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Thomas Bernhards „Ritter, Dene, Voss“ in der Josefstadt

Dass Thomas Bernhard seine Wunschbesetzung 1986 zum Titel seines Stücks machte war zwar ein gelungener Marketinggag – die Peymann-Inszenierung mit Gert Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter war jahrelang am Burgtheater erfolgreich – doch nicht eben eine Ermunterung, das Drama mit anderen Schauspielern aufzuführen. Dabei ist „Ritter, Dene, Voss“ ein typischer Bernhard mit wenig Handlung und viel sprachlicher Bosheit. Es geht um drei Geschwister – der Bruder Ludwig, der sich für einen bedeutenden Philosophen hält, wurde gerade von seiner ältere Schwester aus Steinhof in die Villa in Döbling zurückgeholt. Jetzt bereitet sie mit viel Aufwand ein Abendessen vor, was die jüngere Schwester spöttisch kommentiert. Beide sind Schauspielerinnen im Theater in der Josefstadt, wo sie sich ihre Rollen aussuchen können, da ihnen der verstorbene Vater und Industrielle eine 51 Prozent Mehrheit sichern konnte. Das erzeugt natürlich Gelächter bei der Premiere in der Josefstadt, wo Peter Wittenberg eine Neuinterpretation  von „Ritter, Dene, Voss“ wagt.

Gespielt wird sozusagen im Museum – am Ende bittet eine Ansage über Lautsprecher alle Besucher das Haus zu verlassen. An den Wänden hängen große Gemälde von Gert Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter, die an diesem Abend allerdings für die Eltern der Geschwister stehen. Wittenberg setzt sonst allerdings keineswegs auf schnelle Gags – seine Inszenierung lässt sich Zeit, gerade im ersten Teil schaffen Sandra Cervik als ältere und Maria Köstinger als jüngere Schwester sozusagen einen meditativen Rahmen, in dem sich ihre unterschiedlichen Charaktere aneinander reiben können. Das mag für manche langweilig wirken, genauen Beobachtern wird der in ihnen steckende Irrsinn allerdings nicht verborgen bleiben. In Ludwig hat Bernhard viel aus der Biografie Ludwig Wittgensteins verpackt, wenngleich er seine Figur naturgemäß scheitern lässt. Bernhards Ludwig schreibt und schreibt und kann nichts veröffentlichen, während Wittgenstein bekanntlich schon in jungen Jahren mit seinem „Tractatus“ berühmt wurde.

Johannes Krisch spielt den Ludwig maximal unbeherrscht – bei der durch Voss berühmt gewordenen Branndteigkrapfenszene übergibt er sich fast. Ansonsten ist aber auch er durch den Regisseur zur Genauigkeit angehalten. Dabei geht viel Geschirr zu Bruch und die Gemälde werden oft umgehängt. Man glaubt ihm schließlich, dass er in Steinhof glücklicher wäre. Und die Schwestern? Sie sind zwar nicht geisteskrank, aber in ihren Routinen nicht weniger gefangen als Ludwig. Ein nachdenklicher Abend in der Josefstadt.


Infos: josefstadt.org

Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ im Akademietheater

Dunkel und kalt ist es in Barbara Freys Fassung von Arthur Schnitzlers wohl bekanntestem Stück. Und das ist nur konsequent, denn an diesem Abend geht es knapp zweieinhalb Stunden um das, was sich Menschen im Namen der Liebe antun können. Schnitzler – bekanntlich ein ausgebildeter Mediziner – seziert in „Das weite Land“ die Ehe von Friedrich und Genia Hofreiter und nebenbei und spiegelverkehrt auch die von Natter und seiner von einem zum anderen flatternden Ehefrau Adele. Der Bankier (Branko Samarovski) spricht aus, warum er trotzdem bei seiner Frau bleibt – weil er sie liebt. Und Liebe ist es auch, die Genia an ihrem notorisch untreuen Friedrich bindet. Am Ende des dichten Abends fällt der Vorhand zum Bühnenhintergrund und gibt den Blick auf eine riesige Maschine, die an den in Wien gerade wieder aktiven „Maulwurf“ – eine U-Bahn-Baufräse – erinnert, frei. „Die Seele ist ein weites Land“ heißt der zum Kalauer verkommene Spruch aus dem Stück. Ja, und sie ist augenscheinlich auch für die im Untergrund schlummernden Grausamkeiten verantwortlich.  

Was Wiener Theaterbesucher (die Produktion ist eine Zusammenarbeit mit der Ruhrtriennale) natürlich besonders verwundert ist die Weigerung der Regisseurin, über die doch auch präzise Sprache Schnitzlers einen Konversationston zu legen. Am Anfang wirkt es gerade so als ob die Darsteller gar nicht miteinander sprechen – und sie schauen sich auch fast nie in die Augen. So wird das Brutale des Geschehens bis hin zum völlig widersinnigen tödlichen Duell am Schluss noch deutlicher. Dieser Friedrich Hofreiter – wunderbar verhalten gespielt von Michael Maertens – ist ja auch ein geradezu monströser Egoist und Manipulator. Seine Frau – sehr nuanciert und konzentriert gespielt von Katharina Lorenz – bewundert man für ihre Gefasstheit. Sie ist die eigentliche Hauptperson dieser Aufführung, denn dieser Hofreiter ist doch eigentlich nur ein grandioser Schwätzer. Itay Tiran gibt seinen etwas steifen Freund Dr. Maurer, Bibiana Beglau die Schauspielerin und Freundin Genias. Ein Abend, an dem man einiges an menschlichen Abgründen zugemutet bekommt, doch das Wiener Publikum versteht das und applaudiert verdientermaßen lange.

Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ im Akademietheater. Eine Theaterbesprechung von Helmut Schneider.

Arthur Schnitzler, Das weite Land
burgtheater.at

Bild: ©Pohlmann

Die Josefstadt und das Burgtheater eröffnen ihre Saisonen mit Stoffen aus der Zwischenkriegszeit, die den folgenden nahen Umbruch schon vorausahnten.

Zeitenwenden – „Ingolstadt“ im Burgtheater & „Ein Kind unserer Zeit“ in der Josefstadt

Die Josefstadt und das Burgtheater eröffnen ihre Saisonen mit Stoffen aus der Zwischenkriegszeit, die den folgenden nahen Umbruch schon vorausahnten. Ödön von Horváths Roman „Ein Kind unserer Zeit“ erschien erst postum. Der 1938 tragisch verunglückte Autor schildert darin die Wandlung eines Soldaten zum Denkenden. Stephanie Mohr hat den Text für die Bühne bearbeitet und lässt den Soldaten von vier Frauen – Therese Affolter, Katharina Klar, Susa Meyer und Martina Stilp – spielen. Das bringt zumindest Abwechslung, zumal ihre Stimmen sehr verschieden sind.

Dass die chauvinistischen Männersprüche dadurch gebrochen würden, lässt sich aber nicht feststellen. Wir erleben einen jungen Menschen ohne Talente, der zum Heer geht, weil er dort zumindest eine tägliche Mahlzeit erhält. Außerdem lernt er Ordnung und braucht nicht viel zu denken. Seinen hart als Kellner arbeitenden Vater verachtet er nur. Interessant ist, dass Horváth den Krieg als Überfall auf ein kleineres Land beschreibt. Man nennt es Säuberung und schreckt auch nicht vor Massakern an Kindern und Frauen zurück. Ausgerechnet der von allen bewunderte Hauptmann kann da nicht mehr mit – er rennt in eine Maschinengewehrsalve.

Desillusioniert und verwundet kehrt der Soldat zurück und versucht seine ehemals Angehimmelte zu finden. Am Schluss stellt er fest, dass er nicht in die Zeit passt.
Gerade dadurch ist er allerdings ein Kind seiner Zeit. Die Produktion funktioniert recht flüssig, bleibt allerding Dramatik schuldig. Es hilft nichts, der Text ist ein Roman mit allen seinen Beschreibungen und scharfen Kommentaren. Wir erleben sozusagen ein tolles Hörspiel auf der Bühne. Vielleicht sollte man es auch so vermarkten.

Marieluise Fleißers „Ingolstadt“ hatte schon in Salzburg Premiere. Ivo van Hove lässt ihre beiden Stücke „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt“ ineinander verschränkt spielen. Das eine die Geschichte einer ungewollten Schwangerschaft und eines Außenseiters, das andere eine Abrechnung mit der Brutalität des Militärs in der eigenen Zivilgesellschaft. Wir sehen einen sehr dichten Abend in dem die existenzielle Leere der Zeit sozusagen aus allen Poren der Figuren quillt. Niemand wirkt gefestigt, nicht einmal die Soldaten können sich in ihrer Befehlskette einrichten. Sie taumeln durch das Bühnenbild, das fast vollständig unter Wasser gesetzt wurde – wir sind ja an der Donau und es soll eine Brücke gebaut werden. Marie-Luise Stockinger gibt die richtungslose Schwangere, Jan Bülow den wasserscheuen Outlaw.

Van Hove setzt auf starke Bilder mit spiegelnden Transparenten und viel Dunkelheit – es scheint immer Nacht zu sein in Ingolstadt. Als junge Mädchen, die sich von den Soldaten Geld und Liebe erhoffen, agieren Lilith Häßle und Dagna Litzenberger Vinet. Eine auch von den Zuschauern sehr viel fordernde Produktion, die den Umbruch erlebbar machen will.


„Ingolstadt“ im Burgtheater
(Bild: ©Matthias Horn)

Bis 18. 10.

Karten & Info

„Ein Kind unserer Zeit“ im Theater in der Josefstadt
(Bild: ©Moritz Schell)

Bis 8. 2. 2023

Karten & Info

Theaterkritik: „All right. Good night.“ im Volkstheater


Ein Stück über Verschwinden und Verlust – „All right. Good night.“ im Volkstheater. Theaterkritik von Helmut Schneider.
Foto: Merlin Nadj-Torma


Kann ein so großes Ding wie eine Boeing 777 in unserer vernetzten, kontrollierten Welt einfach so verschwinden und was passiert mit den weltweit Millionen von Demenzkranken, deren Bewusstsein und Gedächtnis sich von Tag zu Tag mehr vernebelt? Helgard Haug von Rimini Protokoll spiegelt in der Produktion „All right. Good night.“ den tragischen Flug der Malaysia Airlines im Jahr 2014 mit 239 Menschen am Bord, der nie restlos aufgeklärt werden konnte, mit dem Protokoll der Demenzerkrankung ihres Vaters, eines evangelischen Pfarrers. Ein Abend mit viel Musik und viel Text – allerdings wird der nur ganz selten gesprochenen, sondern im Bühnenhintergrund mit gut lesbaren großen Lettern angezeigt. Das erzeugt überraschenderweise eine eigene Stimmung und ganz viel Spannung. Im Theater stören Übertitel ja meistens, man nimmt sie aber im Kauf, um etwa einer fremdsprachigen Oper folgen zu können. Bei dieser Produktion hat man das Gefühl, etwas Intimes zu lesen. Es ist fast wie eine Buchlektüre. Dazu trägt natürlich auch die Musik von Barbara Morgenstern in Zusammenarbeit mit dem Zafraan Ensemble – 3 Musiker und 2 Musikerinnen sind stets auf der Bühne – bei. Es ist beileibe keine Hintergrundmusik, sondern ein dichtes Geflecht an Klängen, immer passend zum Text. Was sonst noch passiert auf der Bühne wird nebensächlich – angedeutet wird ein Strand mit dem Fund eines Wrackteils.

Zwar gehen die vielen Toten des Absturzes natürlich auch nahe – eine Gruppe Angehöriger des Flugs MH370 fragt bis heute seit dem Absturz jeden einzelnen Tag im Büro von Malaysia Airlines nach, ob es Neuigkeiten gebe –, die größte Betroffenheit entsteht aber dabei wenn wir miterleben, wie ein kluger, engagierter Mensch im Alter die Kontrolle über seine Gedanken und Sätze verliert. Die zweieinhalbstündige Koproduktion des Volkstheaters mit u.a Hebbel am Ufer in Berlin wurde heuer – wohl zurecht – zum Berliner Theatertreffen eingeladen.


Infos & Karten: volkstheater.at

Theaterkritik: „Der.Semmelweis.Reflex“ im Off-Theater

Totentanz der Wissenschaft


Das Off-Theater spielt „Der.Semmelweis.Reflex“. Eine Theaterkritik von Helmut Schneider.
Foto: Barbara Palffy


Als Semmelweis-Reflex wird die Vorstellung beschrieben, dass das wissenschaftliche Establishment eine neue Entdeckung quasi „reflexhaft“ ohne ausreichende Überprüfung erst einmal ablehne und den Urheber eher bekämpfe als unterstütze, wenn sie weit verbreiteten Normen oder Überzeugungen widerspricht. – Zitat Wikipedia. Im Off-Theater in Neubau stellt das Bernhard Ensemble das turbulente und letztendlich tragische Leben des Ignaz Semmelweis (1818 – 1865, er starb im Irrenhaus an einer Blutvergiftung) als mahnendes Beispiel für Ignoranz in der Wissenschaft dar. Und das mit zum Teil drastischen Mitteln. Bevor die Zuschauer eingelassen werden, müssen sie sich Plastikpatschen über die Schuhe stülpen – man geht schließlich in einen Operationssaal, der sich zunächst als Leichenhalle präsentiert. Denn das war ja die wichtige Erkenntnis des in Wien und Budapest tätigen Arztes Dr. Semmelweis – zu seiner Zeit übertrugen die Ärzte die Keime der sezierten Toten ohne Hygiene direkt auf die Wöchnerinnen, sodass die Frauen, die in der Nachbarabteilung des AKH mit Hebamme entbanden, eine ungleich höhere Überlebenschance hatten.

Glücklicherweise spielt das Off-Theater-Ensemble unter Ernst Kurt Weigel das freilich sehr frei und flüssig. Tote haben ebenso ihre Auftritte wie ignorante Kollegen und leidende Mütter. Zur Choreografie von Leonie Wahl bewegen sich die fünf Darstellerinnen und Darsteller auch oft zu einem schaurigen Totentanz. Wissenschaft kann ja auch Spaß machen.

Gelungene 100 Minuten.


Infos & Karten: www.off-theater.at

Theaterkritik – Shakespeare am Burgtheater

Der Sturm ist nur ein weiches Lüfterl


Shakespeares „Der Sturm“ am Wiener Burgtheater. Eine Theaterkritik.
Foto: Burgtheater/Horn


Die Drehbühne dreht sich, die Darsteller schleichen auf der dunklen Bühne herum und singen sich ein, das Orchester spielt ein Medly aus Jazz-Standards, Schlager und Rolling-Stones-Hits, während es im Zuschauerraum anfangs noch hell bleibt. Es vergeht eine Viertelstunde, bevor das erste Wort gesprochen wird. Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson macht im Wiener Burgtheater aus Shakespeares „Der Sturm“ einen Liederabend mit eingestreuten Szenen aus dem berühmten Theaterhit. So wirklich Interesse zeigt Arnarsson an dem vielgespielten Stück aber nicht.

Das Bühnenbild von Elín Hansdóttir bietet viel Platz zum Verstecken. Während eines Dialogs rieselt von oben leichtes Material auf die Sprechenden herab und versenkt sie schließlich. Das ergibt ein schönes Bild, aber eben wofür? Dabei ist das achtköpfige Ensemble durchaus erstklassig. Maria Happel verkörpert zwar souverän den Prospero, so wirklich reinziehen kann sie uns aber auch nicht in die Geschichte. Michael Maertens und Roland Koch sind als Blödelpaar Trinculo und Stephano natürlich lustig und Mavie Hörbiger scheint als fragiler Luftgeist das Geschick in Händen zu halten. Florian Teichtmeister spielt den bösen Caliban.

Fast zweieinhalb Stunden nettes Musikhören in sehr unterschiedlicher Gesangsqualität und dazu ein halbgares Theater. Schade um die vielen vergebenen Chancen, die gerade dieses Drama bieten würde.


Informationen & Details auf: burgtheater.at

Theaterkritik – Burgtheater, Jean-Paul Sartres Geschlossene Gesellschaft

Wo sind die Folterinstrumente?


Eine Theaterbesprechung zu Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ am Burgtheater.
Text: Helmut Schneider / Foto: Burgtheater/Horn


„Wo sind die Folterinstrumente?“ fragt Garcin den befrackten Einweiser, als er in den von einer Mauer umschlossenen Raum kommt, in dem sich nur ein langer Tisch, ein leeres Buffet und eine mannshohe weiße Gurke in der Anmutung einer Erwin-Wurm-Skulptur befindet. Der Kellner, der nie etwas bringen wird und sich mittels der meistens kaputten Klingel auch nicht rufen lässt, kann da nur grinsen ob der Naivität des Neuankömmlings. Sartres Hölle, in die nach und nach der Journalist Garcin, die Lesbe Inès und die reiche Gattin Estelle kommen, ist bekanntlich kein mittelalterliches Schauerbild. Die reinsten und schmerzhaftesten Qualen schaffen sich die Menschen immer noch am besten selbst oder im Austausch mit Leidensgenossen. „Die Hölle, das sind die anderen“ ist jener Satz aus Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ den auch jene kennen, die das Stück nie gesehen haben.

Im Burgtheater lässt Hausherr Martin Kušej Sartres im Weltkrieg entstandenes Drama fast wie eine Komödie spielen – besonders Christoph Luser als Höllenknecht kann mit seiner trockenen distanzierten Spielweise souverän Lacher abstauben. Tobias Moretti als frauenverachtender Verräter der Widerstandsbewegung, Dörte Lyssewski als manipulative Geliebte und Regina Fritsch als Kindsmörderin müssen natürlich immer wieder ihre Sünden aufarbeiten. Aber auch sie entblößen sich bis zur Lächerlichkeit. Zumal sie längst nicht von ihrer Schuld überzeugt sind – Sartre kannte die Mechanismen der Selbsttäuschung zur Verhinderung jeglicher kognitiver Dissonanz nur zu gut. Kušej kann sein Publikum damit aber gut unterhalten, zumal er genügend Spannungsverstärker eingebaut und den Text gekürzt hat. Die Darsteller müssen etwa auf Kies gehen, was schön knirscht und immer wieder lässt sich ein bedrohliches Brummen vernehmen, das von Maschinen zu kommen scheint. Oft wird die Bühne um den Zuschauerraum erweitert, zumal während der gesamten Vorstellung das Saallicht aufgedreht bleibt. Der spannendste Moment ist jener als Garcin bemerkt, dass die Türe offen ist, er also gehen könnte. Natürlich bleibt er da, längst haben sich alle ihrem Schicksaal ergeben – die Hoffnung ist nicht einmal mehr eine Erinnerung.


Jubiläumsjahr

Thomas Bernhard im Jubiläumsjahr


Theaterkritik von Helmut Schneider: „Die Jagdgesellschaft“ im Akademietheater und „Der Theatermacher“ im Volkstheater.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Nikolaus Ostermann,Volkstheater ; Susanne Hassler-Smith


Eine Etüde in rot liefern uns Regisseurin Lucia Bihler und Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert in ihrer Interpretation von Thomas Bernhards gesellschaftlichen Endzeitdrama „Die Jagdgesellschaft“ im Akademietheater. Die Figuren stecken in Latexkostümen (Kostümbildnerin Laura Kirst), die an Renaissancemoden erinnern und bewegen sich auch mehr oder weniger gekünstelt. Holzknecht Asamer (Jan Bülow) schlurft mit gewaltigen Handschuhen und meterlangem Haar über die Bühne wie Riff Raff aus der Rocky Horror Picture Show. Und alles wird in rotes Licht getunkt.

Wie Riff Raff aus der Rocky Horror Picture Show – Jan Bülow in „Die Jagdgesellschaft“ im Akademietheater.

Der Alarmismus scheint auch angebracht, denn das riesige Gut steht vor dem Ende. Der Wald wird von Borkenkäfern gefressen und der Gutsbesitzer (Martin Schwab) ist nicht nur herzkrank, sondern auch vom Grauen Star befallen. Zumindest kann er sein Unglück nicht mehr sehen, hofft seine Frau, gespielt von Maria Happel, die ihre Leiden dem Schriftsteller (Markus Scheumann) klagt.

Das alles ist recht hübsch anzuschauen, mit der Zeit – der Abend dauert 2 Stunden – ermüdet das Untergangsschauspiel aber zusehends, zumal die Handlung wie meist bei Bernhard nur in den Dialogen vorangetrieben wird. Immerhin ein Statement, wie man sich eine Bernhard-Interpretation heute vorstellt. 

Im Volkstheater beginnt Kay Voges seine erste Saison nach dem Umbau mit Bernhards „Der Theatermacher“, konkret mit einer Neufassung seiner erfolgreichen Inszenierung 2018 in Dortmund. Das bietet zunächst einmal die Chance, seine neuen Schauspieler kennenzulernen. Nun, die Neuen – Nick Romeo Reimann, Anna Rieser, Uwe Rohbeck, Andreas Beck, Anke Zillich – schlagen sich ganz wacker. Es beginnt ganz traditionell mit den Klagen des Theatermachers über die Provinz und den Niedergang des Theaters und endet in einer Art Slapstick-Endlosschleife, denn Vogel lässt das Stück immer wieder neu anfangen – die Darsteller wechseln die Rollen, die Stimmungen wechseln fast minütlich – zum „Blutwursttag“ sind wir dann mitten in einem Horrorstreifen. Das ist anfangs noch witzig, wird aber durch die rasanten Wiederholungen der Dramenfetzen zusehend nervig, zumal sich keine echten neuen Perspektiven ergeben. Fast so als traute man dem Text von Bernhard die alte Sprengkraft nicht mehr zu. Und das obwohl gerade jetzt seine Österreich-Analysen treffender denn je erscheinen. Dem Publikum hat das Ganze bei der Premiere Spaß gemacht – man war ja wohl schon lange vom Theater entwöhnt.

Eine Art Slapstick in Endlosschleife. – „Die Theatermacher“ im Volkstheater.

Die Odyssee

Endlich wieder Theater


Endlich wieder Theater: Das Schauspielhaus Wien bringt „Die Odyssee“ von Jakob Engel und Jan Philipp Stange zur Uraufführung.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Matthias Heschl


Dass man auch in der Pandemie Theater spielen kann, hat das Schauspielhaus schon im vergangenen Jahr bewiesen – es gibt reichlich Platz, nicht einmal die Hälfte der Plätze sind besetzt und jetzt wird am Eingang eben auch noch kontrolliert, ob man geimpft, getestet oder genesen ist. Alles ganz easy. Die Erwartungshaltung ist nach der lange Durststrecke trotzdem groß, zumal es gleich bei der erste Premiere um einen der größten Stoffe der Weltliteratur gehen soll – Homers Epos „Odyssee“.

Die Bühne besteht aus einer riesigen, sehr naturalistischen Höhle und natürlich erwartet man da im nächsten Moment den Kyklopen Polyphem oder Mr. Niemand vulgo Odysseus auftreten zu sehen. Stattdessen erscheint in der von Jakob Engel und Jan Philipp Stange geschriebenen und inszenierten Geschichte eine als Kakerlake verkleidete Frau und erzählt uns, dass sie ganz aufgeregt ist, jetzt endlich wieder Theater spielen zu können. Die Kakerlake ist liebenswürdig geschwätzig, wir erfahren von ihrem Brotjob als Kindergärtnerin und ihrem Großvater, der es toll findet, dass sie jetzt am Theater in seinem Lieblingsbuch – „Die Odyssee“ – mitwirken wird.

Dann kommen aber doch noch drei Männer, die sich umständlich von oben abseilen, denn es sind Höhlenforscher, die freilich den ganzen Abend nur Laute von sich geben und einmal ein Seemannslied anstimmen. Passt irgendwie, denn später wird auch noch ein Schlauchboot abgeseilt, das man mühsam durch ein Loch bekommen muss, wo sich dahinter wahrscheinlich ein See befindet. Das zu kleine Loch wird mit einem Pressluftbohrer weiter gemacht – eine Anspielung auf Skylla und Charybdis? Die Männer haben es ganz kommod, halten Brot- und Käsezeit und machen Selfies, einer zwängt sich auch noch in einen Taucheranzug. Am Ende fällt freilich das Seil von oben herunter – ihr Rückfahrtsticket ist verloren.

Die Szenen teilen die von Jacob Bussmann geschriebenen und auch von ihm gesungenen Songs, in denen von Odysseus erzählt wird. Das ist eine schöne irgendwie an Klaus Nomi erinnernde Musik, deren englische Texte man freilich akustisch kaum versteht. Ein Abend der vielen Eindrücke für Menschen, die gerne auf die Suche nach Assoziationen gehen. Nicht schlecht, nach den vielen Streaming-Sensationen. Das Publikum feiert die Darsteller und das Regieteam – und sicher auch den Umstand, dass man jetzt wieder ins Theater darf.   


„Die Odyssee“ im Schauspielhaus Wien
Konzept, Regie, Bühne & Kostüme: Jakob Engel & Jan Philipp Stange
Termine für dieses Wochenende finden Sie >hier<

Black Box

Eine Liebeserklärung


Das Vokstheater bringt mit Black Box „eine Liebeserklärung an all die Räume, in denen Kunst erlebbar gemacht wird“. Stefan Kaegi hat ein alle Sinne beanspruchendes Werk entwickelt, das glücklicherweise nach den Regeln der Pandemie-Eindämmung funktioniert.
Fotos: Volkstheater


Das Volkstheater holt sein Publikum direkt von der Couch auf die Bühne. Ab dem 20. Februar können Zuseher alle fünf Minuten im inszenierten Audiowalk „Black Box“ endlich wieder Theaterluft schnuppern. Stefan Kaegi und das Autoren-Team „Rimini Protokoll“ haben mit „Black Box“ ein alle Sinne beanspruchendes Werk entwickelt, das glücklicherweise nach den Regeln der Pandemie-Eindämmung funktioniert. Der Raum an sich steht im Zentrum der Installation und erwacht mit Ihren Schritten, Ihren Impulsen zum Leben.



Das Volkstheater verspricht ein echtes Theatererlebnis:
„Kopfhörer aufgesetzt, Handschuhe angezogen und hinein in die Fiktionsmaschinerie namens Volkstheater. Eine wohlige Stimme wird Sie quer durch das gesamte Haus weisen, Ihnen für Zuseherinnen üblicherweise unzugängliche Orte zeigen und an mancher Stelle werden Sie Anwesender vergangener Gesprächssituationen, die von Expertinnen und Ensemblemitgliedern aufgezeichnet wurden – Stichwort binaurale Aufnahmetechnik. Eine berührende Spurensuche nach dem, was Gemeinschaft ausmacht und eine Liebeserklärung an all die Räume, in denen Kunst erlebbar wird. Praktisch betrachtet, ist diese Installation im Fünfminutentakt durchkonzipiert, wodurch jeder Besucherin im ausgewählten Zeitfenster alleine durch das Theater geht.“
Alle Termine und Tickets finden auf der Website des Volkstheaters.

Termine
Sa. 20.02.21
13:00 – 17:30 Uhr
So. 21.02.21
11:00 – 17:30 Uhr
Sa. 27.02.21
13:00 – 17:30 Uhr
So. 28.02.21
11:00 – 17:30 Uhr