Bussi-Bussi bei Jauchenduft – Martin Kušej inszeniert Molières „Menschenfeind“ im Burgtheater

Bild: ©Matthias Horn

Gleich zu Beginn tragen vermummte Gestalten im finsteren Bühnenbild einen Sarg – sonst aber ist dieser „Menschenfeind“ in der Burg bei aller Düsternis ganz lustig. Denn Star des Abends ist die schon 1979 erschienene Molière-Übersetzung des 2022 verstorbenen Dichters Hans Magnus Enzensberger. Der hatte dabei die damals sich formierende und bis heute hartnäckig bestehende Bussi-Bussi-Gesellschaft der 80er-Jahre treffend abgebildet. Nun gilt ja Wien – zumal in der deutschsprachigen Bühnenszene – als Hauptstadt der Heuchelei und Intrige. Und wenn man da noch ein nicht mehr verlängerter Theaterdirektor ist, macht Molières „Menschenfind“ bei der Inszenierung natürlich doppelt Spaß.

Martin Kušej hat die herrlich flapsige Enzensberger-Übersetzung dann noch mit ein paar Wien-Bonmots aufgefettet. Da kommt der Jedermann-Skandal vor, man speist bei Do&Co und über „Martin K.“, der „nie da“ ist wird gelästert. Das Theaterpublikum sieht sich indessen gespiegelt selbst. Und bisweilen steigt oder stürzt ein Protagonist in eine Lacke, die dank eines eigens kreierten Raumdufts dezent nach Gülle riecht. Der weiße Anzug des Moralisten Alceste wird im Laufe des zweistündigen Abends auch nicht blütenrein bleiben.

Ein bestens gelauntes Ensemble kämpft da mehr oder weniger gutgemeint gegen den von Itay Tiran glaubhaft dargestellte Alceste, um sich ihr Konstrukt aus böswilliger Anständigkeit nicht zerstören zu lassen. Marvie Hörbiger ist im schwarzen Glitzeranzug seine Begehrte, die sich freilich ihren Spaß am gesellschaftlichen Parkett nicht nehmen lassen will. Köstlich ihr Wortduell mit der pharisäerhaften Arisnoé, gespielt von Alexandra Henkel. Christoph Luser gibt den Freund, der ihm zur Nachsicht rät, Markus Mayer den von ihm gekränkten Mann mit besten Beziehungen. Und wenn kurz die Schaukämpfe ruhen, feiern im Hintergrund Komparsen wilde Partys zu Walzer, Volksmusik, Disco oder Schlager.

Das Wiener Premierenpublikum verstand die Gesellschaftskritik und applaudierte ausgiebig.


Info und Karten: burgtheater.at  

Zwischen Wien und New York – Dirk Stermann erzählt in Gesprächen das erstaunliche Leben der Erika Freeman

Bevor sie sich um 10.30 zum Frühstück mit Dirk Stermann im Imperial trifft, behandelt sie immer noch via Skype ihre Patienten in New York und dabei ist es ihr gleich, dass es dort mitten in der Nacht ist. Erika Freeman ist jetzt 96, aber steht mitten im Leben – ein Triumph über die Nazis, die ihr in Wien nach dem Leben trachteten und alle schon tot sind.

1927 als Tochter eines jüdischen Arztes und einer Lehrerin in Wien geborenen musste sie mit 12 Jahren in die USA fliehen, wo sie zu einer weltberühmten Psychoanalytikerin wurde – angeblich lagen Stars wie Marlon Brando, Paul Newman, Marilyn Monroe oder Woody Allen auf ihrer Couch. Wenn diese es selbst nicht öffentlich machten, schweigt Freeman bis heute darüber. Außerdem war sie Gast vieler TV-Shows – auch die Sendungsmacher hatten ihr unglaubliches Talent für pointierte, witzige Sprüche erkannt.

Der Buchtitel „Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen“ ist natürlich ein Zitat von ihr, die die Gabe hat, auch Schreckliches wie den Tod ihrer Mutter 1945 bei der Bombardierung des Philipphofs mit der Weisheit einer Frau, die viel erlebt hat, zu erzählen. Aus den vielen Frühstückstreffen hat Stermann jetzt ihr mit vielen Anekdoten gewürztes Leben erzählt. Oft schickt sie ihm später auch noch Sinnsprüche via SMA nach: „Wenn eine Frau auf Sex verzichten will, dann muss sie ihn heiraten.“

Freeman, deren Mutter als Vorbild für Isaac Beshevis Singers mit Barbra Streisand verfilmte Kurzgeschichte „Yentl“ gilt, hat zweifelsohne viel zu erzählen, von Flucht und Verfolgung, von Karriere und Prominenten, von Analysen und Analytikern. Dass Freeman jetzt im Imperial wohnt, hängt mit der Pandemie zusammen. Sie ist quasi nach einer Herzoperation in Wien gestrandet und war zeitweise der einzige Gast im Hotel. Inzwischen hat sie auch wieder die österreichische Staatsbürgerschaft.

Bei einer Gala in New York hatte sie ihrer Freundin Hilary Clinton ihr Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst gezeigt und erklärt: „They tried to kill me, now they decorate me.“
„Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen“ ist ein Buch, das man sehr gerne liest, weil es so leicht und anekdotisch daherkommt – als Wiener freilich immer mit einem ambivalenten Gefühl. Schließlich hatten unsere Vorfahren sie ja tatsächlich zur Vernichtung vorgesehen.


Alte Männer ohne Frauen – Uraufführung von Peter Turrinis „Bis nächsten Freitag“

Alte Männer ohne Frauen – Uraufführung von Peter Turrinis „Bis nächsten Freitag“ in der Josefstadt. – ©Rita Newman

Zwei ehemalige Schulfreunde beim Treffen im Beisl „Zur tschechischen Botschaft“. Der eine ist Buchhändler und Menschenfreund, der andere Romanistikdozent und Arroganzler. Schon als Kommilitonen waren sie recht unterschiedlich, erfahren wir recht bald. Richie, der Buchhändler, hatte stets Ohren für die Anliegen seine Mitschülerinnen, während Werner nur an ihren Körpern interessiert war. Ihre Strategien haben sich als falsch erwiesen, den nun sind sie anscheinend beide allein.

Symbolik

In Peter Turrinis Auftragswerk für das Theater in der Josefstadt „Bis nächsten Freitag“ werden zwei alte Männer geradezu vorgeführt. Das ist zeitweise ganz witzig, spielen doch die Publikumslieblinge Erwin Steinhauer und Herbert Föttinger mit viel Gespür das ungleiche Paar. Silvia Meisterle als resche Kellnerin und Marcello de Nardo als taubstummer Bruder, der sich gerne für Rollen schminkt, sorgen für Akzente. Regisseur Alexander Kubelka spürte aber wohl die inhaltlichen Lücken und versuchte, dem Drama etwas Symbolik zu verpassen. Gespielt wird in einem sich öffnenden riesigen Tank, das Bühnenbild ist karg und der Auftritt eines kleinwüchsigen Brautpaars wird ins Mystische verklärt. Der längst krebskranke Werner zieht eine Waffe und schießt auf einen Leuchter, der dann im letzten Bild als Pendel schwingt. Auf Verlangen der Kellnerin tanz er mit dem Taubstummen, der sich als Totenkopf geschminkt hat – noch mehr Zeichen geht nicht.

Frust

Das alles kann freilich nicht verbergen, dass die zwei alten Männer bestenfalls skizziert sind. Der Büchermensch Richie wirkt ausgeglichen, dass ihm seine Frauen nur wegen seiner Lesesucht davonrennen, scheint aber nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Und der Romanist Werner verbreitet eine Verschwörungstheorie nach der anderen, freilich noch halbgarer als die Theorien selbst. Ausländer mag er natürlich auch nicht. So weit, so banal. Als Zuschauer hätte man aber schon gerne erfahren, woher dieser große Frust der beiden alten weißen Männer wirklich kommt. Das Publikum applaudierte freilich nicht nur den Darstellern, sondern auch Peter Turrini recht freundlich.

Infos und Karten: josefstadt.org

Peter Handkes „Kaspar“ im Akademietheater

Der US-amerikanische Regisseur Daniel Kramer hat für seine Umsetzung von „Kaspar“ drastische Bilder gefunden. – ©Susanne Hassler-Smith

Man könne sein Stück auch als „Sprachfolter“ bezeichnen, merkte Autor Peter Handke einmal zu seinem Stück „Kaspar“, das 1968 durch Claus Peymann in Frankfurt uraufgeführt wurde, an (Peymann saß übrigens in der Premiere im Akademietheater). Der US-amerikanische Regisseur Daniel Kramer hat nun bei seiner Umsetzung tatsächlich recht drastische Bilder für diese Tortur gefunden. Sein Kaspar Marcel Heuperman kommt durch einen engen durchsichtigen Plastikfolienschlauch auf die Welt und sagt seinen einzigen Satz „Ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist.“ (Handke hat dabei an den historischen Kaspar Hauser erinnert, der angeblich seinen Findern erklärte: „Ein solcher Reiter möchte ich werden, wie mein Vater gewesen ist.“)

Kaum auf der Welt wird Kaspar von vier Menschen in schwarzen Plastikpaneelen und Gasmasken bedrängt, die ihm schließlich sogar mit Motorsägen zu Leibe rücken, denn in seinem Krabbelkostüm sieht er ja wie eine behaarte Spinne aus (Kostüme: Shalva Nikvashvili).

Immer mehr wird der Arme mit Worten bombardiert, will heißen sozialisiert. Handles Text ist ja eine Kritik an der Vereinnahmung der Menschen durch Sprache und Gebote. Nur was gesagt wird, existiert. Für die Interpretation des Dramas wurde ja schon oft Wittgenstein bemüht. Aber „Kaspar“ ist sicher auch Ausdruck der damaligen Anti-Establishment-Stimmung.

Zum Höhepunkt des Abends wurde die völlig sprachlose Szene gegen Ende. Kaspar und die vier „Einsager“– hochmotiviert und präzise: Laura Balzer, Stefanie Dvorak, Jonas Hackmann und Markus Scheumann – ziehen nach und nach in eine Art Studentenbude ein und spielen Alltag – siw duschen, essen, fernsehen, schlafen und gehen aufs Klo. Allerdings nehmen sie sich gegenseitig gar nicht wahr. „Ich bin still / ich möcht jetzt / kein andrer mehr sein.“ ist im Abspann zu lesen – zum Song „Last Day of Our Acquaintance“ von Sinéad O’Connor.  

Nach einer grellen Clownpartie endet der Abend verstörend: Kaspar sitzt am Schminktisch, neben ihm eine riesige Atombombe. Ja, sprechen ist immer auch mißverstehen.

Infos & Karten: www.burgtheater.at 

György Ligetis „Le Grande Macabre“ an der Wiener Staatsoper

Szenefoto von Le Grand Macabre. – ©Michael Poehn

Der Tod, das muss ein Wiener sein. Denn in György Ligetis einziger, 1978 in Stockholm uraufgeführten Oper „Le Grande Macabre“, findet der Weltuntergang nicht statt, weil dem Tod der Wein zu gut schmeckt und er betrunken die Apokalypse verschläft. Und so versteht man eigentlich gar nicht, dass es bis jetzt dauerte, bis diese Oper an der Staatsoper gezeigt wird – zumal der in Siebenbürgen geborene und 2006 in Wien verstorbene Komponist seit dem Ungarn-Aufstand 1965 in Wien lebte.

Man kann jetzt freilich sagen: das Warten hat sich gelohnt. Denn Jan Lauwers Inszenierung und Pablo Heras-Casados Dirigat machen die netto etwa 2 Stunden (abzüglich der Pause) zu einem sinnlichen und intellektuellen Vergnügen. „Le Grande Macabre“ ist eine bitterböse ironische Zeitanalyse eines Künstlers, der sowohl die Nazi- als auch die Stalin-Zeit gerade noch überlebte, um dann den Wahnsinn des Kalten Krieges mitzubekommen. Im  Breughelland (in einem Bild sieht man das Gemälde „Der Triumph des Todes) der Oper tut ein lächerlicher Fürst Go Go (adäquat interpretiert von Andrew Watts) so, als ob er herrschen und ein Volk so, als ob es auf ihn hören würde. In Wirklichkeit machten alle, was sie wollen. Die Chefin der Geheimpolizei (Sarah Aristidou) singt sich die Seele aus der Brust, um ihre Nutzlosigkeit zu kaschieren. Man sieht einen bunten Comic – als ob die Truppe von Monty Python einen Heurigen übernommen hätte.

Doch was so locker daherkommt, ist einer präzisen Dramaturgie geschuldet. Quasi als Taktgeber tanzen etwa 12 Profis in fast unsichtbaren beigen Trikots unermüdlich zum Geschehen. Die zwischen Aufruhr und ruhigen, elegischen Passagen chargierende Musik erfordert vom Orchester und den Sängerinnen und Sängern größtmögliche Konzentration. Als Untergangsverkünder Nekrotzar brilliert Georg Nigl, als sein irdischer Widerpart Piet vom Gerhard Siegel. Eine späte, aber umso wichtigere Wiedergutmachung an der Staatsoper, der man gerne mehr Aufführungen gönnen würde.

Aufführungen noch am 17., 19. und 23. November – www.staatsoper.at

Ein seltsames Leben – Monika Helfer erzählt in „Die Jungfrau“ von einer reichen, schönen Freundin

Ein Buch, das ich problemlos an einem Tag im Bad lesen konnte und das trotzdem einen großen Eindruck zurücklässt. Die Vorarlbergerin Monika Helfer, die mit ihren autobiografischen Romanen „Die Bagage“ (2020), „Vati“ (2021) und „Löwenherz“ (2022) spät, aber verdientermaßen, zum Literaturstar wurde, beschreibt in ihrem neuen Buch die Jugendfreundschaft mit der gleichaltrigen Gloria, die all das besitzt, was sie selbst – Moni – nicht hat: Ein Haus, Bedienstete, Geld und Schönheit. Doch zwischen den Fallstricken des Lebens scheint sich die glänzende Gloria geradewegs zu verlieren.

Die Aufnahmeprüfung im Reinhardt-Seminar schafft sie mit Bravour, doch als sie sich in einen verheirateten Lehrenden verliebt, wird es nichts mehr mit der Karriere. Hochdramatisch legt sie sich vor die Schwelle seiner Wohnung, die Ehefrau steigt nur darüber und nimmt es sogar hin, dass ihr Mann bei Gloria einzieht. Zu Sex soll es allerdings niemals kommen – Moni ist nicht ganz sicher, ob sie ihrer Freundin glauben soll. Zum 70. Geburtstag kommt ein Brief von Gloria – man hatte sich längst aus den Augen verloren – und Moni besucht die Freundin, die noch immer im Elternhaus wohnt, wo ihre halbverrückte Mutter mutmaßlich Unsummen an Geld versteckt hat, was die Tochter nicht interessiert.

Helfer ist eine ebenso genaue wie reflektierte Erzählerin. Nie gibt sie etwas als gewiss aus, stets hinterfragt sie sich, wie es gewesen sein könnte und was das für sie damals bedeutete. Sie selbst wohnte damals ja in einer beengten Wohnung, Geld war immer knapp und trotzdem nicht so wichtig. Moni heiratet früh – eine der einprägsamsten Stellen im Buch ist die Szene, in der sie von ihrem Schwager bei der Hochzeit entführt wird – ein alter Brauch – und dann vom Bräutigam nicht gefunden wird, obwohl sie genau dort sind, wo es am wahrscheinlichsten gewesen ist. Ein kluges Buch über die Möglichkeiten einer Biografie und die Zeit des Wirtschaftswunders in Österreich.


Ein seltsames Leben – Monika Helfer erzählt in „Die Jungfrau“ von einer reichen, schönen Freundin.

Monika Helfer: Die Jungfrau
Hanser Verlag
150 Seiten
23,50

Deutschland und Russland vereinen – Ein historischer Roman über eine außergewöhnliche Bolschewikin

Im Schachspiel gibt es den raffinierten Spielzug des Damenopfers, bei dem die wertvollste Figur dem Gegner zum Fraß vorgeworfen wird und – so dieser anbeißt – in wenigen Zügen mattgesetzt werden kann. Steffen Kopetzky lässt in seinem neuen Roman seine Protagonistin Larissa Reissner eben jenen Schachzug machen, um einem Großmaul ebendieses zu stopfen. Die ruhmreiche Kämpferin der Roten Armee und Journalistin Larissa Michailowna Reissner ist freilich eine historische Figur. Obwohl sie bereits mit 30 Jahren an Typhus starb, wurde sie wegen ihrer Schönheit und ihres furchtlosen Einsatzes gegen die monarchistische Weiße Armee zur Legende – zumal sie auch als Spionin agierte.

Kopetzky, 1971 in Oberbayern geboren, ist ein gewiefter Erzähler. In seinem Bestseller „Monschau“ verarbeitete er etwa einen realen Pockenausbruch in den 60er-Jahren zu einem packenden deutschen Wirtschaftskrimi. Im neuen Roman faszinierte ihn ganz offensichtlich eine mögliche Annäherung des wirtschaftlich am Boden liegenden Deutschland nach dem 1. Weltkrieg und der sich mit vielen Schwierigkeit sich entwickelnden Sowjetunion noch unter Lenin. Larissa verbringt die Jahre nach dem Bürgerkrieg mit ihrem Mann, einen verdienten General der Roten Armee, in Afghanistan und findet dort den versteckten Plan eines deutschen Offiziers zum Angriff auf die britische Kolonie Indien von Kabul aus.

Larissa gelingt es – sie ist ja deutscher Herkunft, Deutsch ist ihre zweite Muttersprache – den deutschen Offizier ausfindig zu machen. Gleichzeitig versucht sie als inoffizielle Vertreterin des Politbüros und vor allem Trotzkis die Revolution in Deutschland zu befördern. Gelingt das – so ist nicht nur sie überzeugt – würde das einen Flächenbrand in Europa und sogar in den USA auslösen. Als Geliebte einiger wichtiger Männer bewegt sie sich sowohl in Moskau als auch Berlin zunächst recht frei. Doch Lenin hat seine Nachfolge nicht geregelt, er macht nichts, um Stalin zu verhindern, den er für einen skrupellosen Hitzkopf hält. Und der wesentlich intelligentere Trotzki steht sich bekanntlich selbst im Wege.

In „Damenopfer“ erfahren wir viel über die Stimmung in Deutschland und Russland nach dem Krieg. Zwar überfordert Kopetzky manchmal durch allzu viele Figuren seine Leser, doch in Summe ist dieser Roman ein intellektueller Genuss.


Deutschland und Russland vereinen – Ein historischer Roman über eine außergewöhnliche Bolschewikin.

Steffen Kopetzky: Damenopfer
Hanser
444 Seiten
€ 26,80

Inszenieren gegen den Autor – Frank Wedekinds „Lulu“ in den Kammerspielen

Bild: ©Christian Wind

Nicht zuletzt auch wegen der gelungenen Vertonung durch Alban Berg ist Frank Wedekinds Drama um eine kindliche Femme Fatale, die schließlich selbst zum Opfer ausgerechnet eines Lustmörders wird, noch immer viel auf den Bühnen zu sehen. Man mag die Darstellung der ebenso verhängnisvollen wie naiven Kindsfrau zurecht unzeitgemäß finden. Aber vieles in der Literatur ist eben nur interessant, weil wir es nicht bis ins Letzte verstehen. Und klarerweise muss keine Bühne dieses nicht einfache Stück heute spielen. Aber wenn es gespielt wird, wünscht man sich eine ernsthafte Auseinandersetzung und keine dem Zeitgeist folgende Belehrung durch einen Regisseur.

In den Kammerspielen macht Elmar Goerden aber genau letzteres. Er beginnt schon damit, dass seine Lulu nicht als Lustobjekt vor dem Maler Eduard, ihrem späteren ersten Ehemann, sitzen will und kurz verschwindet, ehe sie sich trotzig doch wieder hinsetzt. Bei jeder Gelegenheit wird über den Text gelästert und am Schluss kommen endlich alle darauf, dass sie das gar nicht hätten spielen sollen. Johanna Mahaffy als Lulu kann da nur verlieren. Sie muss verführerisch, kaltblütig, naiv und gleichzeitig emanzipiert sein – das ist unmöglich zu schaffen. Das Stück funktioniert aber nur dann, wenn man über sie rätseln kann und nicht wenn man erklärt bekommt, was alles daran falsch ist. Rechts auf der mit einem abstrakten Muster überzogenen Bühne ist in einem beleuchteten Schrein sogar der Theatertext präsent. Als Dr. Schön legt sich Joseph Lorenz mächtig ins Zeug, er gibt den abgebrühten Schauspieler, der spielt, was man von ihm verlangt. Als Lulu verfallene lesbische Gräfin wird Susa Meyer ausgenützt und gedemütigt – was natürlich auch nicht ohne Kommentar passieren darf.

Nun soll Goerden der Josefstadt-Direktion selbst Wedekinds „Lulu“ vorgeschlagen haben, man versteht leider wirklich nicht, was er damit bezwecken wollte. Will jemand klüger sein als die Urheber klassischer Stücke, geht das doch fast immer schief. Und wenn es schon – was längst aus der Mode gekommen ist – dekonstruiert werden muss, dann bitte bis zur letzten Konsequenz und nicht so halbherzig wie in den Kammerspielen.

Infos & Karten: josefstadt.org

Ingeborg – im Gewitter der welkenden Rosen

Bild: ©Polyfilm

Otto Brusatti zum Film „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“.

In letzter Zeit sind wieder einmal die – vielleicht – spannenden Frauen im Kino dran. Leider etwas simpel und schlimmer. Eine lesbische Super-Dirigentin namens Tár, die nicht dirigieren kann (und schon gar nicht Gustav Mahler). Dessen leicht betrügerische Frau, Alma, von der wundersamen Emily Cox gegeben und mit der Mahler-Frau wenig bis nichts zu tun habend. Von diversen Sisi/Sissi-Behübschungen reden wir lieber nicht. Apropos – eine davon ist ja die ebenfalls intensive Vicky Krips, welche aktuell in einem Frau-Trotta-Film, wie es genannt wird, „Ingeborg Bachmann – [auf der] Reise in die Wüste“ verkörpert. Man vermittelt dort die vier Jahre dauernde Beziehung der Poetin zu Max Frisch und dann – in einigen zwischengeschnittenen Film-Fetzen – Bachmanns Reisefluchtversuch vor allem nach Ägypten, gemeinsam mit ihrem Liebhaber Adolf Opel, lustig und erotisch auf der Suche nach Erholung aus der Trennungspsychose von Frisch. Und apropos Frisch – da agiert auf der Leinwand ein umgänglicher, dicklicher, oft gemütlicher, grinsender Mann, der wenig mit dem wiewohl brutalen wie ihr manchmal hündisch nachlaufenden wie sie betrügenden Schweizer Dichter zu tun hat.

Gleichviel. Sozusagen Pilcher für Maturanten. Beziehungsgewitter, nicht solitär.

Das Pech für die Regisseurin und Gestalterin ist, dass in den letzten Monaten sowohl Bachmanns Traumdarstellungen zur Eigentherapie als auch der ziemlich umfangreiche Briefwechsel zwischen den beiden herausgekommen ist. Und dort steht ganz was anderes, auch wüstes, auch peinigendes. Die Veröffentlichungen handeln von außergewöhnlichen, sich peinigenden Menschen. Sie zeigen Ingeborg Bachmann bereits am Weg in den selbst herbeigeführten Untergang, zeigen – wie viele Bilder es vermitteln – eine eitle, nur um sich kreisende, durchaus faszinierende Frau, die bereits mit 25 Jahren begann auszusehen, wie von einem heftigen Holzschnitzer gefertigt. Frisch hingegen, der von Bachmann wohl tausend Mal in ihrem Schreiben als ihr Mörder apostrophiert wird und der – zugegeben – seine heftigsten Affären in wunderbare Romane gezwängt hat, der noch diesbezüglich bis vor kurzem von der Frauenforschung gehasst worden ist, kommt vor allem als fader Kumpel rüber.

Dennoch, ein hübscher Streifen. Man hat aber von dem wohl nichts, wenn man über dessen literarhistorische Voraussetzungen nichts weiß.

Und nun doch noch was – was Böses vielleicht und mehr. Ingeborg Bachmann ist, ob mancher ihrer vor allem Gedichte und den Roman „Malina“ als besondere Poetin zurecht geschätzt. Allein, und nun kommt das Böse: Wird einmal es auch zu einer Bachmann-Neubewertung, -deutung, -abfuhr gar kommen, wenn, getragen vielleicht zunächst durchaus von wissenschaftlich-analytischer Seite dokumentiert ist, wie viel (um nicht zu sagen: wie beinahe alles) sie aus den Bildern in der Lyrik des Frisch-Vorgängers Paul Celan gezogen hat. Abgesehen davon, dass ihr fertiggestelltes Oeuvre, so sehr man es auch bereits bis hin zur letzten Skizze auseinandergenommen hat, schmäler ist als bei fast allen tatsächlich Großen der Literatur des 20. Jahrhunderts.

Aber – Frau Krips (die im Film maximal für 5 Sekunden auch als schreibende I.B. agieren darf) ist lieb und hübsch und hat eine Ausstrahlung. Immerhin doch.

In den Wiener Kinos wie z.B. Admiral, Filmcasino, Votiv, De France und mehr.

Das Grauen im Beziehungsalltag – Barbi Marković und ihr „Minihorror“

Mini und Miki sind ein Paar und leben in Wien. Sie ist Schriftstellerin und kommt aus Serbien, er arbeitet im Büro und stammt aus der Steiermark. Sie wollen „nett sein, aber nichts ist einfach“, heißt es gleich zu Beginn, denn überall außerhalb ihrer Beziehung lauert sowieso der Horror. Schon in der ersten der Geschichten über die beiden schleicht sich eine Cousine von Mini ein, die ganz harmlos tut, aber laut Mini ein „fleischfressendes Monster“ ist. Muss man schnell loswerden.

Schaurig auch die Story, in der Mini plötzlich in den sozialen Netzwerken die Befugnis erhält, fremde Beiträge zu löschen und sich gar nicht mehr von ihrem Smartphone trennen lässt oder wie Miki auf einen Arzt trifft, der ihn nicht zu Wort kommen lässt weil er ihm ununterbrochen von seinen eigenen Leiden und Symptomen erzählt. Zwischendurch trennt sich Mini von Miki, weil der zum Guru wird und erst kein Fleisch und dann nur noch Obst isst. Entlarvend komisch auch das Interview Minis mit einer Fernsehredakteurin.

Am Ende gibt es – bei den „105 weitere mögliche Horrors mit Mini und Miki“ als Draufgabe Zeichnungen der Autorin.

Barbi Marković, in Belgrad geboren und seit 2006 in Wien ansässig, schreibt in kurzen, einfachen Sätzen, die einen aber manchmal wie Axthiebe treffen. Sprachliche Verschleierungen sind ihre Sache nicht. Und deshalb wirkt ihr Alltagshorror auch so stark und unmittelbar. Ein ungemein gelungenes Buch, das man ungern aus der Hand legt, weil man immer noch mehr Geschichten von Mini und Mike lesen möchte.


Barbi Marković: Minihorror
Residenz Verlag
192 Seiten
€ 25,-