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Albern Bergs Oper „Lulu“ bei den Wiener Festwochen – ein Ballett als Oper.

Albern Bergs Oper „Lulu“ bei den Wiener Festwochen – ein Ballett als Oper

Bild: ©Monika Rittershaus

Noch bevor die Musik einsetzt, tänzeln junge Menschen in schwarzen Hosen, blauen Schuhen und weißen Hemden mit Handtüchern um den Hals und blauen Wasserbechern auf die Bühne, die man sich als Sozialraum eines hochpreisigen Fitnessstudios denken kann. Eine Münze wird geworfen und Dirigent und Orchester legen los. Dass die aus Kap Verde stammende Marlene Monteiro Freitas vor dieser, ihrer ersten Opernregie, als Choreografin arbeitete, ist unübersehbar. Denn die stummen Tänzer bleiben während des gesamten Abends auf der Bühne, hinter der erhöht das Orchester untergebracht ist. Sie verbiegen sich akrobatisch, gehen auf nur für sie sichtbaren Bahnen, setzen sich auf Holzsesseln oder machen Auflockerungsübungen. Sie scheinen das bei „Lulu“ ja nicht ganz undramatische Geschehen zu kommentieren. Allerdings tun sie das sehr cool und emotionslos. Da nützt auch die bisweilen aufgemalte Clownschminke wenig.

Seltsam unsinnlich agieren auch die Sängerinnen und Sänger – auch wenn ihre Stimmen meist höchst delikat klingen. Etwa die wunderbare deutsche Sopranistin Vera-Lotte Boecker in der Titelrolle, Edgaras Montvidas als Alwa, Anne-Sofie von Otter als Gräfin Geschwitz oder Cameron Becker als suizidaler Maler. Bloß Bo Skovhus als Dr. Schön und Kurt Rydl als Schigolch ließen sich vom Regiekonzept nicht gänzlich zähmen – sie überraschen fast mit ihrem Temperament.

In dieser Gemeinschaftsarbeit der Wiener Festwochen mit dem Musiktheater an der Wien

musiziert das ORF-Radiosymphonieorchester Wien unter Dirigent Maxime Pascal fehlerlos in der nicht idealen Akustik des Raums.

Am Ende führt ein nicht erkennbarer Mann eine groteske, puppenhafte kleine (auf den Knieen rutschende) Frau als Braut vor – eine Vorstellung wie ein Statement gegen die multiblen Vereinnahmungen des Frauenkörpers. Lulu war und ist für Männer eben immer nur ein Spiegel.

Noch bis 6. Juni in der Halle E im MuseumsQuartier zu sehen.

Infos: festwochen.at

Spannendes britisches Theater bei den Wiener Festwochen – nur noch heute zu sehen: „Drive your Plow Over the Bones of the Dead“

Bild: ©Marc Brenner

Auf Deutsch hieß der Roman der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk etwas sinnbefreit „Der Gesang der Fledermäuse“. Er war ein großer Erfolg, ist er doch eine Art Öko-Thriller mit einer sehr einprägsamen, eigenwilligen Rächerin. Bei den Wiener Festwochen gastiert noch bis heute, Freitag, die Gruppe Complicité mit „Drive your Plow Over the Bones of the Dead“ wie der ins Englische übersetzte Titel des Romans in Anklang an William Blake tatsächlich heißt. Ein fast dreistündiger Abend, der zum Triumpf für die Ausnahmeschauspielerin Kathryn Hunter wird. Die kleine, ältere Dame trägt – leger gekleidet, wie man sich eben in einer Mini-Siedlung am Rande Polens und fast schon im Wald gibt – als Erzählerin das komplette Geschehen. Sie berichtet ziemlich unaufgeregt von mehreren Morden an ihren Nachbarn, die allesamt ihre Feinde waren, da sie sich an den Tieren der Gegend versündigt hatten. Die ehemalige Brückenbauerin, Tierliebhaberin, Englischlehrerin und Astrologin Janina, chronisch krank, glaubt gar, dass die Tiere sich nun gegen die Menschen verschworen haben und brutal zurückschlagen. Ihre acht Mitspielerinnen und -spieler sind nur Stichwortgeber oder bilden ab und zu eine Art Tierballett. Regisseur Simon McBurney verwendet gezielt Videomaterial, Licht und Musik, um ihre üackende Erzählung zu illustrieren. „Drive your Plow Over the Bones of the Dead“ wird so zu einem unvergesslichen Theaterereignis und zum Beweis, dass es bei entsprechendem Konzept und fähigen Spielerinnen und Spielern gelingen kann, spannender als Netflix und Co eine Geschichte zu erzählen.

Infos: festwochen.at

Eisbären – Dramolette im Schauspielhaus. Am besten wäre es gar nicht mehr aufzustehen, nicht aus dem Haus zu gehen oder – Gott behüte! – andere Menschen zu treffen…

Eisbären – Dramolette im Schauspielhaus

Bild: ©Matthias Heschl

Am besten wäre es gar nicht mehr aufzustehen, nicht aus dem Haus zu gehen oder – Gott behüte! – andere Menschen zu treffen. Eigentlich ist es zu Hause doch eh ganz nett – und das Alleinsein vielleicht sogar die einzige Art von Freiheit, die einem heute noch bleibt… Im Wiener Schauspielhaus wurden jetzt vier „Dramolette zum Alleinsein“ uraufgeführt, die das Theaterkollektiv FUX in Auftrag gegeben hat. Eines der Stücke heißt „Oblomows Plan“ – nach dem berühmten russischen Verweigerer jeglicher Produktivität.

Wir sehen eine Bühne mit einem Podest und einem Minifoyer, einem Schaukelpferd und einem Passbuldautomaten – rechts mündet sie in eine Höhle und oben erinnert sie an einen Supermarkt. Zwischen den Geschoßen kann man mit einem Lift wechseln, der an und ab auch von einem Eisbären benutzt wird. Mit wechselnden Plakaten wird zum Einkauf für sich allein bei Billo geworben, eine Schnapswerbung verspricht glückliche Stunden und ein „Big Nothing Burger“ soll einfach gut schmecken. Mit „Don`t do it“ wird eine Sportschuhmarke parodiert. Immer wieder gibt es auch elektronische Musik zu hören und Menschen stellen sich an der Kassa an. Supermärkte und Einkaufszentren sind ja die Wärmestuben der Einsamen.

Die von Falk Rößler inszenierten Stücke kreisen um das Thema Isolation, wobei der Rückzug ins absolut Private durchaus – ironisch – als etwas Positives dargestellt wird. Wenn alle auf sich schauen, geht es doch allen gut, oder?

Der zweieinhalbstündige Abend ist trotzdem sehr vergnüglich und oft sogar witzig. Ein Performer, der nichts zu performen hat, eine Frau denkt über den armen Pluto nach, der grausam aus der Familie der Planeten ausgestoßen wurde. Viel zu schauen und vieles, das nachwirkt.

Aufführungen bis 19. Mai – Infos & Karten: schauspielhaus.at

Myczieslaw Weinbergs Vertonung von Dostojewskis „Der Idiot“

Bild : ©Monika Ritterhaus

Das Theater an der Wien zeigt am Museumsquartier Myczieslaw Weinbergs Vertonung von Dostojewskis „Der Idiot“.

Ein Zugabteil groß wie die Welt, könnte man in Anspielung auf Johannes Mario Simmels Jugendbuchbestseller die Inszenierung von Weinbergs Oper „Der Idiot“ durch den exilrussischen Starregisseur Vasily Barkhatov nennen. Denn der sich drehende Eisenbahnwaggon in der Mitte der Bühne ist das Zentrum dieses Abends im Museumsquartier. Am Beginn fährt Fürst Myschkin vom Sanatorium in der Schweiz nach St. Petersburg und erfährt vom Mitreisenden reichen Kaufmannssohn Rogoschin von der schönen Nastassja, der alle Männer verfallen sind – am Ende liegt dort die von Rogoschin ermordete Nastassja und Myschkin scheint wieder in Apathie zu verfallen.

„Der Idiot“ ist die sechste und letzte Oper des polnisch-jüdisch-sowjetischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg, 1987 komponiert und damals höchst unmodern. Weinberg, 1919 in Warschau geboren, und wie sein Förderer Schostakowitsch sowjetischen Repressalien ausgesetzt, hat eine eigene, tonale Opernsprache entwickelt, die im Westen erst nach seinem Tod auf Verständnis stieß. Sein Kollege Thomas Sanderling, Dirigent Weinbergprophet der ersten Stunde, hatte sich längst vehement dafür eingesetzt, dass das Stück dem Vergessen entrissen und in voller Länge uraufgeführt werde. Erst 2013 wurde „Der Idiot“ in München uraufgeführt. Auch dafür schien ihm jetzt das Wiener Publikum zu danken, denn Sanderling wurde nach der österreichischen Erstaufführung heftig bejubelt. Er dirigierte das wieder famos spielende ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Auch an den Sängerinnen und Sängern gibt es nichts zu bemäkeln.

In dreieinhalb Stunden erleben wir die Geschichte des Gutmenschen Myschkin in einer vergnügungssüchtigen, dekadenten, von Geld regierten Welt, in der die Lebedame Nastassja (Ekaterina Sannikova) im Kontrast zur bürgerlich guten Aglaja (Ieva Prudnikovaitė) gewinnt, um dann alles zu verlieren. Auch Dmitri Golovin als Fürst Myschkin kann seinen Tenor bravourös einsetzen.

Zugegeben, es ist nicht immer einfach, der Geschichte des „Parzival“ Myschkin zu folgen, zumal manche Züge der St-Petersburger-Szene irrational scheinen, doch die Widersprüchlichkeiten der russischen Gesellschaft von damals sind den unseren wohl nicht ganz unähnlich. Weinbergs Musik ist zudem sehr reizvoll und bietet immer wieder Neues zu entdecken. Dem Theater an der Wien ist etwas Besonderes gelungen.

„Der Idiot“ wird noch heute am 5. Mai und am Sonntag, 7. Mai, gezeigt.


Infos & Karten: theater-wien.at

Nach der Vertreibung der Nazis 1945, kurz vor dem Ausbruch des Balkankriegs 1990 und 2011, als Kroatien mit der EU über eine Mitgliedschaft verhandelt: wir sind jeweils mittendrin in einer kroatischen Familie in einem herrschaftlichen Haus, das ihnen die Kommunisten zugeteilt haben.

„Drei Winter“ – Schicksalsjahre in Kroatien im Burgtheater

Bild: ©Matthias Horn

Nach der Vertreibung der Nazis 1945, kurz vor dem Ausbruch des Balkankriegs 1990 und 2011, als Kroatien mit der EU über eine Mitgliedschaft verhandelt: wir sind jeweils mittendrin in einer kroatischen Familie in einem herrschaftlichen Haus, das ihnen die Kommunisten zugeteilt haben.

Die in England lebende kroatische Dramatikerin Tena Štivičić lässt in ihrem Stück „Drei Winter“ die Schicksalsjahre ihrer Heimat von einer Familie durcherleben. Es beginnt mit der Partisanin Ruža (Nina Siewert), die als Lohn für ihren Einsatz von den jetzt herrschenden Kommunisten eine Wohnung in einem Haus, in dem einst ihre Mutter als Dienstmädchen von den Besitzern rausgeschmissen worden war, einzieht und endet mit der Hochzeit der Enkelin Lucija (Andrea Wenzl), deren Zukünftiger das Haus im längst herrschenden Raubtierkapitalismus für sie erworben hat. Ihre Schwester Alisa lebt längst in London und kämpft schwer mit ihrem Erbe. Erst im Ausland ist sie sich ihrer kroatischen Herkunft bewusst geworden.

Die Autorin blickt auf die Ereignisse, die auch ihre eigene Familiengeschichte widerspiegeln, stets mit einer gehörigen Portion Ironie. Es soll immer besser werden, aber besser wird es letztendlich nur für die Mächtigen und die Besitzenden. Für die Zuseher ist es nicht immer einfach, sich in der Familiengeschichte zurechtzufinden, der Stoff, der fast 80 Jahre umfasst, wirkt episch, ja romanhaft. Aber zweifelsohne ist es gerade in Wien notwendig, sich endlich mit der wechselvollen Geschichte unserer südlichen Nachbarn zu beschäftigen. „Drei Winter“ von Tena Štivičić ist dafür eine gute Gelegenheit.

Martin Kušejs Inszenierung von „Drei Winter“ will mit Zwang aktuell sein – so mischt er Videos vom Ukraine-Kriegs mit historischen Kriegsfilmen und zeigt sie vor den jeweiligen Theaterszenen. Überhaupt stellt sich bei ihm Geschichte als eine Abfolge von Kriegen dar. Wobei manche Kriege eben sich in Verteilungskriege verwandelten. Das arbeitende Volk ist dabei immer auf der Verliererseite, die Familie kann nur durch eine Heirat mit einem undurchsichtigen Geschäftsmann ihren bescheidenen Wohlstand absichern.

Das Schauspiel-Team (u.a. Regina Fritsch, Tilman Tuppy oder Zeynep Buyraç) macht seine Sache gut, es gibt mehrere dramatische Höhepunkte. Ein fordernder, aber sicher lohnender Abend.

Alle Infos: burgtheater.at

Ein Mehrparteienhaus in einer Stadt, eine alte Frau stirbt in ihrer Wohnung und wird lange nicht aufgefunden – die Nachbarn bleiben betroffen zurück und stellen sich Fragen. Wäre es nicht die Pflicht des Hausmeisters gewesen, in der Wohnung einmal nachzuschauen? Das ist der Ausgangspunkt für eine Art Theatermeditation zum Thema alt und einsam.

Choreografie der Einsamkeit – „Schnee“ von Claudia Tondl im Theater Nestroyhof Hamakom

Foto: ©Marcel Köhler

Ein Mehrparteienhaus in einer Stadt, eine alte Frau stirbt in ihrer Wohnung und wird lange nicht aufgefunden – die Nachbarn bleiben betroffen zurück und stellen sich Fragen. Wäre es nicht die Pflicht des Hausmeisters gewesen, in der Wohnung einmal nachzuschauen? Das ist der Ausgangspunkt für eine Art Theatermeditation zum Thema alt und einsam. Es beginnt aber mit Musik. Lukas Lauermann, Komponist und Cellist, der schon mit Soap&Skin, Wanda, Mira Lu Kovacs, André Heller, Der Nino aus Wien, Tocotronic oder gearbeitet hat, legt einen elektronischen Soundteppich aus, den er mit dem Cello akzentuiert. Er sitzt in einer Art Kubus, der während der Aufführung mehrfach um den eigenen Kreis gedreht wird.

Die Regisseurin, Schauspielerin und Sängerin Ingrid Lang hat Claudia Tondls Text „Schnee“ zu einer Choreografie mit Text geformt. Alle Szenen werden mehrfach gespielt, die Darsteller wechseln ständig ihre Rollen und Positionen auf der Bühne. Die drei sprechenden Schauspieler – Isabella Knöll, Christoph Radakovits und Katharina von Harsdorf – spielen abwechselnd die beiden in der Paarbeziehung, Rahel Ohm ist als Geist der alten verstorbenen Frau fast immer präsent und ebenfalls in Bewegung. Während sie in Grautönen bekleidet ist, sind die anderen auffallend bunt (Bühne und Kostüme: Patrick Loibl), auch das reduzierte Bühnenbild ist grau-weiß.

Alltagssorgen machten es anscheinend unmöglich, sich um die Nachbarin zu sorgen, dazu kommt eine offenbar demente eigene Mutter, eine Partnerin oder ein Partner, der fremd geht oder zu lange arbeitet. Trotz der vielen textlichen Wiederholungen bleibt der Eindruck eines dichten nur knapp einstündigen Abends, der die Gäste nachdenklich zurücklässt.


Infos: hamakom.at

Hätte Ferdinand Raimund nur „Die gefesselte Phantasie“ hinterlassen, sein Name wäre heute wohl nur noch in der Theaterwissenschaft bekannt.

Herbert Fritsch peppt Raimunds „Die gefesselte Phantasie“ am Burgtheater auf

Bild: ©Matthias Horn

Hätte Ferdinand Raimund nur „Die gefesselte Phantasie“ hinterlassen, sein Name wäre heute wohl nur noch in der Theaterwissenschaft bekannt. Ein matter Einfall  – die bösen Magierinnen sperren die Phantasie ein, um ihren Kandidaten für die Herrschaft über eine paradiesische Insel durchzubringen – und viele umständliche Wendungen machen dieses Zauberspiel zu einem wenig ansprechenden Bühnenwerk.

Im Burgtheater spielt man es nun nur, weil der ehemalige Volksbühnen-Schauspieler und für seine grellen Inszenierungen bekannte Herbert Fritsch sich dieses Werks annimmt. Und Fritsch liefert zuverlässig: Raimunds Personal steckt in bunten Hippie-Outlooks, Lederhosen-Parodien und lässigen Gammlerklamotten und hastet gekonnt und ungezwungen von einem Gag zum anderen. Hermione, Königin des Inselidylls und gespielt von der großartigen Maria Happel, verspricht sich ständig und presst aus ihren Fehlern neue Poesie. Ausgerechnet die Phantasie selbst ist als grauer Bürohengst gezeichnet, um umso eindrucksvoller zu beweisen, dass ohne sie nichts in der Dichtkunst geht. Tim Werths kann in dieser Rolle aber glänzen.

Erstaunlich auch, dass Fritsch mehr als zwei Stunden (ohne Pause) das optische und sprachliche Feuerwerk durchhalten kann. Das Publikum wird niemals müde, die Einfälle zu bewundern – selbst wenn diese aus Wiederholungen besonders schräger Erzählungen bestehen. Bleibt am Ende ja doch noch was zum Nachdenken: Wenn pure (Zauber-) Macht alles Kreative knechtet, kann dabei nichts Gutes herauskommen. Das sollten sich die Diktatoren dieser Welt hinter die Ohren schreiben.


Infos und Karten: burgtheater.at

Ödön von Horváths auf dem Oktoberfest in München spielendes Volksstück „Kasimir und Karoline“ gehört zu den meistgespielten Repertoirestücken des deutschen Theaters.

Horváths „Kasimir und Karoline“ in einer sehr speziellen Fassung im Burgtheater

Bild: ©Matthias Horn

Ödön von Horváths auf dem Oktoberfest in München spielendes Volksstück „Kasimir und Karoline“ gehört zu den meistgespielten Repertoirestücken des deutschen Theaters. Vielleicht weil es um ein Liebespaar geht, das freilich angesichts der trüben wirtschaftlichen Lage – Kasimir ist gerade arbeitslos geworden – vor dem Ende der Beziehung steht. Horváth scheint dabei den berühmten Spruch von Karl Marx – „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ – geradezu verifizieren zu wollen.

Die serbische Regisseurin Mateja Koležnik bricht das Stück nun im Burgtheater auf eine 80-minütige Tour de Force herunter. Gespielt wird dabei auf zwei Ebenen (Bühne: Raimund Orfeo Voigt): Oben – orange gehalten und mit halbtransparenten Paneelen zum Teil verdeckt – eine Tankstelle mit Garage, in der auch gefeiert und Musik gemacht wird, unten – grünlich schmutzig – der Waschraum einer Toilette, wo sich die Mädchen umziehen aber wo auch körperliche Gewalt stattfindet. Das Geschehen läuft dabei geradezu atemlos ab, alle Figuren sind fast immer in Bewegung, es wird gestritten und gelacht, intrigiert und geprügelt. Die Sanitäter sind dabei im Dauereinsatz. Dass man dabei nicht immer jedes Wort versteht, scheint gewollt und ist der schnellen Dramatik und den abschirmenden Stellwänden geschuldet.

Vom Schauspielteam wird viel abverlangt. Felix Rech und Marie-Luise Stockinger sind das titelgebende Paar, gespiegelt durch das zweite Paar, dem brutalen Merkl Franz (Christoph Luser) und seine naiv-ergebene Erna (Mavie Hörbiger). Jonas Hackmann spielt den Zuschneider Schürzinger, der angesichts des Streits von Kasimir mit Karoline seine Chancen berechnet. Markus Hering und Markus Meyer geben nur die Karikaturen geiler, reicher, alter Männer ab.

Diese Burgtheaterfassung ist zweifelsohne ein radikal neuer Ansatz diesen Klassiker zu realisieren – um Werktreue schert sich Mateja Koležnik wenig. Wer sich darauf einlässt, erlebt ein packendes, heutiges Theater, das seine Stärken im Kampf um Zuseher, die längst eine TV-Serien-Ästhetik gewohnt sind, geschickt ausspielt.


Infos & Karten: burgtheater.at

Johannes Kalitzkes Kapitän Nemos Bibliothek, basierend auf dem gleichnamigen Roman des schwedischen Schriftstellers Per Olov Enquist, erlebte erst jüngst seine Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen.

Johannes und der Ich-Erzähler – Johannes Kalitzkes Kapitän Nemos Bibliothek

Johannes Kalitzkes Kapitän Nemos Bibliothek, basierend auf dem gleichnamigen Roman des schwedischen Schriftstellers Per Olov Enquist, erlebte erst jüngst seine Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen.

Johannes und der Ich-Erzähler, die gesellschaftlich nicht unterschiedlicher sein könnten, wachsen in einem nordschwedischen Dorf miteinander auf. Während Johannes aus einer „Außenseiterfamilie“ stammt, kommt der Ich-Erzähler aus „gutem Hause“. Als die beiden sechs Jahre alt sind, ergibt eine Untersuchung, dass sie bei der Geburt vertauscht wurden und das Gericht entscheidet, dass sie „zurückgetauscht“ werden müssen. Ihrer familiären Identität beraubt, müssen sie nun bei der jeweils anderen Mutter, in einer anderen gesellschaftlichen Konstellation als zuvor, leben.

In dieser unerträglichen Lebenssituation voll Unglück und Wahnsinn findet der Ich-Erzähler Zuflucht in seiner eigenen Welt. Er taucht in seiner Fantasie zur Bibliothek in Kapitän Nemos Unterseeboot Nautilus.

Wir präsentieren Ihnen dieses brandneue Stück nun in einer Inszenierung des Regisseurs Simon Meusburger; die junge Bühnenbildnerin Hana Ramujkic gibt ihr Debüt als Ausstatterin an der Neuen Oper Wien.


11., 13., 15. & 16. April 2023
19:30 Uhr
Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste Wien (Semperdepot), Lehargasse 8, 1060 Wien

Yasmina Reza ist eine der wenigen Autorinnen, die Stücke schreiben, die für Theaterhits gut sind. „Kunst“, „Drei Mal Leben“ oder „Der Gott des Gemetzels“ sind längst Dauerbrenner auf den Bühnen.

Yasmin Rezas „Serge“ Akademietheater

Bild: ©Matthias Horn

Yasmina Reza ist eine der wenigen Autorinnen, die Stücke schreiben, die für Theaterhits gut sind. „Kunst“, „Drei Mal Leben“ oder „Der Gott des Gemetzels“ – letzteres wurde sogar von Roman Polanski erfolgreich verfilmt – sind längst Dauerbrenner auf den Bühnen. Im Akademietheater spielt man jetzt allerdings ihren im Vorjahr erschienenen Roman „Serge“ in einer von Lily Sykes und Andreas Karlaganis hergestellten Bühnenfassung. Und so darf man sich auch nicht wundern, wenn der von Michael Maertens gespielte Jude Jean gleich zu Beginn spricht, obwohl er allein auf der Bühne ist.

Er ist der Erzähler der Geschichte über sich und seinem Bruder Serge (Roland Koch) und seiner Schwester Nana (Alexandra Henkel). Serges Tochter Joséphine (Lilith Häßle) will nach dem Tod ihrer Großmutter nach Auschwitz fahren, denn alle sind ja Nachkommen von Überlebenden der Shoah. Der nicht unproblematische Trip gerät natürlich zur Familienaufstellung. Im Fokus steht – wie im Titel ja schon angedeutet – Serge, dem gerade seine Frau – längst müde von seinen Seitensprüngen – abhandengekommen ist. Er ist der dominantere der beiden Brüder, Jean ist die Duldernatur – er ist emotional nur an den halbwüchsigen Sohn seiner Freundin gebunden. Auch er hat natürlich eine gescheiterte Ehe hinter sich.

In den knapp zweistündigen Abend gibt es viel Emotion zu erleben, eingebettet in jüdischem Humor reiben sich die Figuren aneinander oder schwelgen in Kindheitserinnerungen. Das ergibt in der Regie von Lily Sykes und vor allem durch die Kunst der eingesetzten Schauspielerinnen und Schauspieler – Martin Schwab gibt einen sterbenden Onkel – einen interessanten, kurzweiligen Theaterabend. Wirklich viel haften bleibt aber nicht. Yasmina Reza hat für diesen Stoff sicher nicht zufällig die Romanform gewählt, denn in einem Buch lassen sich einfach besser Stimmungen und Befindlichkeiten unterbringen.

Info: burgtheater.at