Stefan Slupetzy, Eva Rossmann, Andreas Pittler oder Tex Rubinowitz für die Gratisbuchaktion „Eine Stadt. Ein Buch.“ im November schreiben. Zwei Beiträge waren – obwohl lange vor der Corona-Krise geschrieben – besonders aktuell. T. C. Boyle las in seinem Heimatort Santa Barbara in Kalifornien eine Geschichte über einen Menschen, der aufgrund seiner ansteckenden Krankheit gezwungen wird, eine Maske zu tragen. Als er das nicht tun will, wird er von den Behörden wie ein Verbrecher gejagt. Und Stefan Slupetzky überraschte mit einer Story über ein ansteckendes Virus, das Befallene zu Zombies macht. Als der Erzähler entdeckt, dass die Zombies vor Betrunkenen zurückschrecken, ist sozusagen ein Gegenmittel gefunden. Wer das einzigartige Festival verpasst hat, braucht sich nicht zu grämen: Alle Lesungen sind jederzeit abrufbar auf rundumdieburg.at.
Tex Rubinowitz las aus „Ich höre Farben“.
Unser besonderer Dank gilt folgenden Unterstützern & Partnern, die „Rund um die Burg“ auch in schwierigen Zeiten möglich gemacht haben: Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport; Stadt Wien Kultur; Capito Wien; Morawa; ORF Wien; Wiener Städtische Versicherung
Die Philosophin Lisz hirn untersucht in ihrem neuen Buch „Wer braucht Superhelden“ die Problematik von Superhelden. Ein Gespräch auch über Trump und Frauenmorde. Text: Helmut Schneider / Fotos: Harald Eisenberger
Lisz Hirn, die Philosophin, die unter anderem bei Konrad Paul Liessmann studiert hat, denkt vornehmlich über die Auswirkungen des Patriarchats auf Frauen und Männer nach und versäumt es auch niemals, beide Geschlechter in die Pflicht zu nehmen, wenn es um Fragen gleicher Chancen geht. Nach ihrer Abrechnung mit den Folgen der konservativen Wende auf bereits als gesichert geltende Frauenrechte („Geht’s noch!“, Molden Verlag, 2019) schaut sie sich in ihrem neuen Buch „Wer braucht Superhelden“ die seltsame Welt der Superhelden an, die nicht müde werden, die Welt retten zu wollen. Superman, Batman, Spiderman & Co erweisen sich dabei als merkwürdig asexuelle Zwitterhelden, die in ihrer Hypermaskulinität Probleme fast ausschließlich mit purer Kraft zu lösen versuchen. Hirn zieht dabei einen Bogen von Machos wie Donald Trump, der bekanntlich nie einen Fehler macht, bis zu den Frauenmorden, die in Österreich derzeit traurige Rekorde aufstellen. Gewalt scheint immer noch das letzte Mittel des männlichen Selbstbewusstseins zu sein.
wienlive: Wie kamen Sie auf die Idee, gerade jetzt über Superhelden zu schreiben? LISZ HIRN: Ich schaue prinzipiell gerne auf Bilder, die unser Handeln motivieren und unsere Vorstellungen dominieren, und da kommt man eigentlich ganz schnell zu Heldenmythen, Heldenfiguren und jetzt vor allem bei den jungen Männern und jungen Frauen zu den Superhelden. Die sind einfach allgegenwärtig, ob jetzt auf einem T-Shirt, auf einem Häferl oder im Internet. Für mich lag es daher nahe, einmal zu untersuchen, wie dieser Superheldenmythos entstanden ist. Interessant ist dabei vor allem, welche Bilder von Moral, Männlichkeit und Weiblichkeit damit transportiert werden. Welche Sehnsucht erwecken die bei uns?
Aber wenn man sich jetzt den neuen „Joker“ anschaut – das sind ja schon gebrochene, irre Typen und nicht mehr so simple Geschichten wie in der Anfangszeit der Superhelden … HIRN: Beim „Joker“ lässt sich aber auch ganz klar erkennen, warum er das Gegenteil von Batman ist. Die Superhelden zeichnen sich ja nicht durch Intelligenz, sondern durch körperliche, aber auch moralische Überlegenheit aus. Sie sind aber in Wirklichkeit eben auch – und das ist meine Kritik im Buch – die perfekten Untertanen. Sie helfen niemals, das System wirklich zu verbessern, zu verändern oder gerechter zu machen, sondern sie machen simple Symptombekämpfung. Und das Spannende, was man auch beim Joker-Film sieht, ist, dass der Joker sich zwar anpassen will – ja er will sogar auch Held sein –, aber er schafft es nicht. Dann erst stellt er sich diesem sehr ungerechten System entgegen, er betreibt Sabotage und hinterfragt die Ordnung. Das – finde ich – ist ein starker Spiegel für unseren Zeitgeist. Also die Helden, die Superhelden, die die Ordnung um jeden Preis erhalten wollen, und diese hyperintelligenten Superschurken, die das System in Frage stellen, uns quasi an unsere Grenzen führen und damit unsere Probleme offenlegen.
Populisten wie Trump, Salvini oder Johnson arbeiten ja auch gerne mit dem Superheldenimage. Sie schaffen bekanntlich alles. Wie kommt es dazu? HIRN: Das Schöne daran ist, dass sich diese Superhelden auch super instrumentalisieren lassen, also auch für diese starken Männer, die diese Dominanz, diese Stärke, diese Härte, dieses Durchgreifen propagieren, ist das letzte Mittel immer auch die Gewalt. Ich meine, es ist kein Zufall, dass sich Donald Trump mit Superman vergleichen lässt, auch in seiner Werbepropaganda. Wobei man sagen muss, der Superman war ja schon als US-Propaganda-Figur im Zweiten Weltkrieg erdacht. Es ist ja kein Zufall, dass der diese Farben trägt, dass er genau so gebrandet ist. Superman hat schon immer für einen bestimmten amerikanischen Lebensstil gestritten und gekämpft. Interessant ist aber die Wandlung in der Comicgeschichte, als Superman plötzlich von einem nationalen Helden zum Helden der freien westlichen Welt und später zu einem globalen Held wird, der die ganze Menschheit rettet. Und da gibt’s einen großen Unterschied zu diesen klassischen Helden, die im nationalen Kontext funktionieren, die für eine Gruppe kämpfen, und ja, die auch ein gewisses Risiko sind für ihre Gruppe, weil sie eben auch Schwächen haben – weil sie beispielsweise Gefühle haben, weil Sexualität und Gewalt eine Rolle spielen. Das ist bei den Superhelden quasi ausgeschaltet. Superheldenfilme kommen fast ohne Blut und ohne Sex aus. Wir haben es da mit einer sehr cleanen Variante von Gewaltausübung zu tun und mit einem sehr entschärften Sexualtrieb.
Die Helden in der Literatur waren immer viel komplexer – etwa ein Parzifal, der mehrmals scheitert, bis er den Gral rettet – oder Odysseus, der alles tut, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Gab es vor den Comics überhaupt Superhelden? HIRN: Für mich gibt’s da eine Zwischenkategorie, nämlich die Actionhelden, die sind nämlich nochmal anders. Die haben ja schon den Ansatz zum Superhelden, das Körperliche ist wichtig, auch das Martialische ist dabei. Auch sie sind eher die Einzelkämpfer, sei es jetzt Rambo oder der Terminator und so weiter. Wer mir als klassischer Held auch immer einfällt, ist Achill. Achill ist so dieser Typus des nationalen, regionalen Hau-Draufs, ohne den der Krieg nicht gewonnen werden kann. Aber er schmeißt auf der anderen Seite auch gleich das Handtuch, wenn er seine Sklavin nicht bekommt. Er legt sich sogar mit dem König an und sagt: „Ja, ist mir egal. Dann sterben halt alle und wir verlieren den Krieg, mir geht es jetzt ums Prinzip.“ Das wäre bei einem Superhelden undenkbar – der würde niemals so weit gehen und das System zum Wanken bringen. Nein, ganz im Gegenteil. Und da kommen schon andere Moralkategorien und Vorstellungen zum Ausdruck. Und was ich auch wichtig finde, wenn dann schließlich diese Superheldenteams gebildet werden, dann stoßen plötzlich auch Frauen dazu, einfach, um neue Marktanteile zu erschließen.
Wenn Frauen dazukommen, wird’s natürlich immer komplizierter. Das war auch schon bei Siegfried so, der ja als Folge eines Frauen-Tratschs stirbt … HIRN: In diesen Epen konnten Frauen natürlich noch nicht diese Heldinnenrollen einnehmen. Und wenn, dann zu einem hohen Preis. Das sieht man bei den Amazonen oder bei Jeanne D’Arc – aber auch eine moderne Superheldin muss sexuell enthaltsam sein, sobald sie sich auf die Liebe mit einem Mann einlässt, ist es für sie und ihre Superkraft eigentlich vorbei.
Wir erleben gerade eine extrem hohe Frauenmordrate. Das ist ja auch ein Zeichen. Männer werden meistens dann aggressiv, wenn sie verlassen werden. Warum? HIRN: Aus der Sicht dieser Täter kann es eben nicht sein, dass man sie verlässt. Sie empfinden dieses Verlassen fast schon als eine Übertretung eines Rechts, das man als Mann natürlich hat. Pauschal gesprochen: Frauen morden, um aus einer Beziehung rauszukommen und niemals, um jemanden in einer Beziehung zu halten, Männer morden, wenn sie verlassen werden. Das ist eine Beobachtung, die durchaus Angst macht, weil sie sich auch in vielen Bildern findet. Deshalb auch mein Verweis auf Heinrich Manns Roman „Der Untertan“. Weil mir wichtig war zu zeigen, dass diese Superhelden nicht einfach nur so ein Einfall waren, der einfach so entstanden ist, sondern dass da auch starke philosophische Probleme dahinterliegen. Superman ist nicht einfach nur eine Marke, sondern das Erbe eines Bilds der Männlichkeit, das aus dem 19. Jahrhundert weitergegeben wurde. Neue Fantasien von Männlichkeit zu entwerfen ist eine große Herausforderung. Helden sind immer Sehnsuchtsbilder und zeigen, was in einer Gesellschaft gerade Thema ist.
Wenn ich Sie richtig verstehe – als Mann bin ich zwar auch Untertan, aber ich habe zumindest noch jemanden, der unter mir ist, nämlich meine Frau? HIRN: Genau. Ich habe jemanden, zu dem ich aufschauen kann und der meine Rolle stärkt. Und ich hab auch jemanden, der unter mir steht.
Lisz Hirn: „Wer braucht Superhelden.“ Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten. Molden Verlag, €22
https://wienlive.at/wp-content/uploads/2021/03/Bildschirmfoto-2020-04-15-um-14.31.27-1-300x138.png00wienlive Redaktionhttps://wienlive.at/wp-content/uploads/2021/03/Bildschirmfoto-2020-04-15-um-14.31.27-1-300x138.pngwienlive Redaktion2020-04-22 15:59:072020-05-20 14:18:27Ein Gespräch über Superman und Frauenmorde