Beiträge

„Das Vermächtnis“ von Matthew López in der Josefstadt

Bild: ©Philine Hofmann

Es ist schon ungewohnt, sich an einem Samstagnachmittag um 15 Uhr zu einem Abend im Theater einzufinden. „Das Vermächtnis“ von Matthew López wird im Theater in der Josefstadt am Wochenende mit 3 Pausen in einem Stück und unter der Woche an zwei Abenden aufgeführt. Und es zahlt sich aus, sich darauf einzulassen.

Keine Frage: Das Drama um homosexuelle Freunde in New York ist in seiner Dramatik sehr amerikanisch. Matthew López weiß, wie man das Publikum unterhält, in Häppchen leicht schockiert, Spannung aufbaut und auch länger halten kann. Das Ende erinnert dann sowieso gleich an eine der berühmtesten Schlussszenen der TV-Serien, nämlich die Fahrt der jungen Claire Fischer zum Flughafen, in der wir gleich die zukünftigen Todesstunden aller Figuren miterleben.

Der größte Teil der Geschichte spielt in den letzten Tagen mit Obama als Präsident, als alle auf den Sieg von Hilary Clinton warten und es nicht fassen können, dass Trump als neuer Chef im Oval Office einziehen wird. In Rückblicken wird aber die Entwicklung der Schwulen-Bewegung seit Aids erzählt. Durch die aktuellen Entwicklungen in den USA wirkt das alles andere als antiquiert.

Im Kern geht es um die Liebe zwischen den sehr ungleichen Männern Eric und Toby – sehr einfühlsam gespielt von Martin Niedermair und Raphael von Bargen. Eric ist der stabilere, gefasstere, während Toby die Traumata seiner Kindheit in sich trägt und als Bühnenautor nach einem Erfolg giert. In diese langjährige Beziehung platzt der blutjunge Adam – Sohn aus reichem Haus, der Schauspieler werden will. Nils Arztmann löst die knifflige Aufgabe, sowohl diesen Adam als auch einen jungen Stricher, der Adam gleicht, zu spielen, den sich Toby nach seiner Trennung mit Eric bestellt, weil er sich eigentlich nach Adam sehnt, bravourös.

Quasi als älteres Spiegelbild von Eric und Toby dient das soignierte Paar Walter und Henry, das bereits 36 gemeinsame Jahre hinter sich hat – souverän gespielt von Ulrich Reinthaller und Joseph Lorenz. Als Walter stirbt, entwickeln Henry und Eric eine tiefere Freundschaft, die dann in einer Ehe münden soll. Aber auch gesellschaftspolitisch dreht sich alles weiter. Das Haus von Walter, in dem dieser verzweifelte obdachlose Aids-Kranke aufgenommen hatte, wird zur Metapher der Menschlichkeit als Eric dann den verwahrlosten Stricher Leo dort aufnimmt. Ja, auch Kitsch bekommt man in diesem Drama nicht zu knapp – aber immer noch in gerade ertragbaren Dosen. Zweifelsohne muss man sich auf „Das Vermächtnis“, das zurecht zahlreiche Preise eingeheimst hat, einlassen. Die Belohnung für den Zeitaufwand (auch wenn es zugegebenermaßen im 2. Teil ein paar Längen gibt) ist ein wirklich packendes Theatererlebnis.


Karten und Infos: josefstadt.org

Das Jungtalent – Nils Arztmann spielt „Das Vermächtnis“ im Theater in der Josefstadt

Es geht um homosexuelle Freunde in New York von den AIDS-Jahren bis heute. In seinem mehrfach ausgezeichneten Stück „Das Vermächtnis“ (u. a. Tony-Award ) verarbeitet der Amerikaner Matthew López das Schicksal dreier Generationen schwuler Männer zu einem hochaktuellen Spiegel unserer Gesellschaft. Geschrieben in der ersten Periode der Präsidentschaft Donald Trumps entfaltet die Geschichte gerade heute eine enorme Sprengkraft. Das Theater in der Josefstadt bringt ab 15. März das mit Pausen mehr als 7 Stunden dauernde Stück erstmals in Österreich auf die Bühne. In der Inszenierung von Elmar Goerden spielen 11 Männer und nur eine Frau (Andrea Jonasson). Einer von ihnen ist der 1999 in Wien geborene Nils Arztmann, der seit 2 Saisonen fix im Ensemble der Josefstadt ist und schon in zahlreichen Produktionen zu sehen war (u. a. „Leben und sterben in Wien“, „Die Möwe“).

wienlive: Sie wollten schon als Kind zur Bühne, dabei waren die Eltern nicht am Theater, wie kam es dazu?

Nils arztmann: Ich bin zu der Kindertheatergruppe „gut gebrüllt“ von Maria Köstinger gekommen. Das war der Startschuss – obwohl es dann noch lange gedauert hat, bis ich mir eingestanden habe, dass ich das professionell machen will. Aber nach der Matura war mir klar, dass ich das zumindest probieren muss. Ich wollte dann eigentlich in einer deutschen Schauspielschule vorsprechen, bekam aber während meines Zivildienstes nur 10 Tage Urlaub – da gingen sich nur Schulen in Österreich aus und es wurde das Max Reinhardt Seminar, worüber ich nachträglich sehr froh bin.

Sie haben angesichts Ihres Alters schon sehr viel gespielt – sowohl am Theater als auch im Film, dabei war zwischendurch ja Pandemie?

Ja, irgendwie ist sich da viel ausgegangen. Vielleicht auch, weil ich sehr früh angefangen habe. Und: Ich hatte immer auch große Lust zu spielen.

 Das Theater in der Josefstadt ist ideal für Sie?

Ja, vor allem durch die Kolleginnen und Kollegen. Speziell jetzt bei den Proben zum „Vermächtnis“ – da entsteht ein Raum, in dem wir gemeinsam eine Geschichte erzählen wollen, die uns am Herzen liegt. Auch weil wir alle wissen, dass dieses Stück gerade jetzt wichtig ist. Das spürt man. Wenn man so eine lange Zeit – wir proben mehr als 4 Monate! – gemeinsam zusammen ist, fühlt man, dass man echt zusammenwächst. Also das Gegenteil von Lagerkoller, sondern so etwas wie eine metaphysische Verbindung. Dabei sind wir ja fast nur Männer – der tolle Monolog, gespielt von Andrea Jonasson, kommt erst sehr spät – nach fünfeinhalb Stunden.

Ein Stück mit fast nur Männerrollen, herrscht da eine andere Dynamik?

 Ich habe tatsächlich noch nicht darüber nachgedacht, dass wir nur Männer sind, obwohl es mir natürlich bewusst ist. Ich könnte auch nicht sagen, dass sich dadurch eine andere Dynamik ergibt – ich sehe meine Kollegen einfach nur als Menschen.

 Aber es sind doch alles schwule Männer, oder?

Die Mehrzahl schon, aber es gibt auch heterosexuelle Männer in dem Stück. Alle Schauspieler spielen außerdem mehrere Rollen. Ich spiele etwa einen jungen Mann, der Schauspieler werden möchte und in das Leben eines Pärchens – gespielt von Raphael von Bargen und Martin Niedermair – eindringt. Anfangs noch sehr naiv, wird er später auch manipulativ.

 Ist „Das Vermächtnis“ ein Konversationsstück mit wenig Handlung?

Nein, es gibt sogar sehr viel Handlung! Ich spiele auch einen Erzähler, der die Geschichte vorantreibt. Aber es wird immer wieder eingegriffen und „vorgespult“. Durch diesen dauernden Wechsel der Zeiten passiert eigentlich andauernd etwas. Man kann da zuschauen wie bei einer TV-Serie.

Matthew López hat sein Stück als Reaktion auf die erste Ära von Donald Trump geschrieben. Wie politisch ist „Das Vermächtnis“?

Das Drama ist wirklich sehr politisch und passt perfekt in die Gegenwart. Es geht ja auch konkret um den Abbau von Rechten, die über die letzten Generationen hinweg schon erkämpft worden sind. Das wird konkret thematisiert, angesprochen und behandelt. Aber das Stück ist einfach so vielfältig und umfassend – es kommen Sehnsucht, Liebe, Ängste und Politik vor. Das macht es ja so toll und so schillernd. Ich freue mich wahnsinnig darauf, das spielen zu dürfen.


Das komplette Interview lesen Sie im neuen Wienlive. Hier entlang zum E-Paper.

Karten und Infos: josefstadt.org

Joachim Meyerhoff wieder an der Burg – er spielt in „Der Fall McNeal“ von Ayad Akhtar einen narzisstischen Autor

Bild: ©Tommy Hetzel

Überraschung schon bevor es überhaupt losgeht: Das Publikum sieht sich selbst gespiegelt, aufgenommen von einer Kamera und auf die Riesenleinwand im Hintergrund der Bühne projiziert. Und der Held des Dramas, der erfolgreiche Schriftsteller Jacob McNeal, macht dann auch gleich Selfies – wie übrigens ein großer Teil des Publikums vor Beginn auch. Willkommen in der schönen neuen Multimediawelt.

Doch dann wird es ernst, teilt ihm doch seine Ärztin mit, dass seine Leber seinen Alkoholkonsum nicht mehr lange mitmachen wird. Noch auf der Untersuchungsliege erreicht ihn ein Anruf aus Stockholm – er erhält den Literaturnobelpreis.

Nun ist McNeal freilich ein sehr spezieller Autor. Er ist überheblich, saugt die Erlebnisse seiner Mitmenschen literarisch aus wie ein Vampir und er benützt sogar KI – und das, obwohl er in seiner Nobelpreisrede, die wir miterleben können, von den Schwächen der KI und der Überlegenheit der Dichter schwafelt. Anscheinend ist er auch noch faul. Als größter Akt der Aneignung wird die Verwendung eines Manuskripts seiner verstorbenen Frau – sie hat Selbstmord begangen – für sein aktuelles Buch. Nachdem sie ja alles miteinander besprochen hätten, wäre es schließlich auch sein Buch… Damit mussten Frauen wohl die letzten Jahrhunderte immer rechnen. Und dieser Autor kennt die Literaturgeschichte bestens – alle Großen haben schließlich abgeschrieben, Stücke umgeschrieben, sich Zitate ausgeborgt wird er nicht müde zu referieren.

Joachim Meyerhoff – inzwischen ja selbst Bestsellerautor – spielt diesen hemmungslosen, selbstverliebten Dichter wunderbar stringent. Es ist sein Abend, er ist zwei Stunden lang in allen Szenen im Einsatz. Und natürlich besitzt er auch die Portion Charme, ohne die ein solches Monstrum ja kaum denkbar wäre. Allzu peinliche Gefühlsausbrücke umschifft er aber gekonnt.

Nur 4 andere Darsteller braucht es, 2 spielen Doppelrollen. So ist der durch den Film „Im Westen nichts Neues“ berühmt gewordene Felix Kammerer nicht nur McNeals Sohn, sondern auch die etwas unbedarfte Assistentin von McNeals Agentin, die von Dorothee Hartinger gespielt wird. Zeynep Buyraç ist sowohl seine kühle Ärztin als auch die von ihm emotional ausgesaugte Geliebte in der Schlussszene. Schließlich die afroamerikanische Reporterin der „New York Times“ – Safira Robens –, der McNeal schon ziemlich betrunken erzählt, dass er Harvey Weinstein bewundert. 

Regisseur David Bösch setzt ziemlich flächendeckend Videotechnik ein, wohl aus dem oben genannten Grund (Bühnenbild Stephane Laimé, Komponist Arno Kraehahn). Das lenkt bisweilen mehr ab, als es erhellend wirken könnte, zumal „Der Fall McNeal“ ein klassisches Konversationsstück ist, was bestimmt auch zum großen internationalen Erfolg beigetragen hat. Die deutsche Übersetzung stammt von Daniel Kehlmann. Langer Applaus!

Infos & Karten: burgtheater.at

The moon wears a white shirt – Dreiteiliger Ballettabend in der Volksoper

Bild: ©Ashley Taylor

The „moon wears a white shirt“ präsentiert drei Werke von Martin Schläpfer (Drittes Klavierkonzert), Karole Armitage (Ligeti Essays) und Paul Taylor (Dandelion Wine).

Der Mond trägt ein weißes Hemd: Diese Zeile aus einem Gedicht des Ungarn Sándor Weöres schenkt dem Tanzabend mit Werken von Martin Schläpfer, Karole Armitage und Paul Taylor seinen Namen. György Ligeti hat es in seine Drei Weöres-Lieder (vertonte Gedichte oder Texte des ungarischen Dichters Sándor Weöres) aufgenommen – einer der Zyklen, die die musikalische Basis für Karole Armitages Ligeti Essays bilden. Mit Armitage ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten der amerikanischen Tanzszene in Wien zu Gast. Sie hat als Tänzerin u.a. mit George Balanchine und Merce Cunningham gearbeitet, als Choreographin schafft sie – zunächst mit Punk assoziiert – vielseitige Verbindungen zwischen Tanz, Bildender Kunst, Dichtung und Musik.

Den poetisch-nächtlichen Metaphern ihrer Ligeti Essays geht mit Martin Schläpfers „Drittes Klavierkonzert“ zur gleichnamigen Komposition von Alfred Schnittke ein Tanzen zwischen traum- und alptraumartigen Zuständen voraus: ein Ballett über den Lebensweg einer Frau, über Freiheit und Abhängigkeit, Hingebung und Entzweiung.

In helles Licht getaucht ist dagegen Paul Taylors „Dandelion Wine“. Zu einem Violin-Concerto Pietro Locatellis entfaltet der bedeutende American Modern Dance-Künstler mit atemberaubender Energie und in raffinierter Unbekümmertheit eine fröhliche Huldigung an den Sommer, eine funkelnde Ode an die Freundschaft.

Gewidmet ist „The moon wears a white shirt“ den 24 Tänzer:innen des Wiener Staatsballetts, die den Corps de ballet der Volksoper formen. Unter der musikalischen Leitung von Christoph Altstaedt und mit der Pianistin Alina Bercu als Gast sind dem Wiener Staatsballett mit Stephanie Maitland, Annelie Sophie Müller und Birgid Steinberger drei Mitglieder des Sängerensembles ebenso enge Partnerinnen wie das Orchester der Volksoper Wien, dessen Musiker:innen nicht nur als Ensemble, sondern auch solistisch zu erleben sind: die Konzertmeisterinnen Bettina Gradinger und Vesna Stanković mit Locatellis hochvirtuosem Violin-Concerto c-Moll op. 3 Nr. 2 sowie ein Quartett aus den Reihen der Schlagzeuggruppe mit Ligetis Mit Pfeifen, Trommeln, Schilfgeigen.

volksoper.at

In den Schlund der Society – Stefanie Sargnagels „Opernball“ im Theater Rabenhof

Bild: ©Ingo Pertramer

Die Wiener Schriftstellerin Stefanie Sargnagel erkundete im Vorjahr im Auftrag des Rabenhof Theaters und Johann Strauss 2025 tatsächlich den Opernball. Ihre Beobachtungen mündeten jetzt in dem Theaterabend „Opernball – Walzer, Wein und Wohlstandsbauch“. Und so erleben wir in der Regie von Christina Tscharyiski Laura Hermann, Martina Spitzer, Skye MacDonald und Jakob Gühring in Blütenroben – sie sehen echt aus wie ein Blumenarrangement – beim Besuch des berühmtesten Balls der Welt. Sie spielen neben der Autorin eine kleptomanische Kellnerin und einen Strauss-Experten mit Rededurchfall (irgendwie musste das ja rein…). Die wirklich fetzige Musik kommt von der Band Salò, die mit einer Art New Wave-Punk für beste Stimmung sorgt. Das Publikum nimmt die Satire auf die Bussi-Bussi-Society dankbar auf, wir erleben ein gar nicht so feines Gerangel um gute Sicht auf die Eröffnung, den gescheiterten Versuch der Crew in die viel lustigere Mitarbeiter-Kantine zu kommen und am Ende öffnet sich auf einer Loge ein Höllenschlund. Der Opernball ist natürlich eine Klassengesellschaft, die wahren Promis sitzen ja gut geschützt in ihren Logen. Das Premierenpublikum feierte die Crew sehr ausgiebig. In Wirklichkeit ist aber vielleicht die Fernsehübertragung des Balls (hab ich allerdings noch nie gesehen) die noch viel größere Satire…

Infos & Karten: rabenhof.at

Ein Fest der Schauspielkunst: „Egal“ und „Ellen Babić“ von Marius von Mayenburg im Akademietheater.

Bild: ©Monika Rittershaus

Zwei Einakter, die man in der Folge auch einzeln im Akademietheater buchen kann. In „Egal“ spielen Caroline Peters und Michael Wächter ein Paar mit zunächst ungewöhnlicher Arbeitsteilung. Sie ist die erfolgreiche Karrierefrau, die gerade von einer Geschäftsreise aus Italien zurückkommt, während er auf die Kinder aufpassen muss und gar nicht zu seiner Arbeit – er ist Übersetzer – finden konnte. Streit lauert da hinter jeder Banalität, sogar das mitgebrachte Geschenk (schlechtes Gewissen?) wird zum Anlass. Doch Marius von Mayenburg ist ein Theaterprofi und weiß, dass das keinen Abend trägt und so wechseln mittendrin die beiden ihre Rollen – er kommt heim und sie darbt zu Hause. Zusätzliche Konflikte kommen auf, als sie oder er plötzlich ein Angebot bekommt, ins Ausland zu übersiedeln und dort richtig viel Geld zu machen. Thomas Jonigk hat das sehr flüssig und abwechslungsreich und sogar mit Slapstickelementen inszeniert. Das Publikum feiert zurecht die beiden Schauspieler – Caroline Peters kehrt ja mit dieser Rolle an die Burg zurück.

Mehr spannend, denn lustig der zweite Einakter: Ellen Babić ist eine Schülerin, die sich bei einer Klassenfahrt betrinkt, am WC zusammenbricht und dann die Nacht bei der Lehrerin Astrid (Dörte Lyssewski) verbringt. Die ist allerdings seit Jahren in einer Beziehung mit einer ehemaligen Schülerin – Klara (Maresi Riegner). Eine Beziehung, die eben auch auf einer Klassenfahrt begonnen haben soll. Der schleimige Direktor (Jörg Ratjen) kommt bei dem Paar zu Besuch, um von einer Beschwerde des Vaters von Ellen Babić zu berichten. Die Sache könnte ein Kriminalfall werden. Gespielt wird im nämlichen modern-praktischen Bühnenbild, wirklich aufgeklärt wird die Sache aber nicht. Dafür sehen wir auch hier beste Schauspielkunst. 

Infos und Karten: burgtheater.at

Publikumsdialog statt innerer Monolog – „Fräulein Else“ frei nach Schnitzler im Volkstheater

Bild: ©Marcel Urlaub

Arthur Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“ gilt neben „Leutnant Gustl“ als Prototyp des literarischen inneren Monologs. Eine junge Frau wird von ihrem bankrotten Vater genötigt, einen reichen Kunsthändler anzupumpen, um Gefängnis und Schande von der Familie abzuwenden. Der will allerdings einen „Deal“ – eine Viertelstunde soll Else nackt vor ihm stehen. Bei Schnitzler nimmt sie sich daraufhin mit Veronal das Leben. Aber funktioniert das heute noch, nach Weinstein & Metoo? Regisseurin Leonie Böhm und Schauspielerin Julia Riedler versuchen im Volkstheater eine Antwort.

Dabei startet ihre Else gleich zu Beginn einen Dialog mit dem Publikum. Banalitäten werden ausgetauscht, Else fragt nach Veronal, spricht die Souffleuse als Tante an, einen jungen Mann als ihren Cousin.  Aus dem inneren Monolog wird ein äußerer. Dazu ist eine enorme Bühnenpräsenz notwendig, die Julia Riedler auch aufbringt, als Requisite dient nur ein Kronleuchter. Nach und nach kommen aber die Umstände des Deals zutage, der Kunsthändler als schmieriger Typ, der seine Knie an ihre presst entlarvt. Aber Else darf ausschweifen: wie wäre es, wenn alle bei ihrer Entkleidung dabei wären – würde ihm das den Spaß versauern? Wenn sie dann nur mit Unterhose bekleidet vor ihm steht, käme er vielleicht sogar zur Selbsterkenntnis und er sieht ein: „Mein Verhalten war ja megatoxisch!“ Das ist dann wieder so absurd, dass es komisch rüberkommt. Am Ende öffnet sich der Eiserne Vorhang und Else darf in ein Nebelmeer tanzen.

Schnitzler hat in „Fräulein Else“ den Frauenkörper brutal als Ware dargestellt – einmal schauen kostet 30.000 Kronen. Diese Kapitalismuskritik geht an diesem Abend vielleicht doch etwas unter. Das Premierenpublikum jubelte Schauspielerin und Regisseurin dennoch frenetisch zu.

Infos & Karten: volkstheater.at

 „Ever Given“ am Volkstheater, „Der Revisor“ im Akademietheater und „Akins Traum“ an der Burg

Bild: ©Tommy Hetzel

Nach drei Abenden hintereinander an drei Wiener Bühne stellen sich Ermüdungserscheinungen ein – und das liegt nicht nur an den Bestuhlungen.

Freitags am Volkstheater: „Ever Given“, eine „Kipp-Punkt-Revue“ von Helgard Haug und Rimini Protokoll. Haugs Arbeit zum Verschwinden eines Flugzeuges („All Right. Good Night“) war wirklich spannendes Doku-Theater, doch diesmal wirkt ihr Konzept nicht schlüssig. Es sollte um die wochenlange Blockade des Suezkanals nach der Havarie des Containerschiffs ”Ever Given“ gehen. Der globale Stillstand der Handelsströme wird von der Metapher zur Realität. Doch Haug mischt das mit Geschichten von Migration und persönlichen Schicksalsschlägen. Das mag alles interessant sein – die nur über Video eingespielte Beschreibung einer Frau, die über ihr Stottern erzählt, ist sogar sehr witzig –, es mangelt aber an einer gedanklichen Klammer. Und die Live-Musik macht es diesmal auch nicht besser.

Am Samstag dann Nikolai Gogols Komödienklassiker „Der Revisor“ aus dem Jahr 1835 im Akademietheater. Regisseur Mateja Koležnik versetzt das zweifelsohne noch immer aktuelle Stück über eine Kleinstadt, die einen faulen kleinen Beamten, der auf zu großem Fuß lebt, für einen Revisor hält, in ein Ambiente von Kaltem Krieg und Realsozialismus. Alle sind korrupt, das Gemeinwohl wird mit Füßen getreten. Die Gemeindediener führen einen artistischen Tanz auf, um den Status Quo zu verschleiern – das bringt einen grotesken Drive in den Abend. Andrea Wenzl und Lola Klamroth setzen als schrille Mutter und gestörte Tochter des Bürgermeisters noch einen drauf. Es gibt sehr unterhaltsame Szenen, Tim Werths als vermeintlicher Revisor mit Oberschüler-Charme ist ebenso gerissen wie eitel. Eine solide Arbeit, vielleicht hätte man sich im Kafka-Jahr aber doch mehr Hinweise auf das Parabelhafte dieser Komödie gewünscht.

Sonntag dann im Burgtheater: „Akins Traum vom osmanischen Reich“, ein fürs Schauspiel Köln geschriebenes Stück des 1991 in Essen geborenen Autors Akın Emanuel Şipal, das der Burg-Chef Stefan Bachmann jetzt an seinem neuen Haus zeigt. In Köln soll es ja sehr erfolgreich gewesen sein, in Wien wirkt das ganze zumal auf der großen Bühne dann doch sehr dünn. Anhand der Identitätskrise des Autors wird die Geschichte des osmanischen Reichs im Schnelllauf aufgearbeitet – immerhin standen die Osmanen ja auch zweimal in Wien, wie man bei uns schon in der Volksschule lernt. Nun, Mehmet Ateşçi als Erzähler und Alter Ego des Autors ist durchaus sympathisch und ein paar Gags – wie der Kampf um die immer wieder von ihm vergessenen Feuchttücher für seine Kinder – locken den Abend auch auf. Doch die historischen Szenen beginnen schnell zu ermüden, zumal ihnen auch die historische Reflexion fehlt.


volkstheater.at

burgtheater.at

Ferenc Molnárs „Liliom“ am Burgtheater mit der wieder zurückgekehrten Stefanie Reinsperger in der Titelrolle

Bild: ©Tommy Hetzel

Zum Schicksal des Hutschenschleuderers Liliom fällt einem unwillkürlich der alte Schlager „Mei potschertes Leb‘n“, gesungen von Hans Orsolics ein. Im Zwischenmenschlichen völlig unbegabt stolpert die Halbweltfigur Liliom von einer Katastrophe in die nächste, um sogar noch im Jenseits zu versagen. Das Stück des Budapesters Ferenc Molnár ist aber auch eine Liebesgeschichte in schweren Zeiten über zwei Menschen, die ihre Gefühle nicht (Liliom) oder nur unzureichend (Julie) artikulieren können. Ein Stück des Scheiterns, das – zumal im deutschen Sprachraum – zum Theaterhit wurde.

Terézia Mora hat das 1909 uraufgeführte Drama neu übersetzt, wir erleben im Burgtheater eine sehr wienerische Fassung, bei der das Publikum mit wunderbaren Wiener Dialektausdrücken zumindest zum Schmunzeln gebracht wird. Und mit Stefanie Reinsperger als brutal-fragilen Liliom und Maresi Riegner als seine leidende, aber nicht schwache Frau Julie darf auch ein Liebespaar erlebt werden, das den Vergleich mit klassischen Vorbildern standhält.

 Gespielt wird auf einer hügeligen Gstätten – dahinter blitzen die Lichter des  Rummelplatzes auf, man sieht aber auch große Wohnblöcke. Zwischendurch taucht ein kleines Haus oder Wohnmobil auf – mehr braucht es nicht. Regisseur Philipp Stölzl hat das stimmige Bühnenbild entworfen – wie auch seine Inszenierung wirkt alles ein bisschen entrückt, er braucht keinen in einer bestimmten Zeit festzumachenden Sozialkitsch, um die Geschichte zu erzählen.

In der zweistündigen Aufführung können auch Nebenfiguren glänzen – etwa die Ringelspielbesitzerin Muskat (Franziska Hackl) oder der Verbrecher und Verführer Stutzer (Sebastian Wendelin). Robert Reinagl kann sogar vier Rollen ausfüllen. Einzig der Schlussakkord fällt mit einem Video auf dem die glücklichen Momente des Paares zu sehen sind, doch etwas zu bemüht aus. Das hätte man sich sparen können.  

Das Premierenpublikum beklatschte den Abend zurecht heftig.

Infos & Karten: burgtheater.at


Stadt der gestrandeten Seelen – „Camino Real“ im Volkstheater mit der Band Calexico

Die Indie-Band „Calexico“ gibt es schon seit 1996, dabei ist ihr Wüstenpop – die Musiker stammen aus Tucson in Arizona – niemals alt geworden. Der Bandname selbst ist ein Kofferwort aus Kalifornien und Mexiko. Die Regisseurin Anna-Sophie Mahler, war einst als Geigerin mit der Band auf Tournee und so kommt es, dass Calexico nun in Tennessee Williams seltsamen Stück „Camino Real“ mit eigenen Songs am Volkstheater zu hören sind. Joey Burns und John Convertino – mit Trompeter Martin Wenk an der Seite – geben in weißem, mit Glitzerzeug bestickten Anzügen als Don Quichotte und Sancho Pansa sogar ihr Schauspieldebüt.

Camino Real, zu Deutsch der Königsweg, ist daher ein Theaterabend, der halb Konzert ist. Das ist nicht schlecht, zumal Williams weniger eine Handlung, denn Skizzen von Personen filiert hat.

Da gibt es den feiste Hotelbesitzer Gutman (Andreas Beck), die „kleine Mutter der Verlorenen“ (Paula Carbonell Spörk), den abgebrannte Jacques Casanova (Elias Eilinghoff), den Überlebenden (Günther Wiederschwinger), den skurrilen Chef einer miserablen Männerabsteige (Uwe Rohbeck), eine Wahrsagerin (Anke Zillich), ihre Tochter Esmeralda (Lavinia Nowak), die Kurtisane Marguerite (Bettina Lieder), Lord Byron (Uwe Schmieder) und vor allem den Leichtgewicht-Boxchampion Kilroy (Stephan Kevi), der sowas wie die Konstanze des Stückes wird. Seine tragische Geschichte – er kommt mit einem Kutter in die namenlose Stadt, wird ausgeraubt und erlebt eine Enttäuschung nach der anderen. Bis er am Ende sogar sein viel zu großes Herz opfern muss. Allen drohen am Ende nämlich die Straßenkehrer, die die Toten entsorgen.

„Camino Real“ ist ein kurzweiliger Abend an der Grenze der Welt und an der Grenze zwischen Theater und Konzert. Wer Calexicos feine Mischung aus Country, Rock und mexikanischer Volksmusik liebt, darf das nicht versäumen.

Infos & Karten: volkstheater.at