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Theater als Comic – „Mehr als alles auf der Welt“ im Akademietheater

Vier Schauspielerinnen (Isabella Knöll, Stefanie Dvorak, Alexandra Henkel und Andrea Wenzel) und ein Schauspieler (Markus Meyer) bewegen sich in einem höchst originell gezeichneten und animierten Comic (Bühne: Paul Barritt) – eine Comicfigur, ein kleiner Junge (Stimme: Gregor Benner), spielt sogar mit. Das funktioniert am Akademietheater erstaunlich gut, die Geschichte für junge Menschen ab 8 könnte ein Theaterhit werden.

Die 2005 gegründete britische Theatergruppe „1927“ hat mit „Mehr als alles auf der Welt“ ein ungemein bewegendes Stück über die Schwierigkeiten für Heranwachsende mit einem abwesenden Elternteil geschaffen – verschärft dadurch, dass der Vater im Gefängnis sitzt und die beiden Kinder es noch nicht wissen. Geld ist auch knapp, ein höchst prekärer Unterschichtshaushalt könnte man sagen. Dafür gibt es jede Menge Fantasie und Träume. Der abwesende Vater schickt seiner Tochter nämlich laufend Berichte über seine gerade erlebten Abenteuer – als Erklärung, warum er nicht bei ihnen sein kann. Er wird bestohlen und auf der Suche nach dem Dieb gerät er von einem Schlamassel ins andere. Die Lebenswirklichkeit der Familie daheim ist dabei auch nicht gerade frei von Herausforderungen. Da gibt es die böse Nachbarin und eine mafiöse Schulgang. Und die Sozialarbeiterin, die sie mit Keksen anfüttert, entpuppt sich als Abgesandte einer Internatsschule, die mittellose Kinder anwirbt.

Das alles wird sehr liebevoll und mitreißend gespielt. Quasi die Hauptperson sind die wunderbaren, animierten Zeichnungen, die unschwer als die englischen Originale zu erkennen sind. Regisseurin und Autorin Susanne Andrade lässt die nachdenklich machende Geschichte perfekt ablaufen. Eine Produktion, die tatsächlich – wie es im Programmheft heißt, für alle „von 8 bis 108“ zu empfehlen ist.


Infos: burgtheater.at

Die russische Provinz als den Ort, an dem zumindest alle denkenden Wesen an Stumpfsinnigkeit und Langeweile leiden, ist in den Dramen von Anton Tschechow immer präsent.

Ein Tschechow wie von Beckett – „Onkel Wanja“ im TAG-Theater in der Gumpendorfer Straße

Die russische Provinz als der Ort, an dem zumindest alle denkenden Wesen an Stumpfsinnigkeit und Langeweile leiden, ist in den Dramen von Anton Tschechow immer präsent. In seinem vielgespielten Stück „Onkel Wanja“ landet ein Kunstprofessor, weil er sich das Leben in der Stadt nach seiner Pensionierung nicht mehr leisten kann, auf dem Gut seiner ersten Frau. Für Spannung dort sorgt, dass seine zweite Frau ungewöhnlich schön und auch viel jünger ist.

Der litauische Theatermacher Arturas Valudskis inszeniert im Theater TAG mit dem engagierten kleinen Team mit Georg Schubert, Andreas Gaida, Ida Golda, Michaela Kaspar und Jens Claßen einen „Onkel Wanja“, der sehr gestrafft, aber auch punktgenau wirkt. Im TAG war man in den vergangenen Jahren ja oft mit starken Neubearbeitungen konfrontiert. Dieser „Onkel Wanja“ hält sich freilich ziemlich an Tschechow. Wobei das Komödiantische auch diesmal nicht zu kurz kommt. Es gibt witzige Pantomimen und die Mannsbilder messen sich von Zeit zu Zeit an einem schweren Steinblock. Was auffällt ist die Nähe Tschechows zum Existenzialismus und zum absurden Theater. Oft scheinen die Protagonisten einem Beckett-Stück entsprungen. Viel verdienter Applaus bei der Premiere.


Infos & Karten: dastag.at

Schon 140 Jahre hat Henrik Ibsens Paradestück über die Mechanismen politischer Entscheidungsfindung „Ein Volksfeind“ auf dem Buckel.

Populismus siegt über Wahrheit – Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ im Theater in der Josefstadt

Schon 140 Jahre hat Henrik Ibsens Paradestück über die Mechanismen politischer Entscheidungsfindung „Ein Volksfeind“ auf dem Buckel. Aber jede Generation findet für sich heraus, wie dieses Drama gerade wieder zur aktuellen Themenlage passt. Die Handlung ist relativ simpel: Ein Kurarzt findet heraus, dass das Wasser der gerade wieder erweiterten Therme gesundheitsgefährdend ist und sein Bruder, der Bürgermeister tut alles, um diesen Bericht zu verunglimpfen. Volk und Presse stehen bald schon auf der Seite des Bürgermeisters, denn eine auch nur vorübergehende Schließung der Therme würde sie Wohlstand kosten. Wenn wie aktuell der Populismus scheinbar wirtschaftlich begründet ist, lässt sich schwer mit Vernunft dagegen ankämpfen.

Denn natürlich hat der Kurarzt (den Roman Schmelzer in der Josefstadt als naiven Wissenschaftler interpretiert) gegen den allglatten und rhetorisch exzellenten Politiker (Günter Franzmeier) nicht die geringste Chance. Regisseur David Böschs „Ein Volksfeind“-Inszenierung in der spielerprobten Arthur-Miller-Bearbeitung ist bewusst eingängig, aber in einigen Details durchaus auch witzig. So gibt es lustige Plakate zur schönen neuen Thermenwelt und gespielt wird auch auf einer Baustelle. Denn nicht nur die Therme wird gebaut, sondern auch das neue Eigenheim für die Familie des Kurarztes. Als es letztendlich  um die Existenz der eigenen Familie geht, hat der Kurarzt praktisch keine Wahl mehr.

So nebenbei zerlegt Ibsen in diesem Stück auch gleich die Illusion einer freien Presse. Erst knickt der Eigentümer des Volksblatts (André Pohl), dann auch der anfangs kämpferische Chefredakteur (Oliver Rosskopf) ein. Die Wahrheit kostet nicht nur der Zeitung, sondern auch den Steuerzahlern einfach zu viel Geld.

Dem Premierenpublikum gefiel es – viel Applaus für eine unterhaltsame Politfarce, die ihre Aktualität wohl – leider – niemals verlieren wird.


Infos: www.josefstadt.org

Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ im Akademietheater

Dunkel und kalt ist es in Barbara Freys Fassung von Arthur Schnitzlers wohl bekanntestem Stück. Und das ist nur konsequent, denn an diesem Abend geht es knapp zweieinhalb Stunden um das, was sich Menschen im Namen der Liebe antun können. Schnitzler – bekanntlich ein ausgebildeter Mediziner – seziert in „Das weite Land“ die Ehe von Friedrich und Genia Hofreiter und nebenbei und spiegelverkehrt auch die von Natter und seiner von einem zum anderen flatternden Ehefrau Adele. Der Bankier (Branko Samarovski) spricht aus, warum er trotzdem bei seiner Frau bleibt – weil er sie liebt. Und Liebe ist es auch, die Genia an ihrem notorisch untreuen Friedrich bindet. Am Ende des dichten Abends fällt der Vorhand zum Bühnenhintergrund und gibt den Blick auf eine riesige Maschine, die an den in Wien gerade wieder aktiven „Maulwurf“ – eine U-Bahn-Baufräse – erinnert, frei. „Die Seele ist ein weites Land“ heißt der zum Kalauer verkommene Spruch aus dem Stück. Ja, und sie ist augenscheinlich auch für die im Untergrund schlummernden Grausamkeiten verantwortlich.  

Was Wiener Theaterbesucher (die Produktion ist eine Zusammenarbeit mit der Ruhrtriennale) natürlich besonders verwundert ist die Weigerung der Regisseurin, über die doch auch präzise Sprache Schnitzlers einen Konversationston zu legen. Am Anfang wirkt es gerade so als ob die Darsteller gar nicht miteinander sprechen – und sie schauen sich auch fast nie in die Augen. So wird das Brutale des Geschehens bis hin zum völlig widersinnigen tödlichen Duell am Schluss noch deutlicher. Dieser Friedrich Hofreiter – wunderbar verhalten gespielt von Michael Maertens – ist ja auch ein geradezu monströser Egoist und Manipulator. Seine Frau – sehr nuanciert und konzentriert gespielt von Katharina Lorenz – bewundert man für ihre Gefasstheit. Sie ist die eigentliche Hauptperson dieser Aufführung, denn dieser Hofreiter ist doch eigentlich nur ein grandioser Schwätzer. Itay Tiran gibt seinen etwas steifen Freund Dr. Maurer, Bibiana Beglau die Schauspielerin und Freundin Genias. Ein Abend, an dem man einiges an menschlichen Abgründen zugemutet bekommt, doch das Wiener Publikum versteht das und applaudiert verdientermaßen lange.

Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ im Akademietheater. Eine Theaterbesprechung von Helmut Schneider.

Arthur Schnitzler, Das weite Land
burgtheater.at

Bild: ©Pohlmann

Die Josefstadt und das Burgtheater eröffnen ihre Saisonen mit Stoffen aus der Zwischenkriegszeit, die den folgenden nahen Umbruch schon vorausahnten.

Zeitenwenden – „Ingolstadt“ im Burgtheater & „Ein Kind unserer Zeit“ in der Josefstadt

Die Josefstadt und das Burgtheater eröffnen ihre Saisonen mit Stoffen aus der Zwischenkriegszeit, die den folgenden nahen Umbruch schon vorausahnten. Ödön von Horváths Roman „Ein Kind unserer Zeit“ erschien erst postum. Der 1938 tragisch verunglückte Autor schildert darin die Wandlung eines Soldaten zum Denkenden. Stephanie Mohr hat den Text für die Bühne bearbeitet und lässt den Soldaten von vier Frauen – Therese Affolter, Katharina Klar, Susa Meyer und Martina Stilp – spielen. Das bringt zumindest Abwechslung, zumal ihre Stimmen sehr verschieden sind.

Dass die chauvinistischen Männersprüche dadurch gebrochen würden, lässt sich aber nicht feststellen. Wir erleben einen jungen Menschen ohne Talente, der zum Heer geht, weil er dort zumindest eine tägliche Mahlzeit erhält. Außerdem lernt er Ordnung und braucht nicht viel zu denken. Seinen hart als Kellner arbeitenden Vater verachtet er nur. Interessant ist, dass Horváth den Krieg als Überfall auf ein kleineres Land beschreibt. Man nennt es Säuberung und schreckt auch nicht vor Massakern an Kindern und Frauen zurück. Ausgerechnet der von allen bewunderte Hauptmann kann da nicht mehr mit – er rennt in eine Maschinengewehrsalve.

Desillusioniert und verwundet kehrt der Soldat zurück und versucht seine ehemals Angehimmelte zu finden. Am Schluss stellt er fest, dass er nicht in die Zeit passt.
Gerade dadurch ist er allerdings ein Kind seiner Zeit. Die Produktion funktioniert recht flüssig, bleibt allerding Dramatik schuldig. Es hilft nichts, der Text ist ein Roman mit allen seinen Beschreibungen und scharfen Kommentaren. Wir erleben sozusagen ein tolles Hörspiel auf der Bühne. Vielleicht sollte man es auch so vermarkten.

Marieluise Fleißers „Ingolstadt“ hatte schon in Salzburg Premiere. Ivo van Hove lässt ihre beiden Stücke „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt“ ineinander verschränkt spielen. Das eine die Geschichte einer ungewollten Schwangerschaft und eines Außenseiters, das andere eine Abrechnung mit der Brutalität des Militärs in der eigenen Zivilgesellschaft. Wir sehen einen sehr dichten Abend in dem die existenzielle Leere der Zeit sozusagen aus allen Poren der Figuren quillt. Niemand wirkt gefestigt, nicht einmal die Soldaten können sich in ihrer Befehlskette einrichten. Sie taumeln durch das Bühnenbild, das fast vollständig unter Wasser gesetzt wurde – wir sind ja an der Donau und es soll eine Brücke gebaut werden. Marie-Luise Stockinger gibt die richtungslose Schwangere, Jan Bülow den wasserscheuen Outlaw.

Van Hove setzt auf starke Bilder mit spiegelnden Transparenten und viel Dunkelheit – es scheint immer Nacht zu sein in Ingolstadt. Als junge Mädchen, die sich von den Soldaten Geld und Liebe erhoffen, agieren Lilith Häßle und Dagna Litzenberger Vinet. Eine auch von den Zuschauern sehr viel fordernde Produktion, die den Umbruch erlebbar machen will.


„Ingolstadt“ im Burgtheater
(Bild: ©Matthias Horn)

Bis 18. 10.

Karten & Info

„Ein Kind unserer Zeit“ im Theater in der Josefstadt
(Bild: ©Moritz Schell)

Bis 8. 2. 2023

Karten & Info

Opernlabor in der Brotfabrik – The Start Up

©Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

»THE START UP« 

Dieses Wochenende zeigt das Opernlabor in der Brotfabrik ihr neues Stück.

Das Opernlabor der Wiener Staatsoper lädt unter der Leitung von Krysztina Winkel Jugendliche und junge Erwachsene in wöchentlichen Proben dazu ein, mit Inhalten und Themen zu experimentieren sowie persönliche und gesellschaftliche Themen zu behandeln, die aus ihrer Perspektive dringend eine Plattform benötigen. Inspiriert wird das Projekt jedes Jahr von einer Oper aus dem Repertoire der Wiener Staatsoper. Das Ziel des Projekts ist es – neben dem Erschaffen einer neuen Musiktheater-Performance mit gesellschaftsrelevanten Inhalten – Lust und Neugier auf das Genre Oper sowie die Institution Wiener Staatsoper zu wecken.

Beim Opernlabor darf jede und jeder mitmachen, unabhängig von der eigenen musischen Vorbildung: Im Mittelpunkt steht vor allem der gemeinsame kreative Prozess und die daraus resultierende Begegnung von verschiedenen Persönlichkeiten, Interessen, Stärken und persönlichen Motivationen durch und mit denen gemeinsam Theater geschaffen wird. Aktuell sind 18 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 24 Jahren aus 8 Nationen im Opernlabor-Ensemble. Geprobt wird im Kulturhaus Brotfabrik im 10. Bezirk, hier ist auch der Sitz des Kooperationspartners Superar.

Im Zentrum des neuen Jugendstücks »THE START UP« stehen die Themen Stresskultur, toxische Kommunikation und Beziehungen sowie Femizide. Verhandelt wird dies in einem Start Up: Hier wird heiß diskutiert, denn die Sales-Zahlen stimmen schon lange nicht mehr. Entscheidungen werden getroffen und es wird gekündigt. Welche Auswirkungen diese Entscheidungen auf ein Individuum haben können, ist Ausgangspunkt für das neue Stück des Ensembles. Satirische Momente treffen auf kritische, tiefgreifende Sprachcollagen zu toxischer Kommunikation oder einen Recherche-Femizid-Chor aus Verharmlosungs-Headlines der Medien zum Thema Gewalt an Frauen.


Premiere: Freitag, 17. Juni 2022, 18.30 Uhr
Weitere Vorstellung: Samstag, 18. Juni 2022, 19.00 Uhr
Ankersaal im Kulturhaus Brotfabrik, 1100 Wien

Kostenlose Tickets können auf wiener-staatsoper.at reserviert werde, solange der Vorrat reicht.

Stephen Merritt & The Magnetic Fields

Stephin Merritt & the Magnetic Fields am 9. Juni im Akzent

Über Stephin Merritt ist fast nur Gegensätzliches bekannt. Er ist einer der profiliertesten Songschreiber der neueren Zeit und trotzdem gibt es keinen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag.
Text: Helmut Schneider / Foto: Creative Commons License

Stephin Merritt ist Multiinstrumentalist und bekannt für seine unverwechselbare Bass-Stimme, kann aber keine lauten Töne spielen, denn aufgrund eines Defekts nach einem höllischen Konzert der Einstürzenden Neubauten in New York der 80er, erzeugen laute Töne in seinem linken Ohr ein Feedback. Er schaffte mit seiner Band „The Magnetic Fields“ und dem Triple-Album „69 Love Songs“ 1999 einige Hits in der Alternativszene, aber jeglicher Starruhm ist dem bekennenden Atheisten, Vegetarier und Schwulen fremd. Er trägt angeblich nur braune Kleidung und verfassen kann er seine Songs nur in speziellen Bars, in denen „alte, schwule, schrullige Männer über heftige Disco-Musik herziehen“. Obwohl nie diagnostiziert, weist Merritt – wie er in Interviews gerne berichtet – Asperger-Symptome auf. Nicht gerade die besten Bedingungen für eine Karriere im Showbiz …

Am 9. Juni haben wir freilich das Glück, Stephin Merritt gemeinsam mit seinen Kollegen Sam Davol, Shirley Simms, Chris Ewen und Anthony Kaczinski von „The Magnetic Fields“ bei einem Auftritt in Wien erleben zu können. Eine kleine Sensation für wahre Musik-Auskenner. Natürlich spielt er nur im intimen Rahmen des Akzent-Theaters, begleitet nur von Akustik-Instrumenten. Performen wird er Songs aus 30 Jahren – auch aus dem hochgelobten Album „50 Song Memoir“, für das er anlässlich seines 50. Geburtstages 50 Lieder aus seinem Leben schrieb. Zum 30jährigen Jubiläum wird es eine spezielle Vinyl-Edition der 1992er EP „The House of Tomorrow“ geben. Merritt lebt hauptsächlich in New York und ist auch als Komponist von Film- und Theatermusik hochgeschätzt. Ein Konzert wie dieses sollten sich Liebhaber heutiger Musik nicht entgehen lassen.

Infos & Karten: akzent.at

Theaterkritik – Theater an der Gumpendorfer Straße, „Wannst net sterbst sehn ma uns im nächsten Herbst“

Wennst net sterbst sehn ma uns im nächsten Herbst


Zwei Frauen, die eine Live-Radiosendung mit Texten von und über Elfriede Gerstl machen. Ein Elfriede Gerstl-Abend im TAG.
Foto: Katsey


Elfriede Gerstl (1932 – 2009) war ein Solitär in der Wiener Literaturszene. Als jüdisches Kind überlebte sie die Nazi-Herrschaft in verschiedenen Verstecken, ab 1955 begann sie mit dem Publizieren von Texten. Eine große Leserschaft blieb ihr zwar verwehrt, in der Wiener Szene wurde sie aber bald zu einer vielbeachteten Literatin, die sich vor allem mit trocken pointierten Gedichten und kurzen Szenen und Sprüchen eine Fan-Gemeinde aufbaute. Man konnte die Rastlose vor allem in der Innenstadt in den Cafés und Bars treffen, beliebt war auch ihr Kleider-Flohmarkt, denn Gerstl sammelte mit Leidenschaft Klamotten.

Johanna Orsini und Martina Spitzer haben nun im TAG die oft auch humorvollen Texte von Elfriede Gerstl in einen Theaterabend verwandelt bei dem sie auch selbst gemeinsam auf der Bühne stehen. Sie spielen Radiomoderatorinnen, die im Rahmen einer Sendung an Elfriede Gerstl erinnern. Dabei schöpfen sie die Möglichkeiten des Theaters voll aus, wir erleben komische Pannen und viel Slapstick, wobei die beiden aber niemals auf Kosten der Autorin agieren. Wer dabei ist, kann die vielen Facetten Elfriede Gerstls kennenlernen, wie überhaupt der komplette Abend als gelungene Einführung in das Schaffen der Autorin gelten darf. Zwischendurch werden Songs von Ella Fitzgerald und den Beatles gespielt, die beide von Gerstl gerne gehört wurden – oder die beiden Darstellerinnen greifen schwungvoll zu Ukulele und Geige. 80 Minuten mit guter Unterhaltung bei außergewöhnlichen Texten.


„wannst net sterbst sehn ma uns im nächsten herbst“
Pistoletta Productions in Kooperation mit dem TAG

Theaterkritik – „Die Troerinnen“ im Burgtheater

Im Krieg leiden die Frauen


Im Krieg leiden die Frauen – „Die Troerinnen“ im Burgtheater. Eine Theaterkritik von Helmut Schneider.
Foto: ©Susanne Hassler-Smith


Nicht die Sieger waren für die griechischen Dichter interessant, sondern die Verlierer. Aischylos‘ „Die Perser“ gilt als erstes Theaterstück überhaupt und dort wird die Vernichtung der riesigen persischen Armee durch das wesentlich kleinere Heer der Griechen abgehandelt. Unglück und die Hybris der Mächtigen sind interessanter als das Glück der Sieger. In Euripides‘ 415 v. Chr. uraufgeführtes Stück „Die Troerinnen“ stehen die Frauen der Geschlagenen im Zentrum. Frauen leiden ja in Vernichtungskriegen meist noch mehr als Männer, ein gnädiger schneller Tod bleibt ihnen oft versagt.

Die australische Regisseurin Adena Jacobs zeigt nun im Burgtheater ihre Fassung der „Troerinnen“ – stark gekürzt, aber mit Texten von Ovid, Seneca und der australischen Autorin Jane Montgomery Griffiths angereichert.

Hekabe (Sylvie Rohrer), deren Tochter Kassandra (Lilith Häßle), Andromache (Sabine Haupt) und Helena (Patrycia Ziółkowska) treten nacheinander auf, um von ihrem soeben erfahrenen Leid zu berichten. Das hat etwas von einer Nummernshow. Wobei die Bilder, die zwischendurch gezeigt werden (Bühne: Eugyeene Teh) fast mehr Eindruck machen als die Texte. Meistens bleibt es dunkel und nur wenige Spots erleuchten die Szenen, die Choreografie des Chores wird präzise eingesetzt um Stimmung zu erzeugen. Gespielt wird in hautfarbigen Ganzkörperanzügen – ein Nacktlook also. Jacobs Bild der Antike ist ein ästhetisches, allzu oft aber auch ein pathetisches. Mit der Wucht der Geschichte scheint sie dann aber doch ihr Publikum zu gewinnen.


„Die Troerinnen“ im Burgtheater
burgtheater.at

Theaterkritik: „Eurotrash“ im Akademietheater

Die Reise der alten Dame


„Eurotrash“ von Christian Kracht im Akademietheater. Eine Theateransicht von Helmut Schneider.
Foto: ©Susanne Hassler-Smith


Der Regisseur und Schauspieler Itay Tiran hat für das Akademietheater Christian Krachts („Faserland“, „1979“, „Imperium“ u.a.) autofiktionalen Roman „Eurotrash“ gemeinsam mit Jeroen Versteele dramatisiert. Barbara Petritsch und Johannes Zirner spielen Mutter und Sohn. Sie ist eine 80jährige reiche Schweizer Erbin und leider schon dement, was sie mit reichlichem Alkohol- und Tablettenkonsum zu kaschieren versucht. Er ist Autor und fühlt sich verpflichtet, alle paar Monate bei seiner Mutter vorbeizuschauen. Jetzt aber wird er zu ihr gebeten, Mutter ist anscheinend aus der Anstalt geflüchtet und will ihr aus unsauberen Quellen erworbenes Geld (Waffen) verschenken. Und so brechen sie zu einer Reise nach Afrika zu den Zebras auf, kommen allerdings mit dem Taxi nur ein bisschen in der Schweiz herum. Aber die wahren Abenteuer sind ja sowieso im Kopf.

Das Bühnenbild (Nina Wetzel) besteht nur aus einem allerdings multifunktionalen grünen Sitzrondeau, das aus einem Hotel stammen könnte, und aus einem Glitzervorhang als Hintergrund. Die Poltermöbel gehen auch als Taxi oder Seilbahngondel durch. Mutter sitzt ja sowieso oft im Rollstuhl. Der Witz entsteht durch die skurrilen „Wuchteln“ der Frau Mama (betont auf der zweiten Silbe). Die Intellektualität des Sohnes läuft gegen die anarchistische Energie der alten Dame ins Leere. Eine Paraderolle für Barbara Petritsch, die sich darin auch sichtlich wohl fühlt. Wir erleben wunderbar unterhaltsame 100 Minuten in einer zur Kenntlichkeit parodierten Schweiz.


Informationen & Karten: burgtheater.at