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John Irving

John Irving wird 80


John Irving wird 80 – wir bringen ein Interview, das in Vorbereitung auf seinem Wien-Besuch 2005 bei „EineStadt.EinBuch.“ entstand.
Text: Helmut Schneider / Foto: Basso Cannarsa


John Irving, geboren 1942 in Exeter, New Hampshire, ist einer der erfolgreichsten Autoren weltweit. Viele seiner Romane wurden zu Weltbestseller, vier davon wurden verfilmt. 2000 erhielt er einen Oscar für die beste Drehbuchadaption für die Verfilmung seines Romans Gottes Werk und Teufels Beitrag.

Seit Jahren lebt Irving mit seiner kanadischen Frau in Toronto, wo ich ihn anlässlich der Wiener Gratisbuchaktion „EineStadt.EinBuch.“ auch besuchen durfte. 2005 wurde nämlich sein Erstlingsroman „Laßt die Bären los!“ in 100.000 Exemplaren in Wien verteilt. Irving lebte nämlich nach dem Weltkrieg eine Zeitlang in Wien und „Laßt die Bären los!“ ist eine Wiener Geschichte. Wie es zu diesem Buch kam, erzählte er mir im Interview – siehe unten. Wir gratulieren John Irving zu seinen 80. Geburtstag am 2.3.2022. 2023 soll wieder ein umfangreicher Roman von John Irving erscheinen.

Interview mit John Irving, geführt am 21. Dezember 2005 in Irvings Wohnung in Toronto

Das erste Buch eines Schriftstellers ist ja immer etwas Besonderes. Was sind Ihre Gefühle, wenn Sie an „Laßt die Bären los!“ zurückdenken?

IRVING: Es war ein Glücksfall für mich. Denn ich wählte zufällig eine Geschichte, die ich kannte, und somit hatte ich für meinen Roman sozusagen ein Fundament in der Faktenwelt. Eine der Geschichten, die ich in Wien erfuhr, war nämlich, dass während des Krieges die Tiere im Zoo sicher waren. Niemand bedrohte sie. Aber als die Wiener wussten, dass die Stadt fallen und von den Russen eingenommen werden würde, waren die Tiere des Zoos plötzlich verschwunden. Die Wiener waren sicher schon vorher hungrig und verzweifelt – aber sie beschützten den Zoo. Als sie hörten, dass die Sowjets kämen, wollten sie ihnen anscheinend die Tiere nicht überlassen. Es gibt allerdings keine schriftlichen Aufzeichnungen von dieser Geschichte, sondern das war etwas, was sich die Menschen in Wien erzählt haben. Ich habe mit Überlebenden darüber gesprochen; auch mit Menschen, die im Zoo arbeiteten, als die Stadt bombardiert wurde, und die die Tiere damals in Sicherheit gebracht haben.

Diese Zoo-Geschichte hat mich bewegt. Daneben zog ich Parallelen zu meiner Generation in den USA. Meine Generation wuchs auf, als Krieg in Vietnam war; aber sie wuchs auch auf mit den Erinnerungen an die Vätergeneration, die in einem anderen Krieg – dem Zweiten Weltkrieg – gewesen war. Die Vätergeneration konnte ja stolz sein auf ihren Einsatz im Weltkrieg. In meiner Generation war aber niemand mehr stolz darauf, im Vietnamkrieg zu kämpfen. Ich sah die österreichischen Studenten, die eine ähnliche, aber auch unterschiedliche Erfahrung wie ich hatten. Sie waren stolz auf einige Geschichten, die sie über ihren Krieg gehört hatten, aber ganz sicher nicht auf alle. Sie hatten das Gefühl, dass sich ein wichtiger Moment in der Geschichte bereits ereignet hatte, bevor sie auf die Welt gekommen waren. Aber für sie war das bereits Vergangenheit und sie fühlten sich nicht mehr dafür verantwortlich.

Was mich damals bewegte, war nun Folgendes: Ich fand zwar, dass es gute Beweggründe für einen Protest gegen den Vietnamkrieg gab, aber persönlich habe ich nie daran geglaubt, dass das irgendetwas bewirken könnte. Wir – die Amerikaner – sind letztendlich aus Vietnam abgezogen, weil wir verloren hatten und nicht weil wir auf irgendeine Meinung gehört hätten. Ich wollte dazu eine Geste finden, die ähnlich gut gemeint war, aber völlig dumm ist. Diese Jugendlichen in „Laßt die Bären los!“ haben ein gutes Herz, aber sie irren sich ja vollkommen – die Befreiung des Zoos endet in einem Desaster.

Ich hatte das Gefühl, die Frustrationen meiner Generation beschreiben zu müssen, obwohl ich persönlich mit Glück dem Vietnamkrieg entkommen bin. Ich war 1961 zu einer Offiziersausbildung vorgemerkt, weil ich damals Ringer war, und ich dachte, falls ich einen Einbruch hätte und nicht mehr ringen könnte, würde das Militär für mich die restliche Universitätsausbildung bezahlen. Das war für mich eine Absicherung. Ich wäre 1965 als Leutnant sicher nach Vietnam gekommen. Die Armee dachte damals, es wäre gut, wenn ich mein Deutsch verbessern würde und in ein deutschsprachiges Land käme. Aber als ich von Wien zurückgekommen war, habe ich gesehen, dass niemand mit meiner Ausbildung zum Dienst nach Berlin kommen würde. Ich bin da einer Katastrophe entkommen.

Darüber zu schreiben, war für mich nicht sinnvoll – weil das damals ja jeder tat. Jeder wurde auf die eine oder andere Weise vom Vietnamkrieg vereinnahmt. Ich dachte daher, dass ich einige Aspekte der Verunsicherung meiner Generation besser darstellen könnte, wenn meine Helden Österreicher und nicht Amerikaner wären. Und wenn sie gegen eine andere Historie rebellieren würden. Meine persönliche Biografie war hingegen wieder vom Zufall bestimmt. Ich heiratete, bevor ich Europa verließ, und mein erster Sohn wurde geboren, als ich noch an der Uni war. Das machte mich unantastbar für das Militär, denn sie nahmen keine Väter.

Sie hatten also einfach Glück.

Ja, das hatte ich. Denn dadurch sind mir die ganzen Überlegungen, was ich tun soll, erspart geblieben. Damals haben die jungen Menschen ja viele Dinge angestellt, um nicht nach Vietnam zu kommen – von Finger abschneiden bis sich ins Bein schießen. Aber ich hatte sozusagen eine Freikarte und schrieb stattdessen meinen ersten Roman „Laßt die Bären los!“

„Laßt die Bären los!“ ist also doch auch ein amerikanischer Roman.

Der Vietnamkrieg und die Generation, die mit diesem Krieg leben musste, waren der Hintergrund für das Buch. Denn man kann die Geschichte manchmal nicht richtig beurteilen, wenn sie gerade passiert. Aber es war leicht für mich, eine geschichtliche Periode zu beschreiben, die bereits vorbei war – konkret eben all die Verrücktheiten in Jugoslawien während des Zweiten Weltkrieges. Und es war leichter, diese Geister zum Leben zu erwecken und die zwei jungen, naiven österreichischen Studenten zu erschrecken. Und ich konnte es so aus dem amerikanischen Kontext nehmen, gleichzeitig aber das Thema behandeln.

Als das Buch zum ersten Mal erschien, bekam es gute Kritiken, wurde aber von den Lesern nicht viel beachtet. Aber ich verkaufte die Taschenbuchrechte und jemand wollte sogar einen Film daraus machen. Ich ging sogar zurück nach Wien, um am Drehbuch zu arbeiten. Es passierten interessante Dinge, aber nicht ein Kritiker von „Laßt die Bären los!“ sah Parallelen zum Vietnamkonflikt. Erst als das Buch in einige europäische Sprachen übersetzt wurde – speziell ins Französische und ins Deutsche –, erkannten die jeweiligen Kritiker, dass die Fatalität und Verzweiflung viel mit Vietnam zu tun hat. Die Franzosen und Deutschen sahen das als eine Art Parodie auf Vietnam. Allerdings wurde „Laßt die Bären los!“ eben erst zehn Jahre später, nämlich nach meinem Erfolg mit „Garp“, übersetzt.

Sie müssen für „Laßt die Bären los!“ viel  österreichische und jugoslawische Geschichte studiert haben.

Mein Vater war Geschichtslehrer und so wusste ich von ihm, wie man sich Geschichte aneignet. Und ich wusste auch, dass die interessantesten Aspekte der Geschichte nicht die großen sind, sondern die eng umrissenen. Spannend ist sozusagen eine Art Tunnelblick auf die Geschichte. Man muss ganz tief in ein sehr begrenztes Feld gehen, um den Schlüssel für eine Zeit oder Epoche zu finden. Beispielsweise den Prozess studieren, in dessen Verlauf Mihailovic´ von einem Helden zu einem Schurken wurde und dann wieder zu einem Helden. Das ist ja noch immer nicht abgeschlossen im früheren Jugoslawien. Offensichtlich haben aber die Deutschen im Zweiten Weltkrieg mit ihrem Überfall auf Jugoslawien ahnungslos einen bereits bestehenden Krieg unterbrochen.

Weiters war für mich jene Zeit interessant, als Wien geteilt war. Einer meiner Lieblingsfilme als Jugendlicher war „Der dritte Mann“, mit den Szenen auf dem Schwarzmarkt und dem Leben im Untergrund. Das hat mich fasziniert.

Ich hatte jedenfalls schon mit dem Schreiben angefangen, als ich nach Wien gekommen bin, und der Lehrer, den ich hatte – auch ein Schriftsteller – riet mir, dass ich ins Ausland gehen solle. Denn all die Dinge, die einem in all den Jahren als normal vorkommen – so simple Sachen wie eine Milchflasche oder eine Zahnpastatube –, sieht man dann ganz anders. Wenn man ins Ausland geht, heißt das automatisch, dass einem die Augen geöffnet werden für  einfachste Dinge – wie etwa dass der Kaffee in einem anderen Häferl serviert wird. Völlig unbedeutende, alberne Sachen. Aber die Erfahrung, wenn man in einem fremden Land lebt, ist die, dass man dort zunächst jedes Detail bewusst wahrnimmt. Und das gehört ja zum Handwerkszeug eines Schriftstellers, etwas, das ich durch meine erste Reise erfahren habe.

Ich habe hier in Wien zum ersten Mal begriffen, dass ich mein Leben lang immer wieder aus meiner Heimat herauskommen muss. Ich würde immer reisen müssen. Eine Zeit lang ging ich mindestens zwei bis drei Mal im Jahr nach Europa. Ich lebe sehr gerne einen Teil des Jahres in Kanada, nicht nur weil es das Heimatland meiner Frau ist, sondern weil es immer wichtiger wird, sein eigenes Land von außen zu sehen. Wenn man immer nur als Inländer sein Land betrachtet, sieht man gar nichts. Ich behaupte: Wenn mehr Amerikaner ihr Land mit den Augen anderer sehen würden, könnte Bush niemals ihr Präsident sein.

Ich lernte in Wien viel über eine bestimmte Phase der österreichischen und jugoslawischen Geschichte. Das sieht man ja auch im Roman. Aber im Rückblick war die Zeit in Wien nicht deshalb so wichtig für mich, weil ich so viel über Wien erfahren habe, sondern weil es meine erste Erfahrung damit war, meine Heimat aus der Distanz zu sehen. Ich verbringe heute noch viel mehr Zeit mit meinen europäischen Verlegern als mit meinen Verlegern in New York. Dort ist das, offen gesagt, einfach eine Geschäftssache, es gibt da keine persönliche Beziehung. Ich mache in den USA auch viel weniger in den Medien als in Europa. Und ich habe auch mehr mit meinen kanadischen Verlegern als mit meinen amerikanischen zu tun. Und natürlich ist es auch viel interessanter für mich und meine Familie, nach Berlin, Hamburg oder Wien zu fahren als nach Kansas City.

Und nicht zuletzt lernte ich in Wien viel über Musik. Ich habe damals schon gerne Opern gehört – obwohl ich nie eine im Theater gesehen habe. Aber viele meiner Romane haben auch etwas Opernhaftes. Man könnte sagen, dass meine Geschichten viel mehr Gemeinsamkeiten mit Opern haben als mit Romanen anderer Autoren.

Auch meine ersten Erfahrungen im Drehbuchschreiben habe ich in Wien gemacht. Ich hatte keine Ahnung, wie man ein Drehbuch schreibt, als mich Direktor Irvin Kershner einlud, mit ihm das Drehbuch zu „Laßt die Bären los!“ zu schreiben. Ich hatte absolut keine Idee, wie man diesen Roman verfilmen könnte. Aber gefreut hat mich vor allem, dass ich dafür nach Wien geschickt wurde.

Sie waren ja im Schloss Eichbüchl untergebracht – einem für die österreichische Geschichte wichtigen Ort –, also gar nicht in Wien.

Ja, aber ich kam fast jeden Tag nach Wien und war viel im Theater. Aber auch das Schloss habe ich sehr geliebt. Da wohnte mein ehemaliger Professor, den ich von meiner Studienzeit her kannte.

„Laßt die Bären los!“ ist gekennzeichnet durch die für Sie sehr spezielle Mischung aus Komödie und Tragödie. Wir lernen da zwei junge Menschen kennen und lieben und dann stirbt einer ganz unvermutet. So etwas erwartet man nicht – es sei denn, man ist ein gelernter Irving-Leser.

Ja, das wurde sehr charakteristisch für mich. Die Figuren in meinen Romanen tun oft etwas, weil Menschen verloren gehen. Hannes Graff hat nicht einmal die Hälfte von Siggis Vorstellungsvermögen und er hat auch nicht annähernd so viel historischen Hintergrund. Graff ist ein Gefolgsmann. Es war meine erste Erfahrung als Autor mit dem Thema Verlust eines geliebten Menschen. Ich habe das später noch ausführlicher dargestellt.

In der Figur von Graff spiegelt sich aber auch so etwas wie die naive erste Annäherung eines Amerikaners an die europäische Kultur wider. Da sind auch meine Erfahrungen als Amerikaner in Wien drinnen. Ich stieß hier in Wien auf eine Kultur, die bis zum Römischen Reich zu-rückreicht, während unsere eigene ja gerade einmal ein paar hundert Jahre ausmacht. Dabei kam ich ja vom einzigen Teil Amerikas, wo es wirklich so etwas wie eine Historie gibt. Wir waren ja zumindest eine englische Kolonie. Dabei stellt sich Neuengland höchst unterschiedlich zum Rest von Amerika dar. Es war etwa definitiv keine gute Wahl, John Kerry gegen Bush ins Rennen zu schicken. Weil Kerry den ältesten, am besten gebildeten und geschichtsbewusstesten Teil der USA repräsentiert. Die meisten Amerikaner fühlen sich da nicht angesprochen.

Komödie und Tragödie waren in meinem Denken immer beisammen. Das hängt auch mit meinen Leseerfahrungen als Heranwachsender zusammen. Meine erste Liebe als Leser war Charles Dickens. Dickens ist auch in einer Minute tragisch und in der nächsten voll Komik. Und in meiner Zeit in Wien habe ich die „Blechtrommel“ von Günter Grass gelesen. Keine Frage, dass Grass auf mein erstes Buch Einfluss hatte. Und auch bei Grass gibt es diese Kombination von Tragödie und Komödie – da stirbt auch jemand von einer Minute auf die andere. Grass ist eben auch sehr „dickenshaft“. Auch in dem Punkt, dass er eine soziale Intention hat. Grass ist ein Moralist – genauso wie ich. 

Wie entwickeln Sie Ihre manchmal ja sehr ungewöhnlichen Ideen?

Was ich brauche, ist Folgendes: Ich muss jene Obsessionen meiner Charaktere kennen, die sie nicht kontrollieren können. Denn es muss etwas geben, das sie außerhalb der Norm agieren lässt, sie sogar zu Helden machen kann. Wenn ich eine Romanfigur gefunden habe, die von etwas besessen ist, weiß ich, dass ich damit arbeiten kann.

Nach meiner Erfahrung haben Sie in Wien besonders viele weibliche Fans. Überrascht Sie das?

Das ist sicher richtig, aber keine österreichische Besonderheit. Ich denke, dass einfach viel mehr Frauen Romane lesen als Männer. Wenn Männer überhaupt lesen, lesen sie eher Sachbücher. Das ist in den USA so wie auch überall sonst. Jedes Mal wenn ich in ein Flugzeug steige, sehe ich, dass wenn Männer überhaupt Romane lesen dann jene von John Grisham oder Tom Clancy. Aber meistens lesen Rechtsanwälte Bücher über Gesetze usw. Wenn mich jemand anspricht – im Flugzeug oder wie gestern beim Weihnachtseinkauf –, dann ist das in neun von zehn Fällen eine Frau. Oder – was auch vorkommt – ein Mann erzählt mir, dass ich der Lieblingsschriftsteller seiner Frau, seiner Tochter oder seiner Mutter bin.

Lesen Sie selbst aktuelle amerikanische Literatur?

Ich war ein sehr eifriger Leser als Kind und Heranwachsender. Jetzt lese ich nur dann viel, wenn ich gerade zwischen zwei meiner Romane bin. Wenn ich also gerade einen neuen Roman abgeschlossen habe und mir nur Notizen für den nächsten mache. Da schreibe ich dann zwei Stunden am Tag anstatt zehn. In dieser Phase kann ich dann auch viel lesen. Im Prozess des Schreibens arbeite ich sehr lange Zeit jeden Tag am neuen Roman und lese gar nichts. So gibt es eben nur alle drei, vier, fünf Jahre diese Periode – die ungefähr ein halbes bis ein ganzes Jahr dauert –, in der ich lesen kann. Leider habe ich aber auch mit dem Drehbuchschreiben begonnen, sodass meine Schreib-pausen immer kürzer werden. So bin ich nicht mehr der eifrige Leser, der ich einmal war. Aber es gibt natürlich Autoren, die ich lese und schätze. Nicht allzu viele amerikanische – Hemingway verabscheue ich geradezu und ich war auch nie an Faulkner oder Fitzgerald interessiert wie viele meiner intellektuellen Freunde. Am bedeutendsten sind für mich, wie gesagt, Dickens und auch Thomas Hardy.

Von den lebenden Autoren schätze ich Günter Grass, Gabriel García Márquez und Salman Rushdie. Und kanadische Autoren finde ich besonders interessant. Ich habe mehr Freude an kanadischer Literatur, weil Toronto die Stadt ist, in der ich einen Teil des Jahres lebe. Dann habe ich natürlich auch Freunde, deren Bücher ich immer lese, wie den bereits erwähnten Salman Rushdie oder Julian Barnes, mit dem ich eng befreundet bin. Ebenso verbunden bin ich mit Michael Ondaatje und Peggy Atwood. Seit dem Tod von Robertson Davies schlage ich jetzt immer Alice Munro vor, wenn mich das Nobelpreiskomitee fragt. Bei Davies bin ich ja nicht erfolgreich gewesen. Ich hoffe, dass Alice den Preis bekommt, bevor sie stirbt.

Für Freizeitbeschäftigungen haben Sie demnach – außer fürs Ringen – nicht mehr viel Zeit.

Ringen mache ich seit meiner Verletzung nicht mehr – das habe ich meiner Frau versprochen. Zumal die Verletzung einen Finger betroffen hat, mit dem ich schreibe. Das konnte ich dann sechs Monate lang nicht. Aber ein bisschen Boxen und Kickboxen mache ich wieder. Und ich bin jeden Tag im Fitnessraum. Daneben laufe ich, fahre ich Rad, aber auch Ski und spiele ich Tennis.

(Das Interview führte Helmut Schneider – Alice Munro hat 2013 dann tatsächlich den Nobelpreis für Literatur bekommen.)


Buchtipp – Wolfgang Hermann, Insel im Sommer

Wiedererwachen in der Provence


Helmut Schneiders Buchtipp: Wolfgang Hermanns Erzählung „Inseln im Sommer“.


Ein Mann leidet, denn sein minderjähriger Sohn war einfach so im Bett gestorben. „Die Angst überfiel mich wie ein Raubtier…“ – der Erzähler, ein Mitarbeiter an einer Universität in Wien, stürzt in eine schwere, langanhaltende Depression. Er reist nach Paris, wo er vor Jahren schon gelebt hatte. Aber die Stadt ist ihm zu laut, will zu viel von ihm und er kann nichts zurückgeben. Erst in der Provence, wo er ein befreundetes Paar besucht, findet er langsam wieder zu sich. Zumal er die Österreicherin Klara und ihre Tochter Maria kennenlernt und mit ihnen ein paar wundervolle Tage am Strand und am See verbringt. Klara ist Künstlerin – sie macht Skulpturen, die Töne erzeugen, wenn der Wind durch sie durchströmt – und sie hat ebenfalls eine unerfreuliche Geschichte mit ihrem Ex-Mann – ausgerechnet ein ehemaliger Mönch aus einem Zen-Kloster –, der sie stalkte, zu verarbeiten.

Hermann braucht nur knapp 70 Seiten, um eine Geschichte zu erzählen, die voller Emotionen ist. Wir leiden mit dem Vater, freuen uns, wenn er wieder ein Zipfelchen von Glück zu fassen bekommt und nehmen das ungewisse Ende doch als eine Verheißung besserer Tage.

Wolfgang Hermann wuchs in Dornbirn in Vorarlberg auf und studierte ab 1981 Philosophie und Germanistik an der Universität Wien. 1986 promovierte er mit einer Arbeit über Friedrich Hölderlin zum Doktor der Philosophie. Anschließend war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wien. Seit 1987 ist er freier Schriftsteller. Er hat schon ein beachtliches Werk geschaffen – mit zahlreichen Romanen, Theaterstücken und Libretti. Zu einiger Bekanntheit gelangte er durch seinen Roman „Herr Faustini verreist“, dem noch einige Faustini-Romane folgten. „Inseln im Sommer“ ist ein empfehlenswertes Leseabenteuer.


Wolfgang Hermann, Inseln im Sommer – Erzählung
Czernin Verlag
ISBN: 978-3-7076-0754-3
74 Seiten
€ 17,-

Textauszug – Meinhard Rauchensteiner

Gegenverkehr


Meinhard Rauchensteiner hat Miniaturen geschrieben, die – so André Heller im Vorwort – „sprachlich präzise und lesenswert“ sind. Lesen Sie hier eine Kostprobe.
Foto: Ingo Pertramer


Soziales Gefälle

Wien hat zwei Seiten, welche eine abschätzig Transdanubien genannt wird, wohingegen die andere nicht Cisdanubien heißt, wie es sich eigentlich gehörte, sondern, zumal den dort Anrainenden, schlicht Wien.

Es soll solche »Wiener« geben, die noch nie einen Fuß auf das andere, das nördliche Ufer der Donau gesetzt haben. Demensprechend besuchen sie das Krapfenwaldlbad, eingefügt zwischen die Döblinger Villen und herausgeputzten Buschenschanken, die auch Tafelspitz auf der Speisekarte führen, und nicht das Gänsehäufel, das sie bestenfalls vom Hörensagen kennen und wo die Lángos ungestört den Charme und das beständige Öl der 1970er-Jahre versprühen.

Selbst in der Geologie schlägt sich diese tiefe Kluft nieder, nämlich zwischen dem steil aufragenden Leopoldsberg und dem sanft ansteigenden Bisamberg, die gemeinsam die »Wiener Pforte« bilden. Da hilft es wenig, dass der Bisamberg für sich in Anspruch nehmen kann, das östliche Ende der Alpen zu bilden; solche Feinheiten werden durch den Hinweis, dass anno 1683 das christliche Abendland von Kahlen- und Leopoldsberg errettet wurde, mit einer wegwerfenden Bewegung zunichtegemacht, und souverän besiegt das Historische die Natur.

Da hilft es auch wenig, dass der Bisamberg noch ins Treffen führen könnte, dass sich an seinem Fuße das »Erholungsgebiet Seeschlacht« findet, denn auch dies ist bei näherem Hinsehen ein Schotterteich umringt von Fertigteilhäusern für Abteilungsleiter in der IT-Branche.

Die Kluft der Wiener Pforte, durch deren Mitte immerhin die Donau fließt, geht so tief, dass selbst unter den beiderseitig beheimateten Winzern kaum Verbindungen existieren. Findet doch einmal eine Hochzeit zwischen einer Stammersdorferin und einem Nussdorfer statt, so bedeutet dies sozialen Auf-, für den Nussdorfer sozialen Abstieg. Folglich müssen Mannsbilder, die sich – Gott sei’s geklagt – doch hin und wieder in eine Drübige verschauten, danach trachten, sie herüberzuziehen, gleichsam aus dem Schlamm in die zwischen den Villen angesiedelten Winzerhöfe Cisdanubiens, pardon: nach Wien.

Es ist ein weiterer bitterer Triumph der Geschichte, dass noch anderthalb Jahrtausende nach seinem Verschwinden der römische Limes die Zivilisation von der Barbarei trennt.

Meinhard Rauchensteiner, geboren 1970 in Wien, studierte Philosophie, Geschichte, Theologie und Sprachwissenschaften und ist Abteilungsleiters für Wissenschaft, Kunst und Kultur im Stab von Bundespräsident Alexander van der Bellen. Er ist aber auch ein fleißiger Buchautor und Philosoph sowie ein profunder Joyce-Kenner sowie Lehrender an der Universität für angewandte Kunst in Wien. 


Meinhard Rauchensteiner: Gegenverkehr
Miniaturen, Czernin Verlag
ISBN: 978-3-7076-0740-6
132 Seiten
€ 15,–

Buchtipp – Wir sind das Licht, Gerda Blees

Verhungern in den Niederlanden


Gerda Blees‘ Roman über eine sektenähnliche Hausgemeinschaft „Wir sind das Licht“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.


Eines Nachts ist Elisabeth zu schwach zum Aufstehen und stirbt auf der Luftmatratze, auf der sie seit Monaten im Haus ihrer Schwester schläft. Weder ihre Schwester Melodie noch die beiden Mitbewohner Muriel und Petrus rufen einen Notarzt. Denn die vier nehmen seit Monaten kaum noch Nahrung zu sich, weil sie davon überzeugt sind, dass Licht, Musik und Liebe ausreichen, um einen Körper ausreichend zu versorgen.

Die Niederländerin Gerda Blees erzählt in ihrem Debütroman „Wir sind das Licht“ von einer seltsamen Wohngemeinschaft rund um die dominante Musikerin und Gruppenleiterin Melodie. Eines Tages haben sich die vier – angeleitet von obskuren Kursen und Videos im Internet – darauf geeinigt, dass Nahrung ihre Körper nur vom Wesentlichen ablenkt und behindert. Ihre Gemeinschaft nennen sie „Klang und Liebe“, ihre Zeit verbringen sie mit singen und meditieren. Der Tod der schweigsamen Elisabeth ruft dann freilich die Behörden auf den Plan. Der zuständige Arzt hält ihren Tod für nicht natürlich, der Pathologe stellt eine krasse Unterernährung fest. Die Polizistin Lisa, die selbst Probleme mit ihrer magersüchtigen Tochter hat, untersucht den Fall aufgrund des Verdachts auf unterlassener Hilfeleistung und nimmt Melodie, Petrus und Muriel in Untersuchungshaft. Die Beweisführung ist allerdings schwierig, da alle davon überzeugt sind, das Beste für Elisabeth getan zu haben. Nur langsam kommen bei Muriel Zweifel. Ob sie nach der Freilassung die Gruppe verlässt bleibt aber ungewiss.

Blees‘ Erzählweise ist dabei höchst kreativ. Sie lässt in jedem Kapitel andere Menschen, aber auch Dinge und Gedanken zu Wort kommen. So berichten etwa der „Tatort“, „Klang und Liebe“, ein Kugelschreiber oder die Eltern von Elisabeth aus ihrer Sicht. Zutage kommen toxische Beziehungen innerhalb der Gruppe – Muriel und Petrus sind in ihrer Psyche gefangen und können sich der manipulativen Kraft Melodies nicht entziehen. Petrus leidet an Wutanfällen, Muriel ist hochgradig entscheidungsschwach. Als Anregung diente der Autorin ein Zeitungsbericht über einen ähnlichen Fall. Allerdings hat Blees die Figuren neu erfunden. Sie schafft es aber, dass wir die Geschichte als erschreckend real und durchaus plausibel empfinden. Eine interessante, aber nicht leicht verkraftbare Lektüre.


Wir sind das Licht von Gerda Blees
Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
Erschienen im Zsolnay Verlag
ISBN: 978-3-552-07274-9
240 Seiten
€ 23,70

Nachruf: Gerhard Roth

Nachruf: Gerhard Roth (1942 – 2022)


Text: Helmut Schneider / Foto: Christian Jobst


Der gebürtige Grazer Gerhard Roth wohnte lange Zeit auch in Wien, in der Nähe von Ingeborg Bachmanns Wohnung in Erdberg. Und Roth war nicht nur gefeierter Romancier, der ein wahrlich riesiges literarisches Werk hinterließ, er war auch ein begnadeter Essayist und Fotograf. Als solcher hat er viel zur Erforschung der Wiener Schattenseiten beigetragen. 1991 erschien seine Essaysammlung „Eine Reise in das Innere von Wien“, die ihn etwa ins ehemalige Judenviertel in der Leopoldstadt, nach Gugging, in die Katakomben oder ins verschlafene Heeresgeschichtliche Museum brachte. Aber auch ins Blindeninstitut beim Prater, wo ich ihn einmal interviewen durfte. Ich kann mich noch gut erinnern mit ihm über die richtige Auswahl von Notizbüchern gesprochen zu haben, denn er ging zeitlebens niemals ohne die Möglichkeit, seine Gedanken zu notieren, außer Haus. Gerhard Roth war ebenso dabei als wir eine Ausgabe von Wienlive den Gugginger Künstlern widmeten, denn er kannte sie alle bereits seit Jahren. Fürs Heft erlaubte er den Abdruck eines Essays über seinen ersten Besuch in Gugging.

Mit Gerhard Roth verlieren wir einen ungeheuer neugierigen und bis ins Alter agilen Künstler und Alltagsethnografen. In der Literatur bleibt eine Lücke, die wohl nie mehr gefüllt werden kann.


Buchtipp: Uns zusammen halten, Mirthe van Doornik

Aufwachsen in prekärer Lage


„Uns zusammen halten“ von Mirthe van Doornik – oder vom Aufwachsen in prekärer Lage & zwei Schwestern in den Niederlanden. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.


Am Beginn des Romans ist Kine 11 und Nico 15 und die kleine Schwester bewundert die größere, die cooler ist und Menschen mit Blicken töten kann. Am Ende taumelt Nico nach den Anschlägen von Nine Eleven aus purer Angst vor Gefahren und Unglücksfällen durch ihr Leben, während Kine zu studieren beginnt und im Job erfolgreich ist. Dazwischen das Drama eines Aufwachsens in höchst schwierigen Verhältnissen in einem Sozialghetto mit einer alkoholkranken Mutter, die bis zuletzt das Bild einer intakten Familie aufrecht erhalten will. Tageweise gibt es nur Nudeln mit Ketchup, manchmal ist gar nichts Essbares da, wenn das Geld nur noch für die Weinflaschen reicht, die die Mutter bis zum Abend braucht. Der Vater lebt längst woanders und kann nur sporadisch aushelfen.

Mirthe van Doornik arbeitet als Dokumentarfilmerin, der Roman „uns zusammenhalten“ ist ihr autobiografisch gefärbtes Debüt und ein Buch, das von Beginn an berührt. Doornik erzählt die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Kine und Nico und trotz der vielen sozialen Katastrophen mit einem lakonischen Humor. Es wird klar was es heißt, nicht am allgegenwärtigen Wohlstand in einem der reichsten Ländern Europas teilhaben zu können – etwa mit aus den Sammelstellen für die Dritte Welt aufgeklaubten Kleidern in die Schule zu gehen oder im Supermarkt klauen zu müssen. Mutter Nina versucht immer wieder ihren Kindern auch etwas zu bieten. Sie gewinnen bei einem Bastel-Wettbewerb den Besuch im Disneyland oder machen einen Ausflug zu einer Hippiekolonie in Amsterdam. Zeitweise lebt ein Indianerfan in einem Tipi im Wohnzimmer bei ihnen. Aber die Tücken des Alltags holen sie immer wieder ein – Armut ist eine große Herausforderung und purer Stress.

Nach der emotionalen Stärke der Geschichte und der gelungenen erzählerischen Umsetzung müsste „uns zusammenhalten“ ein Bestseller werden.


„Uns zusammen halten“ von Mirthe van Doornik – oder vom Aufwachsen in prekärer Lage & zwei Schwestern in den Niederlanden.

Mirthe van Doornik: Uns zusammenhalten
Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann
Haymon Verlag
ISBN: 978-3-7099-8126-9
312 Seiten
€ 22,95

Buchtipp – Eva Tind, Ursprung

Auf der Suche nach dem Ursprung


Kopenhagen, Indien, Korea und Schweden – Eva Tind geht in ihrem Roman auf die Suche nach dem „Ursprung“.
Text: Helmut Schneider


Die 1974 geborene dänische Autorin Eva Tind ist in ihrer Heimat bereits ein Star, aber erst jetzt erscheint ein erster Roman von ihr auf Deutsch. In „Ursprung“ geht es um eine Kernfamilie, die allerdings die meiste Zeit getrennt voneinander lebt. Die international gefeierte Künstlerin Miriam hat Kai nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Sui verlassen, weil sie ihre Karriere nicht behindern wollte. Kai ist Architekt in Kopenhagen und stürzt in eine Krise als ihn Tochter Sui mit nur 18 Jahren verlässt, um fortan für die Kunst zu leben. Kai fährt daraufhin zu einer alternativen Gemeinschaft nach Indien und wird dort eine Art Wunderheiler. Sui besucht ihre inzwischen alte Mutter, die in einem einsamen Waldgebiet in Schweden nur noch an ihrem Mausoleum – ein von einer unüberwindbaren Mauer umgebener Kreis – arbeitet. Anfreunden können sich die beiden aber nicht und so will Sui ihre Großeltern in Korea kennenlernen und gerät unvermutet auf die kleine Insel Marado, wo die Frauen das Sagen haben, weil sie als Perlenfischerinnen steuerfrei arbeiten können.

Die hier nur grob angerissene Handlung klingt reichlich konstruiert, aber Eva Tind schafft es, die Geschichte – trotz einiger Anleihen aus der Kolportage – doch recht plausibel zu präsentieren. Vor allem weil sie jedes Kapitel von einem der drei Hauptpersonen erzählen lässt. Und dass sich in einem Roman ordentlich was tut, ist ja auch kein Fehler. Das Thema wird dabei schon im Titel, der auch im Dänischen Ursprung heißt, angerissen. Irgendwann muss sich wohl jeder seiner Herkunft stellen. Tind macht das mit viel literarischem Geschick, es ist ein Vergnügen diesen Roman zu lesen, zumal man dabei als Leser viel herumkommt. Und am Ende stehen – wie bei jedem guten Roman – mehr Fragen als Antworten.


Eva Tind: Ursprung
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein
Mare Verlag
320 Seiten
€ 25,70

Schubert wird 225

Happy Birthday, Franz Schubert


Der wienerischste der Klassiker wurde vor 225 Jahren geboren. Klassik-Doyen Otto Brusatti würdigt ihn mit einem Buch, in dem Kulturstars Persönliches verraten.


GERADE einmal 31 Jahre alt wurde Franz Schubert, aber in zwei Jahrzehnten schuf er rund 1.000 Werke von einer Intensität, die gerade Künstlerinnen und Künstler immer wieder neu inspiriert. Der Autor, Regisseur und langjährige Ö1-Moderator Otto Brusatti hat nun zu Schuberts 225. Geburtstag am 31. Jänner ein Libellus zusammengestellt, in dem gerade Kreative zu Wort kommen. Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schreibt etwa über die Urgewalt dieses Komponisten: „Schubert ist in der Innenwelt zu Hause wie kein anderer. Er ist sein eigenes Innen, das er aber nie exhibitionistisch nach außen stülpt und uns vor die Füße wirft, sondern er vollzieht vielleicht eher eine Art Implosion.“

LETZTES GELD FÜR SCHUBERT

Sehr persönlich sind dabei alle Texte – von Oscarpreisträger Michael Haneke (er verwendete Schuberts Musik für seinen Film „Amour“) oder dem Intendanten der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, bis zum Philosophen Franz Schuh. Professor Konrad Paul Liessmann erinnert sich, dass er sich als Student gerade eine Stereoanlage kaufen konnte und dann nur noch Geld für eine einzige Schallplatte übrig war: „Was tun? Sollte ich auf die Idole meiner Jugend zurückgreifen, mir endlich das ‚Weiße Album‘ der Beatles gönnen? Oder meinem Flirt mit dem Jazz neue Nahrung geben und mir Dave Brubecks ‚Time Out‘ leisten? Oder doch etwas aus der neuen Richtung des Elektropop, die gerade heftig diskutiert wurde, kaufen, ‚Autobahn‘ von Kraftwerk zum Beispiel? Nichts von alledem. Ich entschied mich für eine preisgünstige Doppel-LP: Symphonien von Franz Schubert, der junge Lorin Maazel dirigierte die Berliner Philharmoniker. Ich war hingerissen, von Schubert, vom Klang, von allem, was nun zu hören war.“

ZEICHNUNGEN

Das hübsche Buch lebt auch von den Zeichnungen, die etwa der bekannte Bühnenbildner und Regisseur Achim Freyer oder die Künstlerinnen und Künstler Christian Thanhäuser, Reto Emch, Gerhard Gutruf, Katherina Mair sowie Christoph Kiefhaber beigesteuert haben. Dazu gibt es ausgewählte Texte von Franz Schubert selbst. So berichtet er etwa 1822 von einem Traum: „Lieder sang ich nun lange Jahre. Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zertheilte mich die Liebe und der Schmerz.“


Das Buch erscheint zum 225. Geburtstag von Franz Schubert am 31. Jänner 2022! Mehr Informationen auf: https://www.echomedia-buch.at/de/start

Vorlesetag 2022

LESEN KANN MAN ÜBERALL. VORLESEN AUCH.


Der Österreichische Vorlesetag wartet heuer mit einer schönen Überraschung auf. Schon registriert?


Wer seine Vorlesung bis zum 28.2.2022 auf der Website www.vorlesetag.eu registriert, erhält das Vorlesebuch zum Österreichischen Vorlesetag mit einem persönlichen Eindruck auf der Titelseite gratis zugesandt.

Also: schnell anmelden! Es sind analoge und digitale (via zoom) Vorlesungen möglich.

Lesen bildet. Vorlesen verbindet.

EINMALIGER GESCHICHTENERZÄHLER

„Hallo, ich bin der Erich!“ – so heißt das Buch von und über Erich Schleyer, dem einmaligen Geschichtenerzähler, der im September 2021 viel zu früh verstorben ist.

Der Lions-Club Wien ARTE spendet 10 Pakete à 25 Exemplare dieses Buches an alle Wiener Volksschulen, die am ÖSTERREICHISCHEN VORLESETAG am 24. März 2022 teilnehmen und sich auf der Website www.vorlesetag.eu registrieren.

In diesem Buch sind nicht nur Geschichten zum Vorlesen und zum Lesen enthalten, mittels QR-Code kann man sie auch im Original von Erich Schleyer selbst gelesen hören.

Alle auf der Website www.vorlesetag.eu registrierten Wiener Volksschulen nehmen an der Verlosung teil.  Die Gewinnerschulen werden auf der Website des ÖSTERREICHISCHEN VORLESETAGES veröffentlicht und die Bücher werden ihnen zugestellt. (Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.)


Buchtipp – C Pam Zhang, Wie viel von diesen Hügeln ist Gold

Ein chinesischer Western


Der Buchtipp von Helmut Schneider: Wieviel von diesen Hügeln ist Gold von C Pam Zhang.


Chinesen kommen in den amerikanischen Western – wenn überhaupt – nur als Arbeiter beim Ausbau der Eisenbahn durch den ganzen Kontinent vor. Kaum bekannt ist, dass die erste Einwanderungswelle dem kalifornischen Goldrausch geschuldet ist. Reich wurden da bekanntlich nur wenige, die meisten landeten dann als schlecht bezahlte Grubenarbeiter im Kohlebergwerk. Die in Peking geborene, aber in den USA aufgewachsene Autorin C Pam Zhang hat diesen ziemlich rechtlosen Migranten jetzt ein höchst literarisches Denkmal gesetzt.

In ihrem Roman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ schildert sie wie das Geschwisterpaar Lucy und Sam im wilden Westen um ihr Überleben kämpft, nachdem Ba und Ma – also die Eltern – gestorben oder verschwunden sind. Erzählt wird aus der Perspektive der älteren zwölfjährigen Lucy, die immer im Schatten ihres Bruders Sam steht – dem Liebling von Ba. Dabei ist sie klug und lernwillig, doch die Armut der Familie und der überall herrschende Rassismus, der Hass auf die „Schlitzaugen“, setzt ihr enge Grenzen. Als Ba wirklich Gold findet, ist die Familie schon soweit, dass sie wieder zurück nach China wollen. Doch ein Überfall der neidischen Nachbarn macht den Plan zunichte. Und als dann auch noch der durch seine Alkoholsucht geschwächte Vater stirbt und die Mutter verschwindet – die Kinder glauben, sie ist auch verstorben – sind die beiden Geschwister ganz alleine. Mit Nelly, dem Pferd des Lehrers, das sie sich „ausleihen“, machen sie sich auf, eine freundlichere Umgebung zu suchen. Schon bald stellt sich allerdings heraus, dass Sam eigentlich ein Mädchen ist, das dem Wunsch des Vaters nach einem Sohn nur zu gerne nachgekommen ist. Ihre Sturheit wird sie freilich niemals ablegen.

Zhang beschreibt das Geschehen bildreich und poetisch aus der Sicht der Elfjährigen. Manches geht ins Groteske, etwa als die Kinder die bereits zerfallende Leiche ihres Vaters tagelang mitführen, weil sie den geeigneten Platz für das Begräbnis nicht finden. In den Dialogen werden oft auch Ausdrücke in Pidgin-Mandarin verwendet, aber immer so, dass man als Leser nicht überfordert wird. Die besten Szenen spielen mitten in der Prärie, wo die Mädchen den Elementen trotzen müssen. In der Stadt „Sweetwater“ (vermutlich San Diego) muss Lucy dann sogar als Prostituierte arbeiten, um die Schulden ihres „Bruders“ abzuarbeiten. Das und der spektakuläre Schluss sind dann vielleicht doch zu sehr alter Western…


C Pam Zhang: Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
Aus dem Englischen von Eva Regul
S. Fischer Verlag
ISBN: 978-3-10-397392-1
342 Seiten
€ 22,70