Erinnerung an eine Begegnung in New York – Zum Tod des Künstlers Claes Oldenburg

Am Dienstag wurde bekannt, dass der weltberühmte Pop-Art-Künstler Claes Oldenburg im 93. Lebensjahr verstorben ist. Mit seinen riesigen Skulpturen von Alltagsgegenständen wie Telefone, Werkzeuge oder Krawatten, die oft in der Landschaft aufgestellt wurden, veränderte er unseren Blick auf die Kunst und unsere Welt.
Bild: ©Claes Oldenburg

2011 lud das mumok zur Vorbereitung ihrer großen Oldenburg-Schau „The Sixties“ Journalistinnen und Journalisten zu einem Besuch bei Oldenburg in seinem Haus in New York ein. Wir erlebten einen sehr entspannten und sympathischen Künstler ohne Starallüren, der uns geduldig sein Atelier und seine große Sammlung an kleinen Gegenständen – sein never ending project Mouse Museum – zeigte. Zur Eröffnung seiner Ausstellung kam Oldenburg dann 2012 auch nach Wien. Zur Erinnerung an einen ganz Großen der Kunstwelt können Sie hier den wienlive-Artikel im Jänner 2012 lesen:

Die US-Kunstikone Claes Oldenburg kommt für seine sensationelle Schau im Mumok („The Sixties“) nach Wien. Wien live besuchte ihn in seinem Atelier in Soho, New York

Am Anfang war die Maus. Claes Oldenburg (Claes spricht man übrigens wie Class, wie etwa in First Class, aus), Jahrgang 1929, geborener Schwede, hat tausende von ihnen gemacht. Große und kleine, gezeichnete und dreidimensionale. Denn, was der hauptsächlich in Chicago („Ich verkaufte dort sogar Süßigkeiten am Bahnhof …“) aufgewachsene Sohn eines Diplomaten machen wollte, ließ sich am besten durch den Disney-Klassiker demonstrieren. Oldenburgs Idee in den frühen 60er-Jahren war es nämlich, Dinge unserer Alltagswelt in eine andere Form, in einen anderen Zustand zu transformieren. Da werden ein Telefon, ein Mixer oder eine Klomuschel plötzlich riesengroß und scheinbar weich. Und ein gigantisches Tortenstück wirkt hart und ungenießbar. Oldenburgs Mäuse sind auch keine Comic-Variationen, sondern differenzierte Interpretationen des Künstlers. Sozusagen das Substrat der Maus, eine „intellektuelle Maus“, wie der Künstler erklärt. Die Menschen reagieren darauf mit Beunruhigung. Auch heute noch.

Am Anfang der Ausstellung war freilich Oldenburgs Mouse-Museum. Denn dieses begehbare Mini-Museum in einer von der Mickey Mouse inspirierten geometrischen Form, gefüllt mit vom Künstler gesammelten witzigen kleinen Dingen, ist im Besitz des Wiener Mumok. Und aus diesem glücklichen Umstand – das Sammlerehepaar Ludwig hatte das Objekt sehr früh erworben – entwickelte Mumok-Kurator Achim Hochdörfer mit viel Geduld und Gespür in Wien eine Ausstellung, die nach der Premiere im Mumok in die Mekkas der internationalen Kunstwelt weiterreisen wird. Eine Sensation, denn sonst ist Wien ja zugegebenermaßen nicht der Nabel der modernen Kunst, und man ist froh, wenn man von internationalen Großausstellungen noch einen Zipfel erwischt.

Hochdörfer ist zigmal nach New York geflogen, um den Künstler zu überzeugen und jedes Detail der Schau, jede Abbildung im Katalog, zu besprechen. Oldenburg ist – auch wenn er im persönlichen Gespräch so bescheiden wirkt – ein Superstar, einer der wenigen noch lebenden Künstler jener Epoche, die man unter dem sicher etwas ungenauen Titel Pop Art zusammenfasst.

Ein Haus in Soho.

Das Atelier von Claes Oldenburg in Soho wirkt in seiner Nüchternheit eher wie das Atelier eines Architekten als das eines Künstlers. Die Mäuse und andere kleinere Kunstobjekte sind in wohldesignten Regalen untergebracht. Oldenburg: „Ich versuche meine Arbeiten wie in einem Warenhaus zu ordnen. Wenn man älter wird, ist das hilfreich und ein gutes Gedächtnistraining.“ Der Künstler erstand das schmale Haus, das früher eine Fabrik war, 1971, als sich die Gegend noch heruntergekommen und billig präsentierte und es per Gesetz verboten war, dass Künstler in ihren Ateliers wohnten. Deshalb hatten alle Klappbetten an den Wänden. Inzwischen gehört das Viertel zu den teuersten der Stadt, Künstler haben Nobelboutiquen Platz gemacht. Sogar das Guggenheim-Museum hat seine Dependance an Prada verkauft.

Geld hat Oldenburg aber nie groß interessiert. Schon früh tüftelte er an Modellen, seine „Geometric Mouse“ aus Papier durch hohe Auflagen für viele leistbarer zu machen. Und am liebsten hätte er es, wenn die Käufer seine Objekte nicht in eine Sammlung stellten, sondern mit ihnen lebten – Abnützungserscheinungen mit eingeschlossen. Auch seine Pappmäuse lassen sich immer wieder neu arrangieren und verändern.

Nach seinen großen Erfolgen in den sechziger Jahren verfertigte Oldenburg schließlich viele Riesenobjekte für öffentliche Plätze, wie etwa seinen berühmten Lippenstift auf Caterpilar-Rädern. Oldenburg wollte die Grenzen des Museums sprengen, und auf Galerien hatte er sowieso schon früh keinen Wert gelegt. Das rächte sich später. Während andere seiner Generation zu den jeweils geschicktesten Galeristen wechselten, kümmerte sich Oldenburg wenig um den Verkauf. Und der Kunstmarkt ist spätestens seit den 80er-Jahren fest in der Hand bestimmter New Yorker Galerien. Zwar ist es zu keiner Zeit still um Claes Oldenburg geworden, der bereits 1969 mit einer Werkschau im berühmtesten Museum für zeitgenössische Kunst, dem Moma New York, geehrt wurde, doch die Preise seiner Werke sind noch nicht in den schwindelerregenden Höhen etwa eines Andy Warhol. Ungefähr fünf Millionen kosten seine größeren Objekte, jene von Warhol hingegen bis zu 40 Millionen Dollar. Das wird sich allerdings nach der in den nächsten Jahren herumreisenden Ausstellung über die für Oldenburgs künstlerische Entwicklung wichtige Phase der sechziger Jahre, „The Sixties“, mit großer Wahrscheinlichkeit ändern.

Wie alles begann.

Das Frühwerk von Claes Oldenburg ist noch stark vom Abstrakten Expressionismus geprägt, doch 1956 zog er nach New York und machte dort die Bekanntschaft mit Happening-Künstlern wie Allan Kaprow. 1961 eröffnete er in seinem Atelier in New Yorks Lower East Side dann einen Laden, den er simpel „The Store“ nannte. Für viele ist das die Geburtsstunde der Pop-Art. Denn in diesem Laden gab es die ganze Palette von Alltagsgegenständen wie Nahrungsmittel, Kleider oder Schuhe zu kaufen. Allerdings hatte Oldenburg diese Objekte mit Farbe und Gips verfremdet.

Oldenburg: „In den sechziger Jahren folgte ich einfach meiner Intuition. Ich wollte weiche Skulpturen herstellen, also habe ich sie gemacht. Das war eine sehr offene Zeit, und die Künstler haben sich gegenseitig noch geholfen. Es herrschte so etwas wie ein Gruppengefühl, das es heute nicht mehr gibt, denn viele meiner damaligen Kollegen sind ja inzwischen gestorben. Die Idee der aktuellen Ausstellung ist es, vom Mouse Museum aus zurückzuschauen auf diese fruchtbare Periode.“

Im Mouse Museum, dem Zentrum der Schau,  finden sich hunderte Kleinobjekte, Kitschprodukte wie Lollys aus Plastik oder Zahnpastatuben und Eistüten. Oldenburg hat freilich niemals zu sammeln aufgehört. Mittels eines sehenswerten Lastenaufzugs kommt man in seinem Atelier in den Keller des Gebäudes – der eigentlichen Werkstatt. Und dort präsentiert der Künstler gerne auch Neuerwerbungen wie Spielzeug-Stichsägen, Popeyfiguren oder einen sprechenden Plastikkürbis. Die Party der sechziger Jahre endete für Oldenburg gefühlsmäßig mit den Morden der Manson-Kommune. Der Traum einer neuen Gesellschaft zerplatzte.

Oldenburg ging im Anschluss viel auf Reisen, auch nach Europa, und viele Menschen, die er in den sechziger Jahren regelmäßig getroffen hatte, kamen ihm aus den Augen, erzählt er im Atelier. Scheint also logisch, dass die Wiener Ausstellung das Werk Oldenburgs als abgeschlossenes Projekt präsentiert.

Wie eine Ausstellung entsteht.

Was ist nun das Besondere an Oldenburg?, will ich von dem Mann wissen, der sich seit mehreren Jahren intensiv mit diesem amerikanischen Künstler beschäftigt. „Oldenburg ist für mich einer der wenigen Künstler, die große enzyklopädische Projekte realisiert haben“, erklärt Mumok-Kurator Achim Hochdörfer. Er hat sich nach dem Ende der von ihm organisierten Cy Twombly-Schau im Mumok sofort auf Oldenburg „geworfen“: „Oldenburgs Werke sind schon lange nicht gezeigt worden, auch, weil er nach seiner Personale im Moma 1969 begonnen hat, Objekte für öffentliche Plätze – ,Large-Scale Projects‘ – zu machen. Ich hatte das Glück, dass Oldenburg von Beginn an die Idee zu der Ausstellung gefallen hat.“

Anfangs war die Schau auch gar nicht so groß geplant gewesen. Aber bald schon stieg das Interesse von Museen, die unbedingt dabei sein wollten. „Wir hätten sehr leicht 10 Stationen planen können. Aber fünf internationale Häuser sind das Maximum, was wir arbeitsmäßig leisten können.“ Wenn im Jänner 2014 im Walker Art Center in Minneapolis die Rollbalken für die Show heruntergehen, wird sich Hochdörfer fünf Jahre lang fast ausschließlich mit Oldenburg beschäftigt haben. Denn jede Station – auch jene im Moma New York – betreut Hochdörfer höchstpersönlich. Ein faszinierendes Projekt und natürlich auch ein Höhepunkt in der Karriere des geborenen Augsburgers, der in Wien studierte und noch während des Studiums vom Mumok engagiert wurde. Wie muss man sich nun das Machen einer solchen Ausstellung vorstellen? Geht man da praktisch mit einem Wunschzettel in den internationalen Sammlungen einkaufen? Hochdörfer lacht: „Das sind in der Regel knallharte Verhandlungen. Auf Anfragen für Leihgaben erhält man quasi immer Absagen. Nur im Tausch bekommt man mit etwas Glück das Gewünschte. Als Vorteil hat sich aber herausgestellt, dass Oldenburg voll hinter der Ausstellung steht. So mancher Direktor hat sich mit einem ,Der Künstler hätte es aber gerne‘ dann doch erweichen lassen.“

Der Künstler als Unternehmer.

Auch aus einem anderen Grund sieht Hochdörfer Oldenburg als Pionier. „Als er seinen berühmten ,Store‘ aufmachte, war er der Erste, der seine Kunst selbst verkauft hat. Das war damals ein Tabubruch, denn Kunst wurde ausschließlich von Galeristen vertrieben. Oldenburg schlüpfte damit in die Rolle des Unternehmers.“ Ein Gedanke, der heutigen Künstlern längst in Fleisch und Blut übergegangen ist. 

Zur Eröffnung der Schau wird Oldenburg, der im Januar seinen 83. Geburtstag nicht feierte („Ich habe noch nie eine große Geburtstagsfeier gemacht“) in Wien sein und sich anschließend auch Zeit nehmen, die Stadt zu erkunden. Erstmals besuchte er Wien in den frühen neunziger Jahren mit seiner inzwischen verstorbenen Frau, der Autorin und Historikerin Coosje van Bruggen, mit der er auch viele Projekte gemeinsam realisiert hat: „Coosje war sehr an der Geschichte der Familie Freud interessiert, und wir besuchten unseren Freund Hans Hollein. Coosje fehlt mir sehr, sie hatte nicht nur viele Ideen, sondern hat auch viel Papierkram für mich erledigt. Jetzt kann ich mich mit niemandem mehr wirklich besprechen, ob etwas gut oder schlecht ist. Aber durch die lange Zeit unserer Ehe weiß ich ziemlich genau, was sie sagen würde. Meine Arbeit für Philadelphia etwa, ich denke, sie hätte ihr gefallen.“


claes oldenburg – the sixties
„4. Februar bis 28. Mai 2012“
Mumok, 7., Museumsplatz 1

Buchtipp – Karl Ove Knausgård, Der Morgenstern

Der neue Skandinavien-Thriller

Der neue Skandinavien-Thriller kommt ausgerechnet von Karl Ove Knausgård.

Der Norweger Karl Ove Knausgård schrieb sich mit seinem autobiografischen, sechsbändigen Mammutwerk „Min Kamp“ (wörtlich: Mein Kampf) in die Spitzenriege der Weltliteratur. Eine derartige Selbstreflexion muss man natürlich mögen, zumal man heute als „alter weißer Mann“ (Knausgård ist Jahrgang 1968) nicht eben offene Türen einrennt. Aber Knausgård hat es geschafft und gilt längst als Kultautor. Als solcher hat er natürlich auch viele Feinde.

Sein neuer Roman „Der Morgenstern“ ist freilich endlich wieder ein fiktionales Werk. Und was für eines. Die knapp 900 Seiten sind erst der Anfang. Es ist daher noch unmöglich zu beurteilen, ob diese sehr spezielle Geschichte aufgeht. Knausgård überrascht nämlich mit einer Art Mysterienthriller. Er erzählt nur zwei Tage Ende August 2023, in Bergen, Norwegen. 9 Personen verfolgt er in diesen wenigen Stunden und alle sind mehr oder weniger fasziniert von einem Himmelsphänomen. Es erscheint nämlich ein besonders großer, heller Stern am Horizont, der alle rätseln lässt. Ist es eine Supernova oder die Ankündigung des Weltuntergangs? Zumal sich gleichzeitig merkwürdige Dinge ereignen. Da ist eine Straße plötzlich voller Krebse, ein Raubvogel reißt mitten unter Menschen eine Taube und Marienkäfer treten in Massen auf. Dazu kommt ein besonders grausamer Kriminalfall – drei von vier Mitgliedern einer Metal-Band werden bestialisch im Wald ermordet. Ein satanistisches Ritual? Die unsympathischste Figur des Romans ist natürlich ein Journalist, der von der Chronik ins Kulturressort strafversetzt wurde und jetzt eine neue Chance wittert – was ihn aber nicht davon abhält zu saufen und seine Frau zu betrügen, während sich sein Sohn das Leben zu nehmen versucht. Sehr breiten Raum erfährt ein Literaturprofessor aus Oslo mit seiner psychisch labilen Frau Tove, die Katzen den Kopf abschlägt, und den gemeinsamen drei Kindern. Knausgård beschreibt aber auch eine Krankenschwester, einen Kindergärtner oder eine Pfarrerin, die plötzlich einen Mann beerdigen soll, der ihr noch vor wenigen Stunden im Flugzeug auf die Nerven gegangen ist. In Wirklichkeit sind es ganz normale Alltagsszenen, die durch das Talent des Autors ziemlich lebendig werden. Keine Frage: Knausgård kann auch unterhalten. Wer bei diesem Schuss Mystik, der ja auch immer bei Haruki Murakami wohlfeil zu bekommen ist, nicht gleich abschnallt, wird „Morgenstern“ mit Interesse lesen und schon auf den nächsten Band gespannt sein.

Am Schluss noch eine Bemerkung zu dicken Büchern, die von vielen ja – von wegen Zeitaufwand – kritisiert werden. Dabei können schmale Bücher genauso leicht ausufernd sein und Nerven kosten. Echte Leserinnen und Leser haben Schmöker freilich noch nie abgeschreckt, zumal sie auf Seitenpreis berechnet, viel, viel billiger als dünne sind. Das ist doch in Zeiten einer galoppierenden Inflation ein Argument, oder?


Der neue Skandinavien-Thriller kommt ausgerechnet von Karl Ove Knausgård. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.

Karl Ove Knausgård: Der Morgenstern
Aus dem Norwegischen von Paul Berf
Luchterhand
894 Seiten
€ 28,95

Buchtipp – Amélie Nothomb, Ambivalenz

DER RÄCHER UND DAS KIND

Der Rächer und das Kind – Amélie Nothombs kurzer Roman „Ambivalenz“.

Amélie Nothomb ist nicht einfach nur eine Bestsellerautorin, sondern ein Phänomen der Pop-Kultur. Schon früh hat sie ihr eigenes Leben – das Aufwachsen als Diplomatentochter belgischer Eltern in verschiedensten Weltgegenden und mit diversen psychischen Störungen wie Magersucht – in Romanen beschrieben und so für die Literatur fruchtbar gemacht. In Paris, wo sie seit Jahrzehnten lebt, kennt man sie nicht nur aufgrund ihrer extravaganten Erscheinung – sie trägt immer große Hüte –, sondern auch wegen ihres ungewöhnlichen Lebensstils. Die Nächte verbringt sie mit Champagner, aber im Morgengrauen schreibt sie gedopt mit schwarzem Tee stundenlang manisch ihre Romane von denen sie nur wenige zur Veröffentlichung freigibt, wie sie mir bei einem Interview in Köln erzählte. Mein Versuch, sie für „EineStadt.EinBuch.“ zu gewinnen, scheiterte allerdings daran, dass sie Paris immer nur höchstens für eine Nach verlassen will.

Ihr neuer Roman „Ambivalenz“ ist natürlich wieder 100 Prozent typisch Amélie Nothomb. Es geht um die Geschichte einer seltsamen Rache eines verschmähten Mannes. Weil die schöne Reine ihren jungen Liebhaber Claude zugunsten eines bereits reichen Galans aufgibt, will der sich rächen, indem er mit der scheinbar „einfach gestrickten“ Dominique eine Familie gründet und selbst sehr erfolgreich wird. An der gemeinsamen Tochter hat er kein Interesse, obwohl sie hyperbegabt ist. Am Ende kommt es natürlich zum Bruch, aber Nothombs Erzählweise ist unnachahmbar. Sie springt nach Belieben im Plot und schafft es, gleich auf mehreren Ebenen ihrer Figuren spannend zu bleiben. Wer sich an der oft unrealistischen Handlung stößt, sollte aber einmal in Nothombs echter Familiengeschichte nachlesen… Zweifelsohne wieder ein Buch für ein paar amüsante Stunden.


Der Rächer und das Kind – Amélie Nothombs kurzer Roman „Ambivalenz“ is der neue Buchtipp von Helmut Schneider.

Amélie Nothomb: Ambivalenz
Aus dem Französischen von Brigitte Große
Diogenes
128 Seiten
€ 20,70 

Buchtipp – Milena Busquets, Meine verlorene Freundin

Als Frau in Barcelona

„Meine verlorene Freundin“ von Milena Busquets. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.

Die 1972 in Barcelona und dort auch wieder lebende Schriftstellerin und frühere Verlegerin Milena Busquets, die 2014 mit ihrem Roman „Auch dies wird vergehen“ international erfolgreich war, arbeitet nach wie vor auch als Journalistin und Übersetzerin. Ihr neues Buch „Meine verlorene Freundin“ verhandelt weniger eine Recherche nach einer verstorbenen Klassenkameradin wie der Titel suggeriert, sondern es sind die Gedanken einer Frau, nicht mehr jung, noch nicht alt mit zwei Kindern, alleinlebend und neuerdings wieder mit einem Mann zusammen. Denn die Ich-Erzählerin, die noch dazu als Autorin und Übersetzerin arbeitet, findet über die jung Verstorbene – nach gut 30 Jahren – nicht viel heraus. Sie war die Tochter von Restaurantbetreibern, die auch später noch vom Unglück verfolgt wurden. Dafür erfahren wir im Buch viel über die Freundinnen der Erzählerin, ihren Geliebten, einen erfolgreichen Schauspieler, den sie am Ende des Buches wieder verlässt, und das Lebensgefühl einer Frau in Barcelona. Das ist ganz interessant und auch sehr charmant erzählt, ergibt aber eigentlich noch nicht wirklich einen Roman. Am ehesten könnte man den Text noch als Novelle lesen – nach Goethe „eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“ – wenn man den allerdings nicht wirklich unerhörten Bericht eines Restaurantkritikers über das Schicksal der Familie der tragisch jung verstorbenen Klassenkameradin miteinrechnet. Aber die Bezeichnung „Novelle“ verkauft sich wahrscheinlich nicht so gut wie „Roman“, weshalb Verlage das zumeist vermeiden. Vielleicht ist „Meine verlorene Freundin“ aber einfach die passende Lektüre für einen entspannten Tag am Strand.


Milena Busquets: Meine verlorene Freundin
Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Suhrkamp Verlag
ISBN: 978-3-518-43047-7
136 Seiten
€ 22,70

Serie – Peaky Blinders

Peaky Blinders – Am Beispiel einer Streaming-Serie

Sagenhafte 261 Minuten – also viereinhalb Stunden – schauen die Österreicherinnen und Österreicher durchschnittlich am Tag fern oder im Netz Bewegtbild. So dokumentiert es zumindest eine aktuelle Studie. Das ist enorm viel Lebenszeit und ich will jetzt gar nicht darüber nachdenken, wie viele Menschen uns etwa erklären, sie hätten keine Zeit für Sport, Lesen oder gemeinnützige Aktivitäten. Tatsache ist freilich auch, dass das Fernsehen bei Menschen unter 30 zugunsten von Streaming immer stärker abnimmt und schon an zweiter Stelle steht. Und Tatsache ist auch, dass Serien das stärkste Argument für Streaming-Dienste sind. Und das ist eine Frage der Qualität.
Foto: Netflix

Klar gibt es auf Netflix und Co auch sehr, sehr viel Schrott. Erfreulicherweise haben sich die Ästhetik und die Machart der Spitzenserien aber wirklich weiterentwickelt. Sie stehen echten Filmkunstwerken um nichts nach. Natürlich gab es auch schon vor Streaming wirklich tolle Serien, meist bei den amerikanischen Bezahlsendern wie HBO. Man erinnere sich etwa nur an die Sopranos, Wire oder Six feet under. Aber diese zeichneten sich vor allem durch ein intelligentes Drehbuch und herausragende Schauspielerleistungen aus. Bei manchen aktuellen Serien kann man aber längst die Fortschritte in der filmischen Erzählweise und nicht zuletzt bei der Kameraführung sehen. Bestes Beispiel ist die letzte Staffel von „Peaky Blinders“, einer Zusammenarbeit von Netflix und BBC.  Da haben die Kameraleute grandiose Bilder zu dieser ebenso skurrilen wie zeitgeschichtlich interessanten (wir erleben das Aufkommen des Faschismus in England zur Zeit Hitlers) Geschichte geliefert. Man kann das nur episch nennen und dass der Gangsterboss vor seinem – wegen einer gefakten Krankheit – für sicher gehaltenem Ende eine Sozialsiedlung auf seinem Grund bauen will, erinnert gar an den Deichbau des Dr. Faust.


peakyblinders.tv

Buchtipp – Tahmima Anam, Unser Plan für die Welt

Existenzielle Supergaus

Tahmima Anams „Unser Plan für die Welt“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.

Eine wahrlich internationale Biografie: Tahmima Ahnam wurde 1975 in Bangladesch geboren, wuchs in Paris, New York und Bangkok auf, studierte an der Harvard University und lebt in London. Seit 2010 veröffentlicht sie vielbeachtete Romane, ihr neuester „Unser Plan für die Welt“ spielt in New York, wo Asha, Cyrus und Jules ein Start-up gründen, das zu einer Art spirituellem Facebook wird. Mehr noch als ein Gründerroman ist das Buch allerdings eine Liebesgeschichte, denn Asha und Cyrus sind ein Paar und alle, die sich in der Szene auskennen, rechnen damit, dass der wirtschaftliche Erfolg und die Mühen des Aufbaus ihrer Liebe den Garaus machen wird. Noch dazu wo die beiden ziemlich unterschiedliche Charaktere sind. Asha, deren Familie aus Bangladesch eingewandert ist, hat nicht nur eine technische Begabung – sie programmiert die neue Plattform –, sondern auch die Idee dahinter. Denn Cyrus saugt alles Spirituelle auf wie ein Schwamm und kennt sich auch noch bei den abgelegensten Religionen dieser Welt aus. Die Idee der neuen App: Sie soll all jenen eine Heimat bieten, die in unserer zunehmend säkularisierten Gesellschaft Hilfe brauchen wenn sie etwa ihre Katze oder ihren Großvater begraben müssen oder eine perfekte, stilvolle Hochzeit ohne Priester feiern wollen. Ihr Freund Jules ist der einzige mit reicher Familie, deren Mitglieder ihn allerdings nicht ernst nehmen. Gemeinsam arbeiten sie unter dem Dach einer stylischen New Yorker Entwicklerfirma, die sich auf Apps für den als sicher angenommenen Weltuntergang spezialisiert hat, an einer Plattform, die sich bald als Ersatzreligion entwickelt. Cyrus wird für viele zu einem neuen Messias während er lernen muss, sein Charisma auch geschäftlich auszunützen um Geldgeber zu überzeugen.

„Unser Plan für die Welt“ liest sich sehr locker, die Schwierigkeiten bei der Gründung und Etablierung eines Start-ups werden sehr realistisch dargestellt. Anam schafft es auch immer neue – oft auch skurrile – Charaktere einzuführen. Sprachlich zwar nicht immer top entwickelt die Geschichte einen unwiderstehlichen Sog. Sehr gelungen ist ihr auch die Darstellung der speziellen Schwierigkeiten, die sich in dieser noch immer männerdominierten Szene für Frauen auftun. Als Asha vor der dann eintretenden drohenden Katastrophe warnt, wird sie aus dem Vorstand gedrängt. Dass es schier unmöglich ist mit einem Mann zusammenzuleben, der als neuer Jesus auftritt, versteht sich natürlich von selbst. Ein wunderbarer Roman, der sich auch als spannende Strandlektüre eignet.


Tahmima Anam: Unser Plan für die Welt
Aus dem Englischen von Kirsten Risselmann
Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3-455-01426-6
352 Seiten
€ 22,70

Buchtipp – Fang Fang, Wütendes Feuer

DIE HARTE REALITÄT FÜR CHINESISCHE FRAUEN – HELMUT SCHNEIDERS BUCHTIPP

Die harte Realität für chinesische Frauen – Fang Fangs eindrucksvoller Roman „Wütendes Feuer“.

Das Bild von China ist das der neuen wirtschaftlichen Supermacht mit Millionenstädten, die manche westliche Metropolen wie Kleinstädte ausschauen lassen – doch das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. In „Wütendes Feuer“ sehen wir eine andere Wirklichkeit. Die chinesische Schriftstellerin Fang Fang wurde 2020 bei uns mit ihrem Blog aus dem komplett gesperrten Wuhan („Wuhan Diary“) bekannt. In China ist sie, die sich bis dahin niemals offen gegen die Regierung gestellt hatte, aber schon längst eine literarische Größe. Jetzt erschien erstmals in deutscher Übersetzung ihr Roman „Wütendes Feuer“ aus dem Jahr 2002 über die besonders für Frauen schlimmen sozialen Verwerfungen im Zuge der Einführung der kapitalistischen Marktwirtschaft. In den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts boomte plötzlich die Industrie im Süden Chinas und die bis dahin dominierende Landwirtschaft litt unter der Abwanderung der Intelligenz. Nur die Alten und Arbeitsunwilligen blieben zurück. 

Fang Fang schildert nun in ihrem Roman das Schicksal des aufgeweckten Mädchens Yingzhi, das eine für sie fatal falsche Entscheidung trifft, als sie sich mit einem Nichtsnutz einlässt und schwanger wird. Im Dorf herrschen noch die alten patriarchalen Clan-Regeln – mit der Hochzeit wird sie Teil der Familie ihres Mannes und muss für sie arbeiten, während ihr von den Eltern verwöhnter Mann an nichts anderes als seine Vergnügungen denkt und auch noch munter Spielschulden anhäuft.  Zwar kann die als Sängerin begabte Yingzhi bei Auftritten viel Geld verdienen, doch für einen Hausbau reicht es wegen der Spielsucht ihres Mannes nicht. Statt selbst zu arbeiten ist er – bald schon nicht grundlos – eifersüchtig und schlägt sie fast tot. Fang Fang hat die Geschichte in eine Rahmenhandlung gestellt. Im ersten Kapitel sitzt Yingzhi bereits im Gefängnis, aber auch ohne diesen Hinweis ahnen wir als Leser schon bald, dass ihr Schicksal bereits besiegelt war, als sie schwanger wurde. Aber natürlich hofft man bis zum Schluss, dass sich für sie ein Ausweg auftut, sie es als Arbeiterin in den Süden schafft oder zumindest die schwer verpönte Scheidung erzwingen kann.

Die Jahrzehnte des Maoismus samt der verheerenden Kulturrevolution haben die jahrtausendealten chinesischen Strukturen mitnichten verändern können, wie Fang Fang mit ihrer Geschichte von Yingzhi eindrucksvoll aufzeigt. Wir erfahren viel in diesem Roman über den Umbruch in der chinesischen Gesellschaft, der mit Sicherheit noch lange nicht abgeschlossen ist. Der Roman zeichnet ein komplett anderes Bild von China.  


Die harte Realität für chinesische Frauen – Fang Fangs eindrucksvoller Roman „Wütendes Feuer“ ist Helmut Schneiders Buchtipp.

Fang Fang: Wütendes Feuer
Aus dem Chinesischen von Michael Kahn-Ackermann
Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3-455-01384-9
206 Seiten
€ 22,70

Musiktipp – Wilco, Cruel Country

Das Country-Album für Nicht-Country-Fans

Das Country-Album für Nicht-Country-Fans: Wilcos „Cruel Country“ ist ein Meisterwerk.

Ebenso zufällig wie gespenstisch: Wenige Tage nach dem unfassbaren Schul-Massaker in Texas, veröffentlichte die Chicagoer Band Wilco ihr 12. Studio-Album mit dem Titel „Cruel Country“ in dem Songschreiber und Gitarrist Jeff Tweedy singt: „I love my country like a little boy / Red, white, and blue / I love my country, stupid and cruel“. Und natürlich musste da jeder halbwegs wache Geist da nicken, denn anders als „stupid and cruel“ kann man einen Staat mit Waffengesetzen, die jeden 18jährigen – also drei Jahre bevor er Alkohol und Tabak legal konsumieren kann – erlauben, sich mit Sturmgewehren einzudecken, wohl nicht nennen. Aber das ist nur ein Aspekt dieses Doppelalbums mit 21 neuen Songs, das bis Juli nur als Stream verfügbar ist. Zwar waren die Jungs aus der großen Stadt im Norden der USA immer schon ein wenig Country-verliebt, aber „Cruel Country“ ist quasi das erste komplette Country-Album. Freilich eines, das auch Menschen lieben können, die Orgel, Banjo und rollenden Bassläufen auf der Westerngitarre hassen. Es sind einfach wirklich gute Songs einer Band, die sich niemals um Grenregrenzen scherte.

Denn bei diesem Album spürt man in jedem Ton, dass es Jeff Tweedy um eine ehrliche Aufarbeitung seines Verhältnisses zu seiner Heimat geht. Und er ist sich der vielen Widersprüche voll bewusst. In einem Interview erklärt er: „When you love your family you forgive a multitude of sins and we are a family as a country that is dysfunctional.“

Faszinierend an dem Album ist aber auch, dass die Songs bei mehrmaligem Hören ins Ohr gehen, ohne dass man einzelne Songs herausnehmen könnte. „Cruel Country“ präsentiert sich als ein Gesamtkunstwerk, das man jetzt schon mit Klassikern wie Neil Youngs „Harvest“ oder Johnny Cash „At San Quentin“ vergleichen kann.


Buchtipp – Raffaela Romagnolo, Das Flirren der Dinge

Der Fluch der Vorsehung

Helmut Schneiders Buchtipp: Raffaella Romagnolos Nachfolgeroman nach dem Welterfolg „Bella Ciao“.

Die Italienerin Raffaella Romagnolo wurde vor zwei Jahren mit ihrem transatlantischen Familienroman „Bella Ciao“ auch bei uns bekannt. Die im Piemont lebende Autorin kann zweifelsohne packend persönlichen Geschichten erzählen, die innigst mit der Geschichte Italiens verwoben sind. Ganz nebenbei lernt man bei ihr immer auch jede Menge Historie. Das gilt auch für ihren neuen Roman „Das Flirren der Dinge“, in dem Romagnolo das Schicksal eines Waisenkindes in Genua mit der italienischen Freiheitsbewegung unter und nach Garibaldi und Mazzini verknüpft. Antonio wird wie durch ein Wunder vom Fotografen Alessandro Pavia zum Lehrling auserkoren, obwohl er auf einem Auge fast blind ist. Fotografieren in der Mitte des 19. Jahrhunderts war ein kompliziertes Handwerk, man musste mit Platten und Substanzen umgehen können und die Porträtierten durften sich minutenlang nicht bewegen. Pavia, ein überzeugter Republikaner, hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Mitstreiter Garibaldis beim berühmten Zug der Tausend zu fotografieren und die Abzüge dann zu verkaufen. Ein Unternehmen, bei dem er allerdings grandios scheitert und vor seinen Gläubigern in die USA fliehen muss.

Doch sein Lehrling Antonio macht indessen Karriere – auch weil er sich nicht scheut, für die geschäftstüchtige Puffmutter Madame Carmen Abzüge ihrer Modelle anzufertigen. Allerdings lastet auf Antonio der Fluch der Vorsehung. Wenn er mit seinem kranken Auge durch das Objektiv blickt, sieht er den zukünftigen Tod seiner Porträtierten in allen Details. Und das will er bei manchen – vor allem bei Menschen, die ihm lieb sind – sicher nicht sehen…

„Das Flirren der Dinge“ ist ein wunderbar lesbarer Roman, der sich für historisch Interessierte sogar als Strandlektüre eignet – ich brauchte dafür 3 Nachmittage im Bad… Romagnolo kann wirklich sehr gekonnt historische Ereignisse wie den Hungeraufstand in Mailand von 1898, der von König und Armee blutigst niedergeschlagen wurde, in die Handlung integrieren. Und sie schafft es, Personen zu zeichnen, die so lebendig wirken, dass man sich schon nach wenigen Seiten um ihr Schicksal bangt.


Raffaella Romagnolo: Das Flirren der Dinge
Aus dem Italienischen von Maja Pflug
Diogenes Verlag
ISBN: 978-3-257-07196-2
368 Seiten
€ 24,70

Buchtipp – Dirk Kurbjuweit, Der Ausflug

Menschenjagd im Flussdelta

Vier Berliner Freunde seit Jugendtagen wollen sich mit Paddeln und gemütlichen Picknicks ein nettes Wochenende an einem Flussdelta gönnen.

Alle vier sind gut drauf und halbwegs mit ihren Leben zufrieden. Doch als sie am Abend vor dem Paddelausflug im örtlichen Gasthof zu Abend essen, schlägt ihnen Feindlichkeit entgegen – speziell Josef, der zwar in Deutschland aufgewachsen und als Apotheker in Berlin hochangesehen ist, dessen Hautfarbe aber schwarz ist. Man verwehrt ihm den Gang aufs Klo, was alle vier natürlich empört. Sollen sie den Ausflug abbrechen?

Dirk Kurbjuweit – im Hauptberuf Spiegel-Journalist – hat schon einige spannende Romane vorgelegt. In „Der Ausflug“ geht es um Fremdenfeindlichkeit, und dabei natürlich nicht nur unter der Landbevölkerung, denn Kurbjuweit stellt auch die liberale Gesinnung der vier Freunde auf die Probe. Als sich die vier – die Geschwister Bodo und Amalia sowie Gero und Josef – verirren, werden sie nach einer Reihe von unangenehmen Zwischenfällen mit den Landbewohnern mittels eines mit einer Drohne transportierten Pakets vor eine schwere Entscheidung gestellt. Im Paket befindet sich nämlich nebst einem Revolver mit einem Schuss Munition ein Zettel, der ihnen den sicheren Tod in Aussicht stellt, wenn sie Josef nicht umbringen. Niemand zweifelt daran, dass das bitterernst gemeint ist. Die letzten Seiten des Romans lesen sich dann naturgemäß wie ein Thriller, das Ende soll hier auch nicht verraten werden. Kompliziert ist die Story auch, weil Josef einmal mit Amalia zusammen war und sie ihr gemeinsames Kind abtreiben ließ, ohne ihm davon zu erzählen. Sie begründet das mit der ungünstigen Zeit noch vor dem Studium, er sieht darin ein Ressentiment gegenüber seiner Hautfarbe. Interessanterweise weigert sich der Autor das N-Wort auszuschreiben, obwohl natürlich klar ist, dass es zumindest die Landbevölkerung verwendet. Wozu das gut sein soll, ist fraglich, denn wie soll man über etwas schreiben ohne es zu benennen?

„Der Ausflug“ ist ein spannendes Buch zu einem wichtigen Thema, das sich problemlos an einem Wochenende lesen lässt. Eine differenziertere Personenzeichnung hätte der Geschichte allerdings gutgetan, die Einheimischen sind bloß wandelnde Klischees. Mitten im Roman verweist Kurbjuweit auch noch auf eine berühmte Szene in Joseph Conrads „Herz der Finsternis“, ohne dass er mit dem eingeführten Personal – einem Guru samt weiblicher Gemeinde – viel anfangen kann.


Dirk Kurbjuweit: Der Ausflug
Penguin Verlag
ISBN: 978-3-328-60171-5
188 Seiten
€ 20,60