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UNSER WEG ZUM CLOUDKAPITALISMUS – Ein Interview mit Armin Thurnher

Foto: Irena Rosc

Ein Interview mit Armin Thurnher, der heute (19. Mai) um 18 Uhr bei dem zweitägigen Literaturfestival „Rund um die Burg“ sein Buch „Anstandslos“ vorstellen wird. In seinem neuen Buch arbeitet der Falter-Herausgeber die Ära von Sebastian Kurz auf. Im Interview geht es auch darum, warum Demokratien durch Social Media gefährdet sind.

Geboren 1949 in Bregenz, kam Armin Thurnher zum Studium nach Wien und gründete 1977 mit Walter Martin Kienreich die linksliberale Wochenzeitschrift Falter, deren Ausrichtung er maßgeblich prägte, ab 2012 als Falter-Herausgeber. Seit Beginn der Pandemie schreibt er einen täglichen Blog namens „Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt“, in dem er vor allem die österreichische Innenpolitik kommentiert und in dem bis zu seinem Tod auch sein Kater regelmäßig als Ezzesgeber auftrat. Mit „Anstandslos – Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege“ erschien jetzt eine Abrechnung mit der unter Korruptionsverdacht stehenden Regierungen von Sebastian Kurz.

wienlive: Alle, die Politik beobachteten, konnten live erleben, wie Kurz und Sobotka die Regierung mit Kern, deren Mitglieder sie waren, sabotierten. Wieso hat da niemand Alarm geschrien?

ARMIN THURNHER: Weil die Medienlandschaft, von der es zwar immer heißt, sie stünde unter einer linken Hegemonie, die in Wirklichkeit aber fest in konservativer Hand ist, das unterstützt hat. Verschiedene entscheidende Akteure waren begeistert, dass die Schwarzen jetzt endlich einen Stimmenbringer mit einer gewissen Ausstrahlung hatten. Denn bis zu diesem Zeitpunkt waren das immer die anderen: Kreisky und Vranitzky und die Blauen mit Haider und sogar der dumpfe Strache hat noch Stimmen angezogen. Plötzlich war einer da, der die Wähler auf die schwarze Seite gezogen hat.

Halten Sie die Medien tatsächlich noch für so mächtig?

Ja, denn wenn alle geschrieben hätten, Kurz ist ein sprechblasentrainierter Maturant und seine Behauptungen über Silberstein und die Balkanroute sind falsch, wäre es anders ausgegangen.

Das gilt dann wohl international, denn Trump hätte es ohne Fox News vielleicht auch nicht gegeben, oder?

Nicht nur nicht ohne Fox, sondern auch nicht ohne die New York Times, denn Medien sind nun einmal begeistert von Menschen, die Aufmerksamkeit generieren. Totschweigen ist im Medienzeitalter keine reale Möglichkeit. Aber natürlich muss zuerst etwas da sein – bei Kurz etwa sein Wille zur Macht und der Wille, die ÖVP auf einen neuen Kurs zu bringen. Die ÖVP war ja bis dato immer zerrissen und hat mit zig Stimmen gesprochen. Und da gab es dann einen, der gesagt hat: Entweder ihr nehmt mich und lässt mich mit harter Hand regieren, oder ihr bleibt weiter unter 20 Prozent. Diese Drohung hat funktioniert. Bei Trump war es ganz ähnlich. Beide haben aber auch einen stark ausgeprägten opportunistischen Kern.

Kurz hat dann seine Regierung wie einen Mafia-Clan geführt mit ihm als Paten. Alle anderen waren seine Soldaten. Die Beamten hat er mit seinen Generalsekretären kaltgestellt.

Ja – alle Ministerien haben nur noch das wiedergegeben, was die Zentrale Kurz ausgegeben hat. Interessanterweise hat das alle fasziniert, statt dass das kritisiert worden wäre.

„Die Texte der Chats gehören vor dem Parlament, in Stein gemeißelt, als Mahnmal für die Demokratie aufgestellt.”

Armin Thurnher

Das scheint ein Grundbedürfnis in Österreich zu sein – man soll ja nicht streiten …

Der kultivierte Streit wird hierzulande nicht geschätzt. Dabei ist Politik ja nichts anderes – man muss immer verschiedene Konzepte und Angebote bewerten und darüber befinden, wer Recht hat mit seiner Einschätzung.

Sie schreiben „Die Lüge gehört zum politischen Geschäft wie der Pool zur Hollywoodvilla“ – was war also an den Lügen von Kurz anders?

Gar nichts, er hat seine Karriere mit der Lüge, dass er so unglaublich populärer ist als Mitterlehner, begonnen – was er dann mit den gefälschten Umfragen untermauert hat. Das war insofern wahr, als er tatsächlich populärer war – aber er hat das so übertrieben, dass es dann doch wieder eine Lüge war. Das Interessante daran ist, dass es egal gewesen wäre, wenn man das damals schon gewusst hätte. Das ist so wie bei Trump. Seine Anhänger entschließen sich, ihm alles zu glauben und wollen das gar nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfen. Denn sie sagen, es lügen sowieso alle, und da ist mir mein Lügner lieber als deiner.

Nach den bekannt gewordenen Chats von Schmidt müsste inzwischen ja alles klar sein …

Ja, nach den Chats müsste moralisch alles klar sein, und ich verstehe auch nicht, wie man sagen kann, dass das private oder intime Inhalte sind. Die wirklich intimen Inhalte wurde ja zu Recht beiseite geschoben. Aber in den bekannt gewordenen Chats geht es um öffentliche Geschäfte – etwa wie die Reichen bevorzugt werden. Das sind Texte, die gehören – in Steintafeln gemeißelt – vor dem Parlament als Mahnmal aufgestellt. Das sind öffentlich relevante Texte, die gar nichts mit Privatsphäre zu tun haben.

Was Sie im Buch natürlich noch nicht behandeln konnten – weil gerade passiert –, ist die ÖVP/ FPÖ-Koalition in Niederösterreich. Wieso kommt Mikl-Leitner damit in den Medien durch?

Sie kommt damit durch, weil sie einfach eine große Machtposition hat. Man sieht ja, wie das funktioniert. Alle Medien behandeln die sogenannten „Chaos-Tage“ der Sozialdemokraten, statt sich mit Niederösterreich zu beschäftigen, was sicher mehr die Aufgabe eines kritischen Journalismus wäre. Aber solange die Entscheidungsträger im Land das Gefühl haben, man müsse nur eine kurze Aufregung überstehen, wird nichts passieren.

Leider sind die Demokratien weltweit in Gefahr, angefangen mit dem Brexit, dann Trump, Orban und zuletzt Kurz-Freund Netanjahu. Warum eigentlich, es gibt ja keine Hungerrevolten oder ähnliches?

Es besteht eine brisante Kombination aus der neuen Social-Media-Situation und dem relativen Wohlstand, der vieles mit einem Wurstigkeits-Gefühl überzieht. So lässt man Dinge aus dem Ruder laufen. Die Social-Media-Situation schafft wiederum die idealen Voraussetzungen für einen neuen Irrationalismus. Der war zwar immer da, kommt aber heute viel leichter an die Oberfläche. Die neuen Medien generieren zudem eine neue Art von Überwachungs- oder Cloud-Kapitalismus. Fast alle nehmen an etwas teil, von dem sie gar nicht so genau wissen, was es ist.

rundumdieburg.at


Die Buchhandlung analog wird heuer auch den Büchertisch beim Literaturfestival Rund um die Burg bereitstellen.

analog – Die neue Grätzlbuchhandlung gegenüber dem Café Jelinek

Bild: ©Helmut Schneider

Zuletzt war Baruch Pomper 4 Jahre lang als Straßenbahnfahrer in Wien unterwegs – doch ein in der Pandemie leer gewordenes Geschäftslokal verschaffte ihm plötzlich die Chance, sich seinen Traum von einer eigenen Buchhandlung zu erfüllen. Zumal ihm vor Jahren schon einmal Bücher Glück gebracht hatten – denn bei der gemeinsamen Buchhändlerlehre hatte er seine Frau Alex kennengelernt. Und das Eckgeschäft in der Otto-Bauer-Gasse 6/Königsegggasse war noch dazu – mit Holztäfelung und Wendeltreppe zum Halbstock – ein wahres Juwel.
Baruch Pomper: „Unsere Buchhandlung war von Beginn an gut besucht, es hat sich angefühlt, als ob wir immer schon dagewesen wären.“
Und in einer solchen Umgebung und in einer solchen Ausstattung war der Name „analog“ nur logisch.

Baruch Pomper: „Unsere Buchhandlung war von Beginn an gut besucht, es hat sich angefühlt, als ob wir immer schon dagewesen wären.“ – ©Helmut Schneider

Vielleicht liegt es aber auch am Programm. Im „analog“ wird genau das angeboten, was die Bewohner eines Bezirks innerhalb des Gürtels so brauchen. Viel österreichische Literatur, Krimis, Philosophie, Kinder- und Musikbücher.
„Der Plan ist, auch einmal einen Plattenspieler aufzustellen und jene Musik zu spielen, die in Büchern beschrieben wird.“ Und da Tochter Maryam neben ihrer Ausbildung auch im Shop arbeitet, gibt es auch eine gute Auswahl an Mangas und Graphic Novels.

Dass die Buchhandlung gegenüber dem Kultcafé Jelinek liegt, ist auch kein Nachteil, kommen doch dadurch auch viele Kultur-Touristen vorbei und außerdem genießen im Jelinek viele Autorinnen und Autoren ihren Kaffee. Von Beginn an gab es in der Buchhandlung auch regelmäßig Lesungen. Und gemeinsam mit einem befreundeten FM4-Redakteur betreibt man auch einen Podcast.

Inzwischen sind viele Kundinnen und Kunden Freunde geworden und Baruch und Alex servieren gerne Tee und Kuchen – oder stehen draußen tratschend und rauchend mit Bekannten. Neben dem Aschenbecher befindet sich auch ein Wühlkorb mit Pixiebüchern.

Das Wappentier der Buchhandlung ist eine Krähe – Vögel sind auch an der Decke der Buchhandlung aufgemalt. Warum? „Ganz einfach: Krähen sind sehr intelligent und sozusagen die Leser unter den Tieren!“, erklärt Alex, die seit Jahren in der Innenstadt auch noch einen zweiten Laden – das Hutgeschäft „GUT BEHÜTET“– betreibt.

Die Buchhandlung analog wird heuer auch den Büchertisch beim Literaturfestival Rund um die Burg bereitstellen.

www.buchhandlunganalog.at

Nächste Woche, 19. Und 20. Mai: Das Literaturfestival RUND UM DIE BURG in Landtmanns Bel Etage.

Nächste Woche, 19. Und 20. Mai: Das Literaturfestival RUND UM DIE BURG in Landtmanns Bel Etage

Bild: Franzobel bei Rund um die Burg. – ©Stefan Joham

Bei „Rund um die Burg“ herrscht von jeher eine sehr spezielle Atmosphäre: Gelesen wird im Halb-Stunden-Takt, es gibt vorher immer als Einleitung ein kurzes Gespräch mit den Lesenden und beim Signieren kommen Gäste den Schriftstellerinnen und Schriftstellern näher.
Und: Literatur wird hier nicht zu eng gesehen, es gab schon Liedermacher-Konzerte und Talks über Philosophie oder Geschichte. Heuer wird erstmals ein Film gezeigt, nämlich das Architektenpoem „Er flog voraus – Karl Schwanzer“ des Filmers, „DesAno“-Sängers und Schriftstellers Max Gruber mit Nicholas Ofczarek in der Titelrolle. Schwanzer war einer der bedeutendsten Architekten Österreichs (Philips-Haus, BMW-Headquarter München, Österreichische Botschaft in Brasilia, 20er-Haus).

Los geht es – natürlich wie immer bei freiem Eintritt – am Freitag um 15 Uhr (ERÖFFNUNG ist um 14.45 Uhr) mit Franzobel und seinem skurrilen Roman über den Pathologen, der Einsteins Gehirn sezierte und bis zu seinem eigenen Tod bei sich aufbewahrte. Bis zum Filmabend um 20 Uhr folgen unter anderen Robert Menasse mit seinem EU-Roman „Die Erweiterung“ und Armin Thurnher mit seiner Abrechnung der Kurz-Ära „Anstandslos: Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege“.

Am Samstag gibt es Programm bis 13:30 Uhr – unter anderen werden da Marc Elsberg und Georg Biron, Robert Sommer, Otto Brusatti oder Anna Herzig lesen. Insgesamt stehen 19 Autorinnen und Autoren in den Startlöchern. Eingang zur Bel Etage über dem Café Landtmann ist Oppolzergasse 6. Es gibt auch einen Lift in den 1. Stock.

Die Buchhandlung analog ist vor Ort.

Alle Infos: www.rundumdieburg.at

Am Samstag, 20. Mai, wird Anna Herzig um 11.30 Uhr „12 Grad unter Null“ beim Literaturfestival Rund um die Burg präsentieren.

Das Patriarchat in Reinkultur – Anna Herzigs Roman „12 Grad unter Null“

Am Samstag, 20. Mai, wird Anna Herzig um 11.30 Uhr „12 Grad unter Null“ beim Literaturfestival Rund um die Burg präsentieren.

In dem fiktiven Land Sandburg wird ein Gesetz erlassen, das Männern für die Zeit, die sie mit Frauen verbracht haben, eine finanzielle Entschädigung zugesteht. Schließlich ist das ja Arbeit und die Frauen sollen endlich lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Die Vorsitzende des Hohen Gerichts in Sandburg hat damit kein Problem, denn sie hat sich ihr Leben lang von Männern ferngehalten. Das Ergebnis ist erwartbar brutal: Alleingelassene Frauen mit Kind werden noch zusätzlich von den Forderungen ihrer Ex-Partner belastet, das Kinderkriegen wird ihnen als Manipulation vorgeworfen. Frauen sind schlicht und ergreifend wertlos. Mehr noch: sie haben jetzt Frauenschulden bei den Männern.

Die 1987 als Tochter eines Ägypters und einer Kanadierin in Wien geborene Autorin und Künstlerin Anna Herzig stellt unsere Männergesellschaft auf die Spitze und entwirft mit Sandburg einen Staat, der die sonst eher versteckte Bevorzugung von Männern wenigstens offen bekennt. Das ist witzig und schrecklich zugleich, zumal Herzig ihren Roman gar nicht wehleidig oder gar anklagend anlegt. Es ist eben so wie es ist: Ihre Protagonistin Greta wird zuerst vom Vater und dann vom Partner unterdrückt. Das Gesetz gibt ihnen recht. Greta sucht – nicht wirklich erfolgreich – in ihrer Schwester Elise eine Verbündete, zumal ihr Kind wieder ein Mädchen ist.

Herzigs Roman „12 Grad unter Null“ ist dann am stärksten, wenn Familienszenen wie das gemeinsame Mahl in ihrer Absurdität Leserinnen und Leser verstören können. Die klare und einfache Sprache macht die Geschichte noch wirksamer.


Am Samstag, 20. Mai, wird Anna Herzig um 11.30 Uhr „12 Grad unter Null“ beim Literaturfestival Rund um die Burg präsentieren.

Anna Herzig: 12 Grad unter Null
Haymon Verlag
144 Seiten
€ 20,-

Die Klimaschützerin beim AMS – Nadja Buchers Roman „Rosa gegen die Verschwendung der Welt“

Die Wiener Schriftstellerin Nadja Bucher debütierte 2013 mit dem Roman „Rosa gegen den Dreck der Welt“, in dem die ökologisch gestimmte Putzfrau Rosa mit Verve gegen Stromfresser, SUV-Fahrer und andere Umweltsünder ankämpft. Jetzt erscheint eine Fortsetzung. In „Rosa gegen die Verschwendung der Welt“ hängt die Protagonistin frustriert ihren Job an den Nagel, weil sie nicht länger bei hoffnungslosen Energieverschwendern putzen will. Das Angebot ihres Freundes Bertram, in seinem stets wachsenden Bioladen zu arbeiten, schlägt sie aus. Denn der ist ihr doch zu sehr Bobo-Unternehmer und Verbündeter seiner gutverdienenden Kunden geworden. Während andere von ihrem ökologischen Fußabdruck reden, will Rosa am liebsten gar nicht auftreten, sondern schweben. Ihre Wohnung ist spartanisch eingerichtet, ihr Energieverbrauch tangiert gegen Null, Strom hat sie sowieso abgemeldet. Dabei versorgt sie selbstlos ihre alte Nachbarin. Wie sich nach deren Tod herausstellt, ist die Nachbarin die Besitzerin des Mietshauses und Rosa braucht keine Miete mehr zu bezahlen.

Doch da Rosa arbeitslos gemeldet ist, bleibt ihr ein AMS–Fortbildungskurs nicht erspart. Bucher schildert genüsslich und detailreich die verschiedenen Kursteilnehmerinnen und -nehmer. Eine von ihnen macht dann Rosa – zunächst ohne ihr Einverständnis – zur Jeanne d’Arc der Umweltbewegung. Wie das Social-Media-Experiment entgleist, bestreitet dann einen Gutteil des wirklich sehr amüsant zu lesenden Romans, in dem man auch sehr viel über die gerade stattfindenden, das Klima ungünstig beeinflussenden Transformationen erfährt.

Nadja Bucher ist mit ihrem Roman eine Art moderner Bartleby gelungen, ihre Rosa will eben lieber nicht von den „Segnungen“ der modernen Welt profitieren. Am 19, Mai wird sie um 16.30 Uhr beim Literaturfestival „Rund um die Burg“ ihr Buch Roman „Rosa gegen die Verschwendung der Welt“ präsentieren.


Die Klimaschützerin beim AMS – Nadja Buchers Roman „Rosa gegen die Verschwendung der Welt“. Buchtipp von Helmut Schneider.

Nadja Bucher: Rosa gegen die Verschwendung der Welt
Edition Atelier
272 Seiten
€ 20,-

Bis 1. Mai können sich Drehbuchautorinnen und -autoren beim Wettbewerb „Diverse Geschichten-Drehbücher der kulturellen Vielfalt“ bewerben, um dann mit Profis an ihren Drehbüchen zu feilen.

Drehbuch schreiben – jetzt einreichen und professionelle Hilfe bekommen

Bild: ©Hanna Pribitzer

Bis 1. Mai können sich Drehbuchautorinnen und -autoren beim Wettbewerb „Diverse Geschichten-Drehbücher der kulturellen Vielfalt“ bewerben, um dann mit Profis an ihren Drehbüchen zu feilen. Nach mehreren erfolgreich entwickelten Projekten, wie beispielsweise dem Publikums-Hit „Die Migrantigen“ von Arman T. Riahi oder der Culture-Clash-Komödie „Kaviar“ von Elena Tikhonova, wird nun zur Bewerbung für die 12. Saison aufgerufen. „Diverse Geschichten“ bedeutet kreativen Austausch, dramaturgische Beratung und professionelle Unterstützung unter anderem auch speziell für Autor*innen mit interkulturellem Hintergrund, heißt es in der Ausschreibung.

Das Programm besteht aus mehreren Workshops und umfasst dramaturgische Beratungen von mehrfach ausgezeichneten Drehbuchautoren/Dramaturgen, Lectures und Case Studies namhafter Filmemacher*innen sowie Einzel-Coachings. Das Ganze ist für die ausgesuchten Autoren kostenlos.

Für die eingereichten Geschichten gibt es keine thematischen Vorgaben. Es können sowohl Langspielfilm- als auch Serien-Drehbücher eingereicht werden. Jedes fiktionale Genre ist willkommen.

Für die Einreichung bei DIVERSE GESCHICHTEN XII ist ein Treatment, ein Drehbuch oder ein ausführliches Serienkonzept sowie eine Synopsis (bis zu einer Seite) erforderlich. Außerdem ein aussagekräftiger Lebenslauf mit einer kurzen Erklärung, was von der dramaturgischen Betreuung erwartet wird.

Das Programm ist für die Autor*innen während der Seminareinheiten in Wien kostenlos und beinhaltet auch Vollverpflegung. Im Frühsommer wird eine mehrtägige Drehbuchklausur in Niederösterreich angesetzt, für die ein geringer Selbstbehalt anfällt.

Bewerbungsunterlagen via E-Mail bis 1.Mai 2023 an: script@diversegeschichten.at

Infos auf: www.diversegeschichten.at

Rumpelstilzchen überall – A.L. Kennedys Abrechnung mit Großbritannien: „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“

Rumpelstilzchen überall – A.L. Kennedys Abrechnung mit Großbritannien

Die Schottin A.L. Kennedy ist gewiss eine der interessantesten Stimmen der Literatur. Und so verwundert es schon einigermaßen, dass ihr neuer Roman „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“ zwar bereits auf Deutsch erschienen ist, die Verlage auf der britischen Insel aber noch kein Interesse an einer Veröffentlichung gezeigt haben. Es kann ja wohl nicht sein, dass die bisweilen auch als Stand-up-Comedian auftretende Autorin zu kritisch für die britische Öffentlichkeit ist. Andererseits: Wurde nicht gerade ein Klimaaktivist zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in London eine Brücke blockiert hat?

Ihr aktuelles Buch hat es zweifelsohne in sich: Die Grundschullehrerin Anna muss in London erleben, dass ausgerechnet im Covid-Lockdown ihre ehemaligen Kumpel einer alternativen Comedie-Gruppe Jahrzehnte nachdem Anna ausgeschieden war vor Gericht kommen. In das „Unrule OrKestrA“ wie die für Streikende in den Thatcher-Jahren spielende Spaß-Truppe genannt wurde, hatte sich ein Polizeispitzel eingeschlichen, mit dem Anna sogar eine Liebschaft angefangen hatte. Als sie den nach Buster Keaton Buster genannten V-Mann auf offener Straße wiedererkennt, läuft sie ihm nach. Das ist aber nur ein Handlungsstrang, der allerdings durch Busters Lebensbeichte, die er ihr vor die Haustüre legt, ausführlich zu Wort kommt. Kennedy hat da fast einen Agententhriller eingewoben, denn Buster wird zum bisweilen kaum steuerbaren Killer, der Mädchenhändler und auch politische Verbrecher kaltblütig präzise ermordet. Dabei passieren allerdings auch Kollateralschäden.

Anna erzählt ihren Kindern in der Schule gerne das Märchen von Rumpelstilzchen, das bekanntlich als Gegenleistung von der Müllerstochter Unmoralisches – das erste Kind – verlangt. Für Anna sind alle, die sich an der Menschheit vergehen, einfach nur Stilzchen. Und Buster ist gewiss einer von ihnen.

Doch den größten Teil des Romans machen die Gedanken und Zweifel von Anna aus. Ihrem Sohn, der sich gerade anschickt, die Universität zu besuchen, liebt sie innig – ihren Liebhaber und Gefährten findet sie auch okay. Richtig vermissen tut sie ihn allerdings nicht als er im Lockdown auf seiner schottischen Heimatinsel festsitzt.

Über ihren Job als Lehrerin macht sie sich keine Illusionen: „Das Lernen im 21. Jahrhundert soll funktionieren wie die Erzeugung von Gänsestopfleber – man zwingt den minderwertigen Mais hinein und hält sie in Käfigen und gefügig. Man erntet den entstandenen Schaden und wirft den Rest des Kadavers weg.“  

Hat man die ersten 50 Seiten von „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“ einmal gelesen, entwickelt dieser Roman eine richtigen Sog. Man lauscht gerne der inneren Stimme von Anna, versucht sie doch die uns alle beschäftigende Frage nach dem richtigen Leben in immer falscher werdenden Zeiten zu beantworten.


Rumpelstilzchen überall – A.L. Kennedys Abrechnung mit Großbritannien: „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“

A.L. Kennedy: Als lebten wir in einem barmherzigen Land
Aus dem Englischen von Ingo Herzke und Susanne Höbel
Hanser
462 Seiten
€ 28,80

Rund um die Burg: Das Literaturfestival geht am 19. und 20. Mai im Landtmann Bel Etage mit jeder Menge Stars über die Bühne

Margit Mössmer, Autorin des Romans „Das Geheimnis meines Erfolgs“ (Leykam). – ©Minitta Kandlbauer

Bei Rund um die Burg herrscht von jeher eine sehr spezielle Atmosphäre: Gelesen wird im Halb-Stunden-Takt, es gibt vorher immer als Einleitung ein kurzes Gespräch mit den Lesenden und beim Signieren kommen Gäste den Schriftstellerinnen und Schriftstellern näher. Und: Poesie wird hier nicht zu eng gesehen, es gab schon Liedermacher-Konzerte und Talks über Philosophie oder Geschichte. Heuer wird erstmals ein Film gezeigt, nämlich das Architektenpoem „Er flog voraus – Karl Schwanzer“ des Filmers, „Des Ano“-Sängers und Schriftstellers Max Gruber mit Nicholas Ofczarek in der Titelrolle. Schwanzer war einer der bedeutendsten Architekten Österreichs (Philips-Haus, BMW-Headquarter München, Beginn: 20 Uhr). 

Los geht es – natürlich wie immer bei freiem Eintritt – am Freitag um 14.45, ab 15 Uhr stellt Franzobel seinen skurrilen Roman über den Pathologen, der Einsteins Gehirn sezierte und bis zu seinem eigenen Tod bei sich aufbewahrte, vor. Bis zum Filmabend folgen unter anderen Robert Menasse mit seinem EU-Roman „Die Erweiterung“ und Armin Thurnher mit seiner Abrechnung der Kurz-Ära „Anstandslos: Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege“. Am Samstag gibt es ab 10 Uhr Programm bis 13.30 Uhr – unter anderen werden da Marc Elsberg, Mieze Medusa, Margit Mössmer, Robert Sommer und Georg Biron lesen.

Landtmann Bel Etage

Oppolzergasse 6, 1010 Wien

Freitag, 19. Mai, ab 14.45 Uhr

Samstag, 20. Mai, ab 10 Uhr

Infos: rundumdieburg.at

Eine Ärztin in der Gesundheitskrise – Elena Messners Roman „Schmerzambulanz“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.

Eine Ärztin in der Gesundheitskrise – Elena Messners Roman „Schmerzambulanz“

Der Titel des Romans verweist auf das Versprechen, mit dem die Klinikleitung die engagierte Internistin Judit Kasparek ins Team gelockt hatte. Sie könne im Krankenhaus nicht nur eine Station leiten, sondern gleichzeitig eine Schmerzambulanz aufbauen, in der Patientinnen und Patienten nach der Entlassung aus der Intensivstation behandelt werden sollen. Doch dazu kommt es nie, denn das gesamte Krankenhauspersonal ist komplett überlastet und damit beschäftigt, den Betrieb irgendwie aufrecht zu erhalten. Als dann eine Patientin im Sanitärraum zusammenbricht und nur überlebt, weil sie eine Putzfrau zufällig gleich findet, verlangt Judit die Einsetzung eines Ethikkonzils, um herauszufinden, wie es dazu kommen konnte. Denn eigentlich hatte Judit die Patientin als gesund diagnostiziert und zur Entlassung vorgeschlagen. Sind die vielen von anderen Ärzten verordneten Infusionen am Zusammenbruch schuld?

Elena Messners Roman „Schmerzambulanz“ verblüfft durch Detailkenntnis. Die in Klagenfurt, Salzburg und Ljubljana aufgewachsene Autorin muss umfangreich über Krankenhausabläufe recherchiert haben. Natürlich herrscht in den Spitälern, wie inzwischen allgemein bekannt, allerorts der Sparstift – erst wurden die Wäscherei und die Küchen aus den Spitälern entfernt und durch externe Betriebe ersetzt, dann waren die Pfleger und Hilfskräfte dran. Leiharbeiter sind einfach billiger. Dabei sind Messners Protagonisten durchaus engagiert. Etwa Judits Freundin, die Anästhesistin Asja oder ihr Geliebter Jovo, ein Pfleger. Selbst Primar Tom arbeitet bis an seine Grenzen. Auch das wenig befriedigende Liebesleben des Krankenhauspersonals wird geschildert. Alle haben Schuldgefühle, dass ihr privater und beruflicher Einsatz nie genug sein wird, einfach weil das in diesem System unmöglich ist.

Elena Messner setzt in diesem sehr dichten Roman auch noch einen radikalen Endpunkt: Die Station wird ohne Angabe von Gründen aufgelassen. Höchstwahrscheinlich weitere Sparmaßnahmen. Und die Patientin, die der Grund für das Ethikkonzil war, landet in einer anderen Station. Man muss Schlimmes befürchten.


Eine Ärztin in der Gesundheitskrise – Elena Messners Roman „Schmerzambulanz“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.

Elena Messner: Schmerzambulanz
Edition Atelier
228 Seiten
€ 25,-

Wer ist schwarz, wer ist weiß? – Toni Morrisons Erzählung „Rezitativ“ lässt uns rätseln.

Wer ist schwarz, wer ist weiß? – Toni Morrisons Erzählung „Rezitativ“ lässt uns rätseln

Die Nobelpreisträgerin Toni Morrison hat elf Romane, aber mit „Rezitativ“ nur eine Erzählung geschrieben, die 1983 in einer Anthologie erschien und jetzt erstmals auf Deutsch veröffentlicht wurde. Denn es gibt – wie ihre britische Kollegin Zadie Smith in ihrem fundierten Nachwort anmerkt – keinen „rasch hingeworfenen Morrison-Text“. Die 2019 verstorbene Autorin schrieb immer mit konkreten Zielen und Vorsätzen. Und so ist diese knapp 40 Seiten fassende Erzählung – das Nachwort ist sogar länger – sehr kalkuliert auf die Reaktion ihrer Leserinnen und Leser hingeschrieben.

Es geht um die zwei Frauen Twyla (die Erzählerin) und Roberta, die sich in einem Waisenhaus als komplette Außenseiterinnen anfreunden und später ein paar Mal zufällig über den Weg laufen. Morrison erklärt uns, dass eine von ihnen weiß, die andere schwarz ist – verrät aber bis zum Schluss nicht welche die Weiße und welche die Schwarze ist. Man kann gar nicht anders als darüber zu rätseln, denn Morrison hat eine Menge von Vorurteilen bestimmter rassistischer Codes verwendet.

Schon der Beginn ist genial: „Meine Mutter tanzte die ganze Nacht, und die von Roberta war krank. Darum wurden wir ins St. Bonny’s gebracht.“ Das Waisenhaus empfinden die beiden Mädchen aber gar nicht so schlimm, es gibt viel Platz und ansprechendes, warmes Essen. Nur vor den älteren, boshaften Mädchen müssen sie sich in Acht nehmen. Und ganz unten in der Hierarchie steht Maggie, eine Angestellte des Waisenhauses, die klein ist und o-beinig. Roberta und Twyla erleben, wie sie die älteren Mädchen schikanieren und ihr ein Bein stellen – und wieder können sie sich später nicht erinnern, ob Maggie weiß oder schwarz war.

Während Twyla als Kellnerin arbeiten muss, gelingt es Roberta nach ihren Hippie-Jahren, in denen sie mit Freunden Jimmy Hendrix nachreisen, einen reichen Mann zu heiraten und im besten Viertel der Kleinstadt Newburgh zu wohnen. So nebenbei beschreibt Morrison die Verwandlung von Newburgh von einer sterbenden Stadt im Hinterland von New York nach dem Krieg und der Absiedelung der Fabriken zum gentrifizierten Schmuckkästchen.

Bei Morrison ist kein Satz, keine Formulierung zu viel – es empfiehlt sich, die Geschichte gleich ein zweites Mal zu lesen. Was zeichnet Twyla als Erzählerin aus, warum ist Roberta plötzlich in eine andere Schicht aufgestiegen? Was sind die Mechanismen, nach denen in den USA Menschen Erfolg haben oder eben nicht? Eine faszinierende Lektüre mit einem Nachwort, das diesen Text noch vielschichtiger erscheinen lässt.


https://www.morawa.at/detail/ISBN-9783498003647/Morrison-Toni/Rezitativ

Toni Morrison: Rezitativ
Mit einem Nachwort von Zadie Smith
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Rowohlt
96 Seiten
€ 20,60