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 Der Komponist will ein Denkmal – Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ in der Volksoper

Bild: ©Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Statt der Götterwelt tritt in der Volksoper zuerst der Komponist – Jacques Offenbach himself – auf und fordert endlich sein Denkmal in Wien, denn schließlich habe er das Musiktheater gerettet. Dabei glaubt er, in der Staatsoper zu sein, wo sein Meisterwerk schließlich hingehört. Das britische Regieteam Toby Park & Aitor Basauri – bekannt als  Spymonkey – haben Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ eine Rahmenhandlung verpasst und machen mit ihrem Auftritt auch gleich klar, dass man keinen denkmalgepflegten Abend erleben wird. Denn saftige, oft sogar schenkelklopferisch anmutende Komik ist der rote Faden, der sich durch die Aufführung in der Volksoper zieht.

In zweidimensionalen Kulissen (Bühnenbild: Julian Crouch) erlebt man gefühlt alle drei Minuten einen Gag. Da kommt etwa die „Öffentliche Meinung“ (Ruth Brauer-Kvam) auf 8 Füßen daher – sie muss ihre Kommentare aus luftiger Höhe singen. Da tanzen Schafe und englische Polizisten ein lustiges Ballett (Choreografie: Gail Skrela) – und da legt der Höllenhund Zerberus einen riesigen Haufen. Fad wird bei dieser Aufführung sogar Kindern nicht. Die etwas abstruse Handlung der Operette, die bei anderen Inszenierungen wie ein Klotz am Bein sein kann, wirkt in diesem Umfeld stimmig absurd.

Und Alexander Joel am Pult heizt mit dem Volksopernorchester mächtig ein. Auch sängerisch gibt es nichts zu bekritteln: Daniel Kluge als behäbiger Orpheus, Timothy Fallon als verschlagener Pluto und Marco Di Sapia als pantoffelheldenhafter Jupiter begeistern das Publikum.  Auch Hedwig Ritter kann als Eurydike überzeugen.

Ein Abend für alle, denen Operetten sonst zu langweilig und verstaubt sind.


Info: volksoper.at

Von Jakutsk zum Matterhorn – „Grelle Tage“ von Selma Matter im Schauspielhaus

Die junge Schweizer Autorin Selma Matter wurde für ihr gemeinsam mit  Marie Lucienne Verse geschriebenes Stück „Alice verschwindet“, das zuletzt in Linz Premiere hatte, mit dem Thomas-Bernhard-Stipendium 2022 ausgezeichnet, im Schauspielhaus gewann sie das Hans-Gratzer-Stipendium. Bei der Uraufführung ihres Stücks „Grelle Tage“ hängt nun der Klimawandel als Damoklesschwert über dem Geschehen. Eine Archäologin und ihr Assistent wollen im schmelzenden Eis bei Jakutsk Mammuts vor Elfenbeinjägern – „Mammutdealern“ – schützen und stecken bald im Schlamm fest. Da wird ein Tausende Jahre alter Wolfshund aufgetaut und beginnt zu leben. Der „zerfledderte Hund“ irrt durchs Gelände, während ein weiß gekleideter Mensch die Katastrophe durch die Klimaerwärmung prophezeit. Regisseurin Charlotte Lorenz lässt den apokalyptischen Text in einem weißen, von Vorhängen umkränzten Raum spielen, in dem es nur ein kleines Podest, eine Kühltruhe, eine Eisgetränke- und eine Zuckerwattemaschine stehen. Simon BauerVera von GuntenClara LiepschSebastian SchindeggerTil Schindler und Nico Werner-Lobo spielen unterschiedliche Rollen. Bemerkenswert ist vor allem wie der Bub Werner-Lobo schauspielerisch mit dem Ensemble problemlos mithalten kann – zuerst in der Rolle des Hundes, dann als Prophet. Er ist der Star des Abends.

Die Darsteller machen zwischendurch Ausflüge in die Kunstwelt – Michelangelos Erschaffung Adams oder Munchs Der Schrei werden nachgestellt – oder sorgen sich um das zerbröselnde Matterhorn. So wirklich dringend scheint das an dem Abend aber nicht zu sein. Zwar rinnt am Ende ein roter Saft – Blut? – die Vorhänge runter, die aktuelle Dramatik der Klimazerstörung erleben wir momentan aber eher in den Tagesnachrichten.


Infos: schauspielhaus.at

Peter Handkes „Zwiegespräch“ im Akademietheater

Bild: ©Susanne Hassler-Smith

Der heuer im März erschienene schmale Text „Zwiegespräch“ von Peter Handke lässt sich locker in einer dreiviertel Stunde lesen und besteht vor allem aus Erinnerungen an seinen Großvater. Die Regisseurin Riecke Süßkow hat für das Akademietheater ein Stück daraus gemacht – mit mehreren Alten und einigen Pflegerinnen – gespielt wird nämlich in einem Altersheim, in dem es fast wie in einer Fabrik streng getaktet zugeht. Die Alten werden von einem Pflegerinnenballett gefüttert, man bringt ihnen die Kleidung und dann müssen sie ein Spiel spielen, das als „Die Reise nach Jerusalem“ bekannt ist. Alle gehen im Kreis und wenn die Musik – etwa der Schlager La Paloma – unerwartet endet, ist ein Sessel zu wenig. Der Übriggebliebene muss bis auf die Kleidung alles abgeben und wird in eine Kammer gesteckt. Für ihn ist es wohl vorbei. Dazu kontrastiert der nachdenklich-erinnernde Text von Peter Handke, in dem es auch einmal ums Spielen – ein trauriges Kartenspiel, denn Großvaters Kumpane sterben nach und nach – geht.

Erstaunlicherweise funktioniert Süßkows Regieeinfall über weite Strecken recht gut – man hat immer etwas zum Schauen, Handkes Sprache funkelt an den unerwartetsten Stellen und die Regisseurin weiß auch noch nach mehr als einer Stunde szenische Akzente zu setzen. Mit Martin Schwab und ihm assistierend Hans Dieter Knebel und Branko Samarovski stehen ihr auch Schauspieler zur Verfügung, die den Handke-Zauber anmischen können. Wobei auch die Pflegerinnen Maresi Riegner und Elisa Plüss Texte sprechen dürfen. Dazu eine skurril gespenstische Bühne (Mirjam Stängl) mit Alibigrünpflanzen und innenbeleuchteten Schränken vor einer ausfahrbaren Holzwand, die meist in Sepiatönen beleuchtet wird. Am Ende – nachdem auch der letzte Großvater, eben Martin Schwab, abtreten musste – gibt es ein bizarres Fest mit Luftballons, wo sich alle wieder einfinden. Sind wir im Himmel oder in der Hölle? Egal, der Abend war recht anregend.

Infos: burgtheater.at


Peter Handke: Zwiegespräch
Bibliothek Suhrkamp
68 Seiten
€ 18,50

Johan Simons bringt Dostojewskis Roman „Die Dämonen“ ans Burgtheater

Die Stärke der vorrevolutionären russischen Literatur besteht darin, dass sie uns ein gnadenlos vielschichtiges Bild einer erstarrten Klassengesellschaft präsentiert. Die Mittellosen leben im Elend, die Reichen langweilen sich und die wenigen, die eine Veränderung wollen agieren brutal und kompromisslos. Sozialer Aufstieg findet nicht statt, denn durch Arbeit lässt sich nicht einmal der bescheidenste Wohlstand schaffen – die Besitzenden geben ihren Reichtum an Ihresgleichen weiter. Das ist auch für uns heute wieder spannend und relevant, weil wir uns offensichtlich unaufhaltsam wieder zu einer derartigen Gesellschaft hinbewegen.

Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821–1881) kannte seine Zeitgenossen allzu gut, bekanntlich landete er ja auch für Jahre im Straflager. In seinem fast 1000 Seiten starken Roman „Die Dämonen“ (zuletzt von Swetlana Geier in „Böse Geister“ übersetzt) lässt er von einem Erzähler zig Figuren auftreten, die die Brüchigkeit der russischen Gesellschaft offenlegen. Wie sich jetzt im Burgtheater wieder herausstellt, ist eine Adaption für die Bühne nur schwer machbar. Die Theaterfassung von Sebastian Huber (auf der Basis von Swetlana Geiers Übersetzung) bringt 11 Personen, die sich auf einem Gutshof in der Nähe von St. Petersburg versammeln, um ausgiebig zu schwadronieren. Man wartet auf den verlorenen Sohn Nikolaj Stawrogin (Nicholas Ofczarek), der einige Jahre mit Reisen durch Europa verbrachte. So nebenbei berichtet er zurückgekehrt, dass er in der Hauptstadt eine arme Minderjährige vergewaltigte, die sich danach das Leben nahm. Ein allzu schmerzhafter Hinweis darauf, wie wenig ein Menschenleben damals zählte. Quasi aus Sühne heiratete er die mittellose, hinkende Marja Lebjadkina (Sarah Viktoria Frick) – was den Heiratsplänen seiner Mutter natürlich im Wege steht. Die furchtlose, Reitgerbe-schwingende, reiche Lisa Tuschina (Birgit Minichmayr) wäre für ihn vorgesehen. In gut 4 Stunden (mit Pause) erleben wir viele Monologe und kaum Dialoge. Die mit Sessel– und Tischgruppen bestückte Bühne mit goldenem Hintergrund (Bühne: Nadja Sofie Eller) bildet dazu den Resonanzraum. Die merkwürdigen, weiten, bunten Hosen (Kostümbild von Greta Goiris) kontrastiert dazu. Am Ende zeigt sich Pjotr Werchowenski (Jan Bülow) im gelben Nazimantel als mordender Bote der grausamen Zukunft. Das exquisite und bemühte Ensemble kann freilich niemals vergessen lassen, dass uns hier Prosa für Drama verkauft wird.


Infos: burgtheater.at

Thomas Bernhards „Ritter, Dene, Voss“ in der Josefstadt

Dass Thomas Bernhard seine Wunschbesetzung 1986 zum Titel seines Stücks machte war zwar ein gelungener Marketinggag – die Peymann-Inszenierung mit Gert Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter war jahrelang am Burgtheater erfolgreich – doch nicht eben eine Ermunterung, das Drama mit anderen Schauspielern aufzuführen. Dabei ist „Ritter, Dene, Voss“ ein typischer Bernhard mit wenig Handlung und viel sprachlicher Bosheit. Es geht um drei Geschwister – der Bruder Ludwig, der sich für einen bedeutenden Philosophen hält, wurde gerade von seiner ältere Schwester aus Steinhof in die Villa in Döbling zurückgeholt. Jetzt bereitet sie mit viel Aufwand ein Abendessen vor, was die jüngere Schwester spöttisch kommentiert. Beide sind Schauspielerinnen im Theater in der Josefstadt, wo sie sich ihre Rollen aussuchen können, da ihnen der verstorbene Vater und Industrielle eine 51 Prozent Mehrheit sichern konnte. Das erzeugt natürlich Gelächter bei der Premiere in der Josefstadt, wo Peter Wittenberg eine Neuinterpretation  von „Ritter, Dene, Voss“ wagt.

Gespielt wird sozusagen im Museum – am Ende bittet eine Ansage über Lautsprecher alle Besucher das Haus zu verlassen. An den Wänden hängen große Gemälde von Gert Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter, die an diesem Abend allerdings für die Eltern der Geschwister stehen. Wittenberg setzt sonst allerdings keineswegs auf schnelle Gags – seine Inszenierung lässt sich Zeit, gerade im ersten Teil schaffen Sandra Cervik als ältere und Maria Köstinger als jüngere Schwester sozusagen einen meditativen Rahmen, in dem sich ihre unterschiedlichen Charaktere aneinander reiben können. Das mag für manche langweilig wirken, genauen Beobachtern wird der in ihnen steckende Irrsinn allerdings nicht verborgen bleiben. In Ludwig hat Bernhard viel aus der Biografie Ludwig Wittgensteins verpackt, wenngleich er seine Figur naturgemäß scheitern lässt. Bernhards Ludwig schreibt und schreibt und kann nichts veröffentlichen, während Wittgenstein bekanntlich schon in jungen Jahren mit seinem „Tractatus“ berühmt wurde.

Johannes Krisch spielt den Ludwig maximal unbeherrscht – bei der durch Voss berühmt gewordenen Branndteigkrapfenszene übergibt er sich fast. Ansonsten ist aber auch er durch den Regisseur zur Genauigkeit angehalten. Dabei geht viel Geschirr zu Bruch und die Gemälde werden oft umgehängt. Man glaubt ihm schließlich, dass er in Steinhof glücklicher wäre. Und die Schwestern? Sie sind zwar nicht geisteskrank, aber in ihren Routinen nicht weniger gefangen als Ludwig. Ein nachdenklicher Abend in der Josefstadt.


Infos: josefstadt.org

Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ im Akademietheater

Dunkel und kalt ist es in Barbara Freys Fassung von Arthur Schnitzlers wohl bekanntestem Stück. Und das ist nur konsequent, denn an diesem Abend geht es knapp zweieinhalb Stunden um das, was sich Menschen im Namen der Liebe antun können. Schnitzler – bekanntlich ein ausgebildeter Mediziner – seziert in „Das weite Land“ die Ehe von Friedrich und Genia Hofreiter und nebenbei und spiegelverkehrt auch die von Natter und seiner von einem zum anderen flatternden Ehefrau Adele. Der Bankier (Branko Samarovski) spricht aus, warum er trotzdem bei seiner Frau bleibt – weil er sie liebt. Und Liebe ist es auch, die Genia an ihrem notorisch untreuen Friedrich bindet. Am Ende des dichten Abends fällt der Vorhand zum Bühnenhintergrund und gibt den Blick auf eine riesige Maschine, die an den in Wien gerade wieder aktiven „Maulwurf“ – eine U-Bahn-Baufräse – erinnert, frei. „Die Seele ist ein weites Land“ heißt der zum Kalauer verkommene Spruch aus dem Stück. Ja, und sie ist augenscheinlich auch für die im Untergrund schlummernden Grausamkeiten verantwortlich.  

Was Wiener Theaterbesucher (die Produktion ist eine Zusammenarbeit mit der Ruhrtriennale) natürlich besonders verwundert ist die Weigerung der Regisseurin, über die doch auch präzise Sprache Schnitzlers einen Konversationston zu legen. Am Anfang wirkt es gerade so als ob die Darsteller gar nicht miteinander sprechen – und sie schauen sich auch fast nie in die Augen. So wird das Brutale des Geschehens bis hin zum völlig widersinnigen tödlichen Duell am Schluss noch deutlicher. Dieser Friedrich Hofreiter – wunderbar verhalten gespielt von Michael Maertens – ist ja auch ein geradezu monströser Egoist und Manipulator. Seine Frau – sehr nuanciert und konzentriert gespielt von Katharina Lorenz – bewundert man für ihre Gefasstheit. Sie ist die eigentliche Hauptperson dieser Aufführung, denn dieser Hofreiter ist doch eigentlich nur ein grandioser Schwätzer. Itay Tiran gibt seinen etwas steifen Freund Dr. Maurer, Bibiana Beglau die Schauspielerin und Freundin Genias. Ein Abend, an dem man einiges an menschlichen Abgründen zugemutet bekommt, doch das Wiener Publikum versteht das und applaudiert verdientermaßen lange.

Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ im Akademietheater. Eine Theaterbesprechung von Helmut Schneider.

Arthur Schnitzler, Das weite Land
burgtheater.at

Bild: ©Pohlmann

Zeitenwenden – „Ingolstadt“ im Burgtheater & „Ein Kind unserer Zeit“ in der Josefstadt

Die Josefstadt und das Burgtheater eröffnen ihre Saisonen mit Stoffen aus der Zwischenkriegszeit, die den folgenden nahen Umbruch schon vorausahnten. Ödön von Horváths Roman „Ein Kind unserer Zeit“ erschien erst postum. Der 1938 tragisch verunglückte Autor schildert darin die Wandlung eines Soldaten zum Denkenden. Stephanie Mohr hat den Text für die Bühne bearbeitet und lässt den Soldaten von vier Frauen – Therese Affolter, Katharina Klar, Susa Meyer und Martina Stilp – spielen. Das bringt zumindest Abwechslung, zumal ihre Stimmen sehr verschieden sind.

Dass die chauvinistischen Männersprüche dadurch gebrochen würden, lässt sich aber nicht feststellen. Wir erleben einen jungen Menschen ohne Talente, der zum Heer geht, weil er dort zumindest eine tägliche Mahlzeit erhält. Außerdem lernt er Ordnung und braucht nicht viel zu denken. Seinen hart als Kellner arbeitenden Vater verachtet er nur. Interessant ist, dass Horváth den Krieg als Überfall auf ein kleineres Land beschreibt. Man nennt es Säuberung und schreckt auch nicht vor Massakern an Kindern und Frauen zurück. Ausgerechnet der von allen bewunderte Hauptmann kann da nicht mehr mit – er rennt in eine Maschinengewehrsalve.

Desillusioniert und verwundet kehrt der Soldat zurück und versucht seine ehemals Angehimmelte zu finden. Am Schluss stellt er fest, dass er nicht in die Zeit passt.
Gerade dadurch ist er allerdings ein Kind seiner Zeit. Die Produktion funktioniert recht flüssig, bleibt allerding Dramatik schuldig. Es hilft nichts, der Text ist ein Roman mit allen seinen Beschreibungen und scharfen Kommentaren. Wir erleben sozusagen ein tolles Hörspiel auf der Bühne. Vielleicht sollte man es auch so vermarkten.

Marieluise Fleißers „Ingolstadt“ hatte schon in Salzburg Premiere. Ivo van Hove lässt ihre beiden Stücke „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt“ ineinander verschränkt spielen. Das eine die Geschichte einer ungewollten Schwangerschaft und eines Außenseiters, das andere eine Abrechnung mit der Brutalität des Militärs in der eigenen Zivilgesellschaft. Wir sehen einen sehr dichten Abend in dem die existenzielle Leere der Zeit sozusagen aus allen Poren der Figuren quillt. Niemand wirkt gefestigt, nicht einmal die Soldaten können sich in ihrer Befehlskette einrichten. Sie taumeln durch das Bühnenbild, das fast vollständig unter Wasser gesetzt wurde – wir sind ja an der Donau und es soll eine Brücke gebaut werden. Marie-Luise Stockinger gibt die richtungslose Schwangere, Jan Bülow den wasserscheuen Outlaw.

Van Hove setzt auf starke Bilder mit spiegelnden Transparenten und viel Dunkelheit – es scheint immer Nacht zu sein in Ingolstadt. Als junge Mädchen, die sich von den Soldaten Geld und Liebe erhoffen, agieren Lilith Häßle und Dagna Litzenberger Vinet. Eine auch von den Zuschauern sehr viel fordernde Produktion, die den Umbruch erlebbar machen will.


„Ingolstadt“ im Burgtheater
(Bild: ©Matthias Horn)

Bis 18. 10.

Karten & Info

„Ein Kind unserer Zeit“ im Theater in der Josefstadt
(Bild: ©Moritz Schell)

Bis 8. 2. 2023

Karten & Info

Theaterkritik: „All right. Good night.“ im Volkstheater


Ein Stück über Verschwinden und Verlust – „All right. Good night.“ im Volkstheater. Theaterkritik von Helmut Schneider.
Foto: Merlin Nadj-Torma


Kann ein so großes Ding wie eine Boeing 777 in unserer vernetzten, kontrollierten Welt einfach so verschwinden und was passiert mit den weltweit Millionen von Demenzkranken, deren Bewusstsein und Gedächtnis sich von Tag zu Tag mehr vernebelt? Helgard Haug von Rimini Protokoll spiegelt in der Produktion „All right. Good night.“ den tragischen Flug der Malaysia Airlines im Jahr 2014 mit 239 Menschen am Bord, der nie restlos aufgeklärt werden konnte, mit dem Protokoll der Demenzerkrankung ihres Vaters, eines evangelischen Pfarrers. Ein Abend mit viel Musik und viel Text – allerdings wird der nur ganz selten gesprochenen, sondern im Bühnenhintergrund mit gut lesbaren großen Lettern angezeigt. Das erzeugt überraschenderweise eine eigene Stimmung und ganz viel Spannung. Im Theater stören Übertitel ja meistens, man nimmt sie aber im Kauf, um etwa einer fremdsprachigen Oper folgen zu können. Bei dieser Produktion hat man das Gefühl, etwas Intimes zu lesen. Es ist fast wie eine Buchlektüre. Dazu trägt natürlich auch die Musik von Barbara Morgenstern in Zusammenarbeit mit dem Zafraan Ensemble – 3 Musiker und 2 Musikerinnen sind stets auf der Bühne – bei. Es ist beileibe keine Hintergrundmusik, sondern ein dichtes Geflecht an Klängen, immer passend zum Text. Was sonst noch passiert auf der Bühne wird nebensächlich – angedeutet wird ein Strand mit dem Fund eines Wrackteils.

Zwar gehen die vielen Toten des Absturzes natürlich auch nahe – eine Gruppe Angehöriger des Flugs MH370 fragt bis heute seit dem Absturz jeden einzelnen Tag im Büro von Malaysia Airlines nach, ob es Neuigkeiten gebe –, die größte Betroffenheit entsteht aber dabei wenn wir miterleben, wie ein kluger, engagierter Mensch im Alter die Kontrolle über seine Gedanken und Sätze verliert. Die zweieinhalbstündige Koproduktion des Volkstheaters mit u.a Hebbel am Ufer in Berlin wurde heuer – wohl zurecht – zum Berliner Theatertreffen eingeladen.


Infos & Karten: volkstheater.at

Theaterkritik: „Der.Semmelweis.Reflex“ im Off-Theater

Totentanz der Wissenschaft


Das Off-Theater spielt „Der.Semmelweis.Reflex“. Eine Theaterkritik von Helmut Schneider.
Foto: Barbara Palffy


Als Semmelweis-Reflex wird die Vorstellung beschrieben, dass das wissenschaftliche Establishment eine neue Entdeckung quasi „reflexhaft“ ohne ausreichende Überprüfung erst einmal ablehne und den Urheber eher bekämpfe als unterstütze, wenn sie weit verbreiteten Normen oder Überzeugungen widerspricht. – Zitat Wikipedia. Im Off-Theater in Neubau stellt das Bernhard Ensemble das turbulente und letztendlich tragische Leben des Ignaz Semmelweis (1818 – 1865, er starb im Irrenhaus an einer Blutvergiftung) als mahnendes Beispiel für Ignoranz in der Wissenschaft dar. Und das mit zum Teil drastischen Mitteln. Bevor die Zuschauer eingelassen werden, müssen sie sich Plastikpatschen über die Schuhe stülpen – man geht schließlich in einen Operationssaal, der sich zunächst als Leichenhalle präsentiert. Denn das war ja die wichtige Erkenntnis des in Wien und Budapest tätigen Arztes Dr. Semmelweis – zu seiner Zeit übertrugen die Ärzte die Keime der sezierten Toten ohne Hygiene direkt auf die Wöchnerinnen, sodass die Frauen, die in der Nachbarabteilung des AKH mit Hebamme entbanden, eine ungleich höhere Überlebenschance hatten.

Glücklicherweise spielt das Off-Theater-Ensemble unter Ernst Kurt Weigel das freilich sehr frei und flüssig. Tote haben ebenso ihre Auftritte wie ignorante Kollegen und leidende Mütter. Zur Choreografie von Leonie Wahl bewegen sich die fünf Darstellerinnen und Darsteller auch oft zu einem schaurigen Totentanz. Wissenschaft kann ja auch Spaß machen.

Gelungene 100 Minuten.


Infos & Karten: www.off-theater.at

Theaterkritik – Shakespeare am Burgtheater

Der Sturm ist nur ein weiches Lüfterl


Shakespeares „Der Sturm“ am Wiener Burgtheater. Eine Theaterkritik.
Foto: Burgtheater/Horn


Die Drehbühne dreht sich, die Darsteller schleichen auf der dunklen Bühne herum und singen sich ein, das Orchester spielt ein Medly aus Jazz-Standards, Schlager und Rolling-Stones-Hits, während es im Zuschauerraum anfangs noch hell bleibt. Es vergeht eine Viertelstunde, bevor das erste Wort gesprochen wird. Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson macht im Wiener Burgtheater aus Shakespeares „Der Sturm“ einen Liederabend mit eingestreuten Szenen aus dem berühmten Theaterhit. So wirklich Interesse zeigt Arnarsson an dem vielgespielten Stück aber nicht.

Das Bühnenbild von Elín Hansdóttir bietet viel Platz zum Verstecken. Während eines Dialogs rieselt von oben leichtes Material auf die Sprechenden herab und versenkt sie schließlich. Das ergibt ein schönes Bild, aber eben wofür? Dabei ist das achtköpfige Ensemble durchaus erstklassig. Maria Happel verkörpert zwar souverän den Prospero, so wirklich reinziehen kann sie uns aber auch nicht in die Geschichte. Michael Maertens und Roland Koch sind als Blödelpaar Trinculo und Stephano natürlich lustig und Mavie Hörbiger scheint als fragiler Luftgeist das Geschick in Händen zu halten. Florian Teichtmeister spielt den bösen Caliban.

Fast zweieinhalb Stunden nettes Musikhören in sehr unterschiedlicher Gesangsqualität und dazu ein halbgares Theater. Schade um die vielen vergebenen Chancen, die gerade dieses Drama bieten würde.


Informationen & Details auf: burgtheater.at