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„Österreich hat sich etwas Besseres verdient als einen Wahlsieger Kickl“ – Unternehmer Stephan Zöchling finanziert die überparteiliche Initiative #ZusammenStaerker aus eigener Tasche, unterstützt wird er von weiteren Wirtschaftstreibenden. – ©picturedesk.com

Wer Extreme stärkt, schwächt Österreich – Stephan Zöchling und seine Initiative ZusammenStaerker

„Österreich hat sich etwas Besseres verdient als einen Wahlsieger Kickl“ – Unternehmer Stephan Zöchling finanziert die überparteiliche Initiative #ZusammenStaerker aus eigener Tasche, unterstützt wird er von weiteren Wirtschaftstreibenden. – ©picturedesk.com

Gegen Verhetzer in der Politik, gegen Populisten und Demagogen, tritt Spitzenunternehmer und Investor Stephan Zöchling anlässlich der Nationalratswahl am 29. September mit der überparteilichen Initiative #ZusammenStaerker auf. „Wir wollen keine politischen Brandstifter und Extremisten in Ministerien oder anderen Entscheidungsfunktionen“, sagt Zöchling.
„Wir treten gegen extreme politische Ränder auf und machen uns für mehr Respekt und Sachlichkeit in der heimischen Politik stark.“ (zusammenstaerker.at)

Zusammen stärker

Der studierte Betriebswirt Zöchling, u.a. Miteigentümer und Chef des Auspuffherstellers Remus und Mitgesellschafter der Vorarlberger Erne Group, will vor allem potenzielle Nichtwähler bzw. Unentschlossene aufrütteln. Hass, Wut und Zorn seien keine guten Ratgeber, eine Denkzettelwahl solle tunlichst vermieden werden.
Zöchling hat zahlreiche prominente Unterstützer:innen aus der Wirtschaft für seine Initiative wie etwa Industriemanagerin Brigitte Ederer, Immobilienentwickler Erwin Soravia, Hotelière Elisabeth Gürtler und Kunsthändler Roman Herzig.
Im Interview spricht Stephan Zöchling über die Ziele der Initiative #ZusammenStaerker, über die Stimmung in Österreich vor der Nationalratswahl, er fordert kompetente Politiker:innen und er sagt: „Österreich hat sich etwas Besseres verdient als einen Wahlsieger Kickl“.


In der politischen Landschaft Österreichs sind Populisten und Demagogen nichts Neues, es gibt seit Jahren Verhetzer, Brandstifter und Hassredner. Warum haben Sie die überparteiliche Initiative #ZusammenStaerker just 2024 ins Leben gerufen?

Die Initialzündung waren im vergangen März erste Umfrageergebnisse für die EU-Wahl im Juni: die FPÖ lag an erster Stelle. Das hat nicht nur mich, sondern viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sehr nachdenklich gemacht. Uns war klar: Wir können nicht länger tatenlos zuschauen, wir müssen etwas tun. Wir wollen gegen extreme politische Ränder auftreten. Denn ein weiteres Erstarken von Populisten und Demagogen würde nicht nur das friedliche Miteinander in unserem Land gefährden, sondern auch massiv der heimischen Wirtschaft schaden.

Wen wollen Sie mit der Initiative #ZusammenStaerker in erster Linie ansprechen?

Wir wenden uns an jene, die noch nicht wissen, wen sie wählen sollen. An jene, die vielleicht eine Denkzettelwahl in Betracht ziehen, die aus Wut oder Zorn eine Entscheidung treffen würden, die sie am Tag nach der Wahl vermutlich bereits bereuen würden. Und wir wenden uns an die Österreicher:innen, die vorhaben, nicht zu wählen.

Tatsache ist, dass die Nichtinanspruchnahme des Wahlrechts eine Form der Dekadenz ist. Denn sehr viele Menschen auf diesem Planeten hätten gern ein Wahlrecht und würden sich wünschen, dieses auch ungehindert ausüben zu können. Vor dem diesem Hintergrund ist es unbillig zu sagen, ich kann zwar wählen, aber ich geh nicht hin, weil das sind eh alles Trotteln und das interessiert mich nicht. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, das Wahlrecht wahrzunehmen und damit die Demokratie zu schützen.

Es ist auch nicht egal, wen man wählt. Es gibt ein wählbares Spektrum der Parteien der Mitte – links, konservativ, grün oder liberal. Es geht nur darum, dass sich Österreich etwas Besseres verdient hat, als einen Wahlsieger Kickl.

Wie empfinden Sie die Stimmung in unserem Land kurz vor der Nationalratswahl?

Die Stimmung ist aufgeheizt. Die Extreme an beiden politischen Rändern versuchen, daraus Stimmen zu machen – mit einfachen Feindbildern und negativen Emotionen wie Hass, Angst oder Zorn. Aber Brandstifter und Extremisten sind nicht die Lösung, nur ein sachliches und respektvolles Miteinander bringt uns weiter. Und das brauchen wir, denn Österreich steht vor großen Herausforderungen, nicht nur wirtschaftlich.

Was ist die Intention, was wollen Sie mit der Initiative #ZusammenStaerker bewirken?

Wir wollen aufmerksam machen, sensibilisieren, die Menschen zum Nachdenken bringen. Wir wollen vermitteln, wie wichtig die kommende Wahl ist, und dass jede Stimme zählt. 

Tatsache ist, dass die Politiker:innen, da jetzt so laut schreien, schon mehrfach gezeigt haben, dass sie nicht regieren können. Das haben wir bei den Kommunisten gesehen, bei den Spaßparteien, die nur Proteststimmen bekommen haben, und vor allem bei den rechten Parteien. Denn Ausländerfeindlichkeit, Menschverachtung und Wissenschaftsleugnung bringen die Gesellschaft nicht voran, sondern spalten sie noch weiter.

Schadet die Ausländer-Hetze der rechten Populisten auch der Wirtschaft?

Es hilft mit Sicherheit nicht, ausländerfeindlich zu sein und eine Festung Europa hochziehen zu wollen. Denn eine Festung Österreich würde uns u. a. Touristen kosten, die nicht mehr nach Österreich kommen, weil sie nicht in ein   ausländerfeindliches Land wollen. Eine Festung Österreich würde uns dringend benötigte Arbeitskräfte kosten, denn Menschen, die die Wahl haben, werden nicht nach Österreich kommen, sondern in die Schweiz oder nach Kroatien oder Slowenien gehen – die beiden Letzteren sind mittlerweile neue, attraktive Länder zum Arbeiten.

Auf der Homepage von #ZusammenStaerker kann man eine Unterstützungserklärung unterschreiben. Wie viele Unterstützer:innen haben Sie kurz vor der Wahl?

Um die 13.000. 

Wird aus der Initiative eine neue Partei werden?

Nein, auf keinen Fall.

Sie können sich nicht vorstellen, in die Politik zu gehen –  Zöchling for Kanzler?

Ganz sicher nicht!  Es wird daraus keine politische Aktivität entstehen, es ist eine rein zivilgesellschaftliche Initiative.

Ist die Initiative für Sie mit der Wahl beendet oder wird sie weitergeführt?

Aufgrund der guten Resonanz schließe ich nicht aus, dass wir #ZusammenStaerker nach der Nationalratswahl weiterführen werden.

Die Initiative #ZusammenStaerker quasi als ständiger Beobachter, als Mahnerin, als Sensibilisierungs-Tool für Polemik, für Populisten und Demagogen, für Verhetzer und Brandstifter in der Regierung?

Das könnte ich mir durchaus vorstellen. Aber nicht mit dem Ziel, dass #ZusammenStaerker einmal im Parlament sitzt.

Was erwarten Sie sich von einer neuen Regierung?

Die neue Regierung hat ein ganzes Bündel an Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehört vor allem auch, den Wirtschaftsstandort Österreich attraktiver zu gestalten. Die Unternehmen müssen entlastet werden. Es gibt hohe bürokratische Hürden und bürokratische Belastungen, da spreche ich noch gar nicht von den Lohnnebenkosten.

Ein Beispiel: Unternehmen müssen mittlerweile zusätzlich zum Jahresabschluss und zu einer Vielzahl an weiteren Berichten, wie einem Umweltbericht, jährlich einen Nachhaltigkeitsbericht schreiben. Den liest niemand, aber er kostet mittelständische Unternehmen knapp 70.000 Euro pro Jahr – so viel kostet ein Arbeitsplatz.

Größere Unternehmen geben pro Jahr insgesamt bereits rund 750.000 Euro für Audits und Berichte aus – das ist Lobbyisten-getrieben, da verdienen nur irgendwelche Berater daran, weiters bringt das überhaupt nichts. 

Sowohl in den Ländern wie auch beim Bund wurde eine unglaubliche Bürokratie

aufgebaut. Sie müsste durchkämmt werden, um die Unternehmen zu entlasten.

Mit dem freigesetzten Geld könnte man Arbeitsplätze schaffen, Investitionen tätigen und Innovationen und Startups finanzieren. All das können wir nicht, weil wir mittlerweile ganze Abteilungen brauchen, um dem Bürokratie-Irrsinn Herr zu werden.

Es ist Aufgabe der Politik, diese Bürokratismen zu durchkämmen. Da käme man sehr schnell auf Einsparungspotenzial in Milliardenhöhe, damit könnte eine Steuersenkung finanziert werden. Derartige konkrete Vorschläge vermisse ich bei den Wirtschaftsprogrammen der Parteien, sie sind immer sehr vage, verlieren sich in Allgemeinplätzen. Deshalb brauchen wir dringend kompetente Politiker:innen, die wissen, was es bedeutet, Unternehmer zu sein.

Wie schätzen Sie als Spitzenunternehmer generell die Wirtschaftslage ein? – Die aktuellen Schlagzeilen lauten etwa „Wirtschaftskrise hält an“, „Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt“ …

Wir stehen am Anfang eines Tsunamis. In Deutschland wurde die Wirtschaft von der Regierung an die Wand gefahren. Das wirkt sich insofern auf Österreich aus, weil wir ein Exportland sind, Stichwort Zulieferindustrie, da wird es weniger Nachfrage geben. Außerdem ist Deutschland einer der wichtigsten Märkte für unseren Tourismus. Im kommenden Winter werden wir schon zu spüren bekommen, dass unsere deutschen Nachbarn vermehrt ausbleiben, weil sie sich einen Schiurlaub nicht mehr leisten können oder das Geld aufgrund der ungewissen Arbeitsmarktsituation lieber sparen. Dieser Trend hat sich bereits im vergangenen Sommer bei den Buchungen für Kroatien, Italien und Griechenland gezeigt. Nicht nur die Deutschen bleiben aus, dasselbe gilt für die Benelux-Länder und natürlich für die Engländer, die nach dem Brexit mit dem Rücken zur Wand stehen.

Das alles zusammen ist für unsere Wirtschaft ein toxischer Cocktail. Vor diesem fordernden Hintergrund ist es umso wichtiger, dass wir kompetente und besonnene Politiker:innen haben und keine Populisten, die nichts anders können, als Hassreden zu halten.


zusammenstaerker.at

Nächte der Philosophie – Interview mit Anna GiusAnna Gius im wienlive-Interview. – ©Sandra Oblak

Nächte der Philosophie – Interview mit Anna Gius

©Sandra Oblak

Bei den Nächten der Philosophie wird vom 22.–26. Mai an verschiedenen Locations bei freiem Eintritt über Philosophie gesprochen. Veranstaltungen u. a. von Lisz Hirn (Nietzsche und die Frauen), Regula Stämpfli (Die Hannah-Arendt-Kontroversen), Alfred Pfabigan (When I’m 64. Altern als Kunst) und Simone Klein (Philosophisches im Wiener Lied und Austropop). Programm: www.gap.or.at

Zur Einstimmung bringen wir ein Interview mit Anna Gius, die über „Die Schwierigkeit zu lieben“ referieren wird.

Anna Gius ist geborene Südtirolerin und kam zum Studium nach Wien, wo sie sich später in der „Philosophischen Praxis“ engagierte. In dieser Einrichtung können Gespräche mit ihr – auch etwa als Paar – zu persönlichen Problemen gebucht werden, es soll ein philosophisches Reflektieren über das eigene Leben stattfinden. Daneben arbeitet Gius in der Kinder- und Jugendkultur bei WIENXTRA.

Philosophie als Lebenshilfe. Wie geht das?

Anna Gius: Ich habe das zum ersten Mal bei mir selbst erfahren, als ich als Jugendliche begonnen habe, Sartre zu lesen – das hat mich damals komplett abgeholt. Als ich dann entdeckt habe, dass es den Lehrgang „Philosophische Praxis“ gibt, war für mich klar, dass das ein Ort sein kann, wo ich viel finden und viel geben kann. Meine Steckenpferde wurden dann Liebe und Beziehungen. Deshalb machen Paarsettings bei mir Sinn, gerade wenn sich Paare abseits von normativen Beziehungslogiken bewegen. Aber ich denke: Egal, wo man sich umtreibt, ist philosophisches Handeln notwendig, denn es geht darum, Denkprozessen eine Tiefe zu geben und Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen.

Sie werden bei den „Nächten der Philosophie“ über die romantische Liebe sprechen – das ist ja das Klischee schlechthin, oder?

Genau, ich möchte weniger über die Liebe in der Philosophie reflektieren als über die Liebe im Leben. Das Romantikideal ist eine machtvolle Vorstellung, wenn es um ein gutes und glückliches Leben geht. Ich finde es gerade heute wichtig, Philosophie mit den Erkenntnissen aus anderen Fachbereichen zu verschränken. Die Glücksforschung zeigt uns etwa ganz deutlich, was Menschen am wichtigsten für ihr eigenes Glück erkennen, nämlich die Beziehungen, die sie führen. Gleichzeitig berichten Soziolog*innen, dass Menschen gerade dabei Erfahrungen des Scheiterns machen. Mich interessiert die Verschränkung von gesellschaftlichen Normvorstellungen mit den eigenen Selbsterzählungen – also dem eigenen Bewusstsein des Individuums, als das man sich sieht.

Das Scheitern ist in der romantischen Liebe ja fast schon angelegt – also die Liebe zu einem, einer und das für immer und ewig …

Obwohl wir alle anerkennen, wie unwahrscheinlich und selten die Erfüllung dieses Ideals ist, hören wir trotzdem nicht auf, es zu verfolgen. Wir müssen das Ideal hinterfragen, ohne den Wunsch nach liebevollen, erfüllenden Beziehungen aufzugeben. Viele Potenziale, die vorhanden sind, werden nicht genutzt. Wir haben sehr viel mehr Handlungsspielräume, ein erfülltes Leben zu führen und erfüllt zu lieben, als wir uns bewusst machen.

Nun gab es ja schon in den 60er-Jahren andere Formen wie die „freie Liebe“, aber das ist ja oft in der Praxis gescheitert …

Ich glaube, es gibt mehrere Gründe, warum alternative Beziehungsmodelle bisher nicht breitenwirksam geworden sind. Zum einen hat man nicht ehrlich genug auf die Auswirkungen und Handlungspraktiken im Patriarchat geschaut und zum anderen hat es gesellschaftliche Gegeninteressen gegeben, die das erschwert haben. Die Kleinfamilie galt als ein gesellschaftlich stabilisierender Faktor. Es wurden also Machtdynamiken übernommen, die nur die Verhältnisse reproduzieren und keine wirklichen Veränderungen ermöglichen können. Solange wir so starke patriarchale Hierarchien in unsere intimsten Beziehungen mitnehmen und dort keine Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit erlauben, werden wir scheitern.

Sie sprechen konkret über die Schwierigkeiten in der Liebe. Was sind die größten Schwierigkeiten?

Ich gehe von der lebenskundlichen Erfahrung aus, dass wir alle sehr vertraut sind mit Liebeskummer und vielleicht auch mit der Erkenntnis, dass es ein Ideal ist, an dem wir scheitern, und nicht die Liebe an sich. Die Schwierigkeiten können sehr individuell sein, deshalb ist gerade ein philosophisches Gespräch ein guter Ort, um sich das anzuschauen. Wenn wir in der Liebe eigene Wege gehen, gibt es auch Schwierigkeiten, denen wir alle begegnen: dass wir gelernt haben, dass Eifersucht natürlich ist und ein Beweis der Stärke unserer Gefühle zum Beispiel, oder dass es nicht möglich ist, mehrere Menschen gleichzeitig romantisch zu lieben, oder dass die romantische Liebesbeziehung wichtiger sein muss als Freund*innenschaften.

Im Gartenpalais Liechtenstein ist bei freiem Eintritt die Schau HERKULES DER KÜNSTE zu sehen, in dessen Mittelpunkt ein Fürst steht, dem Wien viel zu verdanken hat. Ein Interview mit dem neuen Direktor der Sammlung, Stephan Koja.

Herkules der Künste – Interview mit Stephan Koja

Das Porträt der Clara Serena Rubens gehört zu den berührendsten Kinderporträts der europäischen Kunstgeschichte. – Peter Paul Rubens (1577–1640), Porträt der Clara Serena Rubens, der Tochter des Künstlers (1611–1623), um 1616
© LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz-Vienna

Im Gartenpalais Liechtenstein ist bei freiem Eintritt die Schau HERKULES DER KÜNSTE zu sehen, in dessen Mittelpunkt ein Fürst steht, dem Wien viel zu verdanken hat. Ein Interview mit dem neuen Direktor der Sammlung, Stephan Koja.

Mit 1. April 2023 löste der Wiener Kunsthistoriker Stephan Koja Johann Kräftner an der Spitze der Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein ab. Kräftner hatte zwei Jahrzehnte das Bild der berühmten Sammlung geprägt.

Der 1962 geborene Stephan Koja konnte bislang schon viele internationale Erfahrungen sammeln und wurde für seine Verantwortung bei der Renovierung der Dresdner Sempergalerie am Zwinger viel gelobt. Begonnen hat er seine Karriere an der Spitze der Sammlungen des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne im Belvedere. Und natürlich hat er auch für das Gartenpalais und das Stadtpalais Liechtenstein neue Ideen. Er möchte etwa die Rolle der Liechtenstein’schen Fürsten bei der Entwicklung Wiens stärker betonen. Denn durch den Bau des Gartenpalais in der damaligen Vorstadt wurde das Viertel Lichtental nachhaltig auch wirtschaftlich entwickelt. Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein baute nicht nur die Schulden seines Vaters ab, sondern machte aus seinen Besitzungen funktionierende und florierende Musterbetriebe.

Sonderausstellung

Das Palais Liechtenstein ist seit einigen Jahren nur gegen Voranmeldung und mit Führung zu besichtigen. Allerdings gibt es jährliche Sonderausstellungen bei freiem Eintritt.

Ab sofort lockt die Schau „HERKULES DER KÜNSTE – Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein und das Wien um 1700“.

Was war die Idee zur Ausstellung?

Stephan Koja: In „Herkules der Künste“ geht es um die zentrale Fürstengestalt, der man zum einen – auf politischer Ebene – verdankt, dass die Liechtensteins Reichsfürsten werden, zum anderen, dass die Kunstsammlung eine ganz neue Bedeutung gewinnt und der Hauptsitz der Fürsten nach Wien verlegt wird. Die großen Besitzungen der Fürsten liegen ja in Böhmen und Mähren, wo sie wunderbare Schlösser besessen haben.

Johann Adam Andreas schafft in Wien repräsentative Bauten und kauft die besten Kunstwerke, die er in Europa bekommen kann. Und da er der Meinung ist, dass italienische Architekten die besten sind, lässt er sich in Lichtental ein Palais im italienischen Stil bauen.

Damals waren rundherum ja noch Felder, oder?

Stephan Koja: Genau, Johann Adam Andreas I. macht aus dem Gebiet eine Mustersiedlung – mit einer Brauerei, Mühlen und einer von ihm gestifteten Kirche. Er gewährt Steuererleichterungen, damit sich Menschen – vor allem Handwerker – hier ansiedeln. Um 1700 boomt Wien gerade, die Türkenbelagerung ist überstanden, und es geht wirtschaftlich steil bergauf.

Der Fürst denkt viel darüber nach, wie seine Betriebe noch effizienter arbeiten könnten und ist sehr erfolgreich. Seine Besitzungen sind weitgehend autark – mit Landwirtschaft und deren Weiterverarbeitung, Handwerk und Brauhäusern. Der damit erwirtschaftete Wohlstand erlaubt die Sammeltätigkeit und eine imposante Bautätigkeit. Denn die Großzügigkeit des neuen Gartenpalais ist wirklich sensationell. So etwas wie die Sala Terrena oder den Herkulessaal – das hat es in diesen Dimensionen zu dieser Zeit in Wien nicht gegeben. Das wird dann bis in den süddeutschen Raum zum Vorbild – auch für das Belvedere – Prinz Eugen beschäftigt zum Teil sogar die gleichen Handwerker.

Was sind nun die Highlights der Ausstellung?

Stephan Koja: Das überwältigende Deckenfresko im Festsaal von Andrea Pozzo zeigt die Taten und die Apotheose des antiken Helden Herkules in einer beeindruckenden Scheinarchitektur und ist deshalb Namensgeber der Schau. Dann die riesigen Ausstattungsbilder von Marcantonio Franceschini. Und schließlich sind natürlich die Gemälde von Peter Paul Rubens und Anthonis van Dyck in der Sammlung von überragender Qualität. Das Porträt der Clara Serena Rubens gehört zu den berührendsten Kinderporträts der europäischen Kunstgeschichte.

Das gesamte Interview können Sie in der kommenden Ausgabe von Wienlive lesen.

HERKULES DER KÜNSTE
Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein und das Wien um 1700

16. Februar – 1. April GARTENPALAIS Liechtenstein
Fürstengasse 1, 1090 Wien
Montag bis Sonntag 10–18 Uhr | Freier Eintritt | Keine Anmeldung erforderlich.
palaisliechtenstein.com

Heuer ist ja ein richtiges Literatur-Gedenkjahr: 100. Todestag Franz Kafka, 150. Geburtstag von Hugo von Hofmannsthal, 150. Geburtstag von Karl Kraus und Friederike Mayröcker wäre im Dezember 100 Jahre alt geworden. Auf einen gerade auch für Wien wichtigen Autor und Spielmacher (Regisseur wollte er nicht genannt werden) könnte da leicht vergessen werden, aber George Tabori wurde vor 110 Jahren in Budapest – damals noch Österreich-Ungarn – geboren.

Vor 110 Jahren wurde George Tabori geboren – Rückblick auf ein Interview

Bild: ©Oliver Mark

Heuer ist ja ein richtiges Literatur-Gedenkjahr: 100. Todestag Franz Kafka, 150. Geburtstag von Hugo von Hofmannsthal, 150. Geburtstag von Karl Kraus und Friederike Mayröcker wäre im Dezember 100 Jahre alt geworden. Auf einen gerade auch für Wien wichtigen Autor und Spielmacher (Regisseur wollte er nicht genannt werden) könnte da leicht vergessen werden, aber George Tabori wurde vor 110 Jahren in Budapest – damals noch Österreich-Ungarn – geboren.

Nach Jahren in Berlin, wo er etwa im berühmten Hotel Adlon arbeitete, emigrierte er nach der Machtergreifung Hitlers 1933 über einige Umwege in die USA, wo er mit Bertolt Brecht, Elia Kazan und Alfred Hitchcock zusammenarbeitete und Drehbücher schrieb. Vom FBI überwacht zog er nach dem Krieg wieder nach Europa und schrieb erste Stücke fürs Theater. Ab 1986 arbeitete Tabori in Wien bei Peymann im Burgtheater und als Chef der Schauspielhauses, das er in „Der Kreis“ umbenannte. In den letzten Lebensjahren arbeitete er wieder in Berlin. Das folgende Interview führte ich wenige Monate vor seinem Tod (23. Juli 2007) in Wien.

Tabori wird aktuell wieder im Burgtheater gespielt. Itay Tiran inszenierte die Farce „Mein Kampf“ mit Adolf Hitler im Männerasyl in Wien, wo ihn selbstlos ausgerechnet ein Jude umsorgt. Eine durchaus gelungene Produktion – besonders Markus Hering als Schlomo Herzl ist sehenswert, Silvie Rohrer spielt die Frau Tod, Marcel Heupermann den obdachlosen Adolf Hitler und Oliver Nägele den Koscherkoch, der sich für Gott hält, den Tabori bei der Uraufführung in Wien selbst gespielt hatte. Zu sehen wieder am 1. Februar.

Interview George Tabori (geführt am 16. Oktober 2006 am Lusterboden im Volkstheater von Helmut Schneider)

Herr Tabori, Sie haben am Theater ja fast alles gemacht. Sie waren Regisseur, Schauspieler, Autor. Was war das Schwierigste?

Tabori: Das ist eine gute Frage. Also das Schreiben ist wirklich nicht das Schwierigste, weil da redet niemand zurück – beim Schreiben ist man alleine. Dann Regisseur … Ich bin eigentlich nicht ein Regisseur. Was Regisseure üblicherweise machen, ist sehr schön, aber nicht mein Weg. Ich glaube, die Schauspieler sind am Theater die wichtigsten Beteiligten und ich versuche da immer herauszufinden, was sie schon gemacht haben – weil meistens wiederholen sich Schauspieler – und das versuche ich zu verhindern, ich will etwas Neues mit ihnen machen.

Ich glaube, dass jeder Mensch und besonders die Schauspieler, jeden Tag anders sind. Der Schauspieler weiß es vielleicht nicht, aber wenn man beobachtet, dann findet man etwas, das er gestern noch nicht gemacht hat. Und das Anderssein, das Neue, das noch nicht da war, das interessiert mich.

Ich weiß nicht, ob mir das als Regisseur auch gelingt, aber ich schaue mir die Schauspieler genau an, weil ich sie für am wichtigsten halte. Bühnenbildner und Assistenten, die sind auch sehr wichtig – aber für mich sind die Schauspieler der Schlüssel bei einer Inszenierung.

Sie waren ja selber als Schauspieler auf der Bühne oder sind zumindest eingesprungen. In „Mein Kampf“ habe ich Sie am Akademietheater als Koscherkoch Lobkowitz gesehen.

Nein, ich bin kein Schauspieler, ich bin in „Mein Kampf“ eingesprungen, weil der Hugo Lindinger, ein sehr guter Schauspieler, krank wurde. Ich wollte die Premiere verschieben, aber Peymann hat gesagt: Nein, mach du seine Rolle. Ich dachte, ich probiere es mal, habe die Kochkappe aufgesetzt und mit Ignaz Kirchner gespielt – und es war ganz schön. Jetzt könnte ich es nicht mehr tun. Jetzt bin ich schon 5310 Jahre alt (lacht) also, 93. Aber das Denken funktioniert noch. Ich liege zum Beispiel oft im Bett und schaue für eine Stunde den Plafond an. Dann kommen mir verschiedene Gedanken und das habe ich gern.

Aber die Rolle war ja insofern auch interessant, als sie ja einen Koch spielten, der Gott ist, oder der sich zumindest für Gott hält…

Ja also, der Lobkowitz, der ist schwierig. Er ist verrückt, er glaubt er ist Gott, aber er war ein Koscherkoch. Ich hab mich in der Rolle auch nicht als Gott gefühlt.

Aber ich beschäftige mich sehr oft mit Gott, zum Beispiel gestern, vorgestern habe ich wieder das erste Kapitel der Bibel, das Alte Testament, gelesen und das Interessante ist, da steht immer „Und Gott sagte“ und ich frage mich dann – Zu wem hat er gesprochen? Zu den Tieren, den Bäumen oder dem Morgen und dem Gestern – was auch immer –. Und ich dachte immer, das erste Kapitel der Bibel, dass da der Gott mir sehr sympathisch war, weil er Ideen hatte, die nicht stimmten, also als er mit Tieren und Bäumen fertig gewesen ist, wollte er nach Hause gehen und dann ist ihm erst der Mensch eingefallen und er hat den Adam geschaffen. Adam steht nackt da, Gott ist zufrieden – auf Wiedersehen, ich gehe – und dann geht er und denkt „Hallo? Der kann ja nicht allein leben. Ich muss eine, wie nennt man das, Frau erfinden…“ Und er erfindet die Eva und jetzt will er endlich wirklich weggehen. Aber er hat ihnen gesagt, sie dürfen nicht Liebe machen. Und als sie sich nicht daran halten – also er hat sie allein gelassen, nackt, was hat er erwartet? – als sie doch Liebe gemacht haben, hat er sie rausgeschmissen aus dem Paradies und das ist ja eine interessante Geschichte…

Ich denke oft daran, wie er jetzt wäre, ich weiß noch nicht aber wenn ich es weiß, dann werde ich Ihnen Bescheid sagen. Diese Widersprüchlichkeiten, die finde ich schon sehr stark ausgeprägt. Wenn ich könnte, würde ich ihn danach fragen.

Sie glauben also an ein höheres Wesen, hab ich das richtig verstanden?

Ein höheres Wesen, das ist ein Ausdruck, den ich nicht genug kenne … höheres Wesen … Ich denke immer an den Renoir, Da Vinci, Malerei, wo gottartige Schöne dargestellt sind. Wo Gott „so“ macht und Adam den Finger zeigt, und ich sag dann: na ja der Michelangelo oder der Leonardo hat sich das genau so vorgestellt. Das finde ich heutzutage schwer, wenn ich an Gott denke, ich denke nicht an ihn als allgegenwärtiger Herrn, sondern ich weiß nicht wie er aussieht, ich weiß nicht, ich möchte es wissen, aber ich weiß es nicht wenn ich ehrlich bin. Ich habe ein Buch über Malerei zum Thema Christus bekommen. Da sieht man etwa ein sehr schönes Bild von Salvador Dalí, wo der Kopf nach unten gerichtet ist. Dieses Leiden kann ich verstehen, was hat Jesus gesagt, bevor er stirbt?

Er hat gesagt „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Ich habe mich sehr viel mit Christus beschäftigt, ich lebte auch während des Krieges ein Jahr lang in Jerusalem. Ich fuhr auch die „Via Dolorosa“ entlang, wo die heiligen Stätten sind. Aber ich glaube nicht, dass es sich so ereignet hat, wie es in der Bibel steht. Erstens: der Golgota, wo man Christus erhängt hat, das war freie Luft – und jetzt ist da ein Loch in der Wand und man sagt, es ist wichtig, weil da hat der tote Jesus gelegen und dann ist er wieder zum Leben erweckt worden – weil er ja unsterblich ist. Ich fand diese offizielle Religiosität interessant und schön – aber geglaubt habe ich das nicht.

Zurück zum Theater. Das Theater hat ja heute viel Konkurrenz – Fernsehen, Internet usw..

Ja, ja. Das ist sehr schade. Vor einigen Jahren sind die Medien wichtiger geworden. Etwa das Fernsehen. Ich schaue in Berlin jeden Tag vielleicht eine Stunde Fernsehen. Höchstens einmal in der Woche finde ich etwas, was mich interessiert, sonst gibt es immer nur hübsche Frauen, die etwas verkaufen wollen, oder dicke Herren, die politisch sprechen. Ich glaube das Fernsehen war am Anfang interessanter als jetzt. Also zum Beispiel Fußball. Ich habe Fußball sehr gern gehabt und war früher oft auf Fußballplätzen. Aber jetzt sieht man es im Fernsehen. Am Nachmittag ein Spiel, und nachher noch eins und noch eins. Ich glaube das Resultat wird sein, dass in ein paar Jahren die Leute überhaupt nicht mehr Fußball zugucken.

Aber trotzdem schauen sich ja noch viele Menschen Theaterstücke an, es ist immer wieder faszinierend volle Häuser zu sehen.

In Österreich schon, in Berlin weniger. Ich habe da eine Theorie, wobei ich hoffe sie ist nicht richtig. Ich denke das alte griechische Theater, das hat fünfzig Jahre gedauert, dann kam das römische Theater, das war brutal und so weiter, dann kam Shakespeare und mehrere Engländer, dann kamen mehrere Franzosen und dann im 19. Jahrhundert Goethe, Schiller, Kleist… Ein Jahrhundert lang waren wir die besten und die größten, jetzt aber nicht mehr. Und außerdem was haben wir hier, also ich hab Probleme mit dem wie heißt er Peter … wie heißt er der große Schriftsteller…

Handke?

Ja. Ich glaube er hat sich sogar antisemitisch geäußert. Das ist nicht unbedingt schön, aber die Düsseldorfer Sache (Anm.: Handke wurde von der Stadt Düsseldorf der Heinrich-Heine-Preis verweigert) hat man weggesteckt und jetzt schimpft Handke auf Günther Grass. Günther Grass ist ein Freund von mir und was er als 17jähriger gemacht hat, das interessiert mich nicht und dass er das zu spät zugegeben hat, das interessiert mich auch nicht, das ist seine Sache. Vielleicht hätte ich es auch so gemacht aber das finde ich es nicht richtig, dass man ihn so angreift, nur weil er einige Sachen nicht gleich zugegeben hat. Ich kenne ihn seit Jahren, mit seinen Kindern und seiner Ehefrau. Ich habe mich gefreut, dass er den Nobelpreis bekommen hat – ebenso wie die österreichische…..

Die Frau Jelinek, ja.

Ich hab sie gekannt, damals als sie hier lebte, wir haben uns bei Shakespeare & Company getroffen. Ich habe dann auch ein Stück von ihr gemacht und sie kam drei Mal zu der Probe und sie sagte „Sie haben gewisse Sachen geändert, kürzer gemacht. Gut, machen sie nur. Ich habe den Text geschrieben, aber das heißt nicht, dass es so bleiben muss. Sie war die einzige Schriftstellerin, die das zugegeben hat. Denn wenn man etwas schreibt, das ist anders, als wenn man etwas spielt. Ich hoffe ich werde sie irgendwann wieder sehen.

Übrigens, ich habe meiner Frau gesagt, ich bleibe in Wien, Good Bye. Sie hat gelacht. Also ich gehe, Samstag gehe ich nach Hause, aber ich werde versuchen, sie zu überreden, lass uns wieder nach Wien kommen!

Das wäre toll.

Warum das so ist, das kann ich nicht sagen, aber ich fühlte mich hier wohl. Ich bin immer zu Fuß ins Burgtheater gegangen, Währinger Straße, dort war ein Hotel, mit „R“ fängt es an, dort habe ich auch gewohnt…

In der Währinger Straße ist das Hotel Regina.

Es ist ein kleines Hotel, … na ja ich will nicht nostalgisch werden …

Was ist in Wien besser für Theatermacher als in Berlin?

Also ich würde es nicht so formulieren „Was ist besser“. Weil schauen Sie, ich bin der älteste Theatermachende der Welt, aber das heißt nicht, dass ich unbedingt Gutes geschafft habe, ich hab ja so viele Stücke geschrieben, warum habe ich das gemacht?

Haben Sie ein Lieblingsstück unter ihren eigenen? 

Bei mir ist es so, wenn ich ein Stück schreibe, dann bin ich nur darauf konzentriert, alle anderen Stücke interessieren mich nicht. So war das früher. Wenn die Premiere gekommen ist, Good Bye, Ciao … So war es früher. Jetzt, seit drei, vier Jahren denke ich auch darüber nach, welches Stück ich am besten finde. Ich habe sehr gerne „Weisman und Rotgesicht“, das ich in Amerika geschrieben hab, ich möchte das wieder in Wien machen lassen. Und dann „Die Kannibalen“ – das wurde in Berlin aufgeführt, das hat mich eigentlich nach Berlin geführt.

Voodoo Jürgens im Café Weidlinger. – ©Stefan Diesner

Rickerls Wien – Voodoo Jürgens über seine erste Rolle und seine Karriere

Voodoo Jürgens im Café Weidlinger. – ©Stefan Diesner

Liedermacher Voodoo Jürgensentwickelte mit Regisseur Adrian Goiginger den Musikfilm RICKERL, in dem er einen traumtänzerischen Wiener Sänger und Vater spielt. Beim Interview im Café Weidinger erzählt der Austropopstar über den Film und seine Karriere.

Heite grob ma Tote aus“: Mit dieser – auf FM4 viel gespielten – Single im breiten Wiener Dialekt wurde Voodoo Jürgens 2016 schlagartig berühmt. Es folgten die Alben „Ansa Woar“, „’S klane Glücksspiel“ und zuletzt 2022 „Wie die Nocht noch jung wor“, sowie zahlreiche Auftritte in Österreich und Deutschland. In der Theaterproduktion mit Stephanie Sargnagel spielte er im Rabenhof und sogar im „Tatort“ hatte er einen Gastauftritt. In „RICKERL – Musik is höchstens a Hobby“ spielt er aber seine erste Hauptrolle in einem Film. Wobei der Streifen von Adrian Goiginger (Regisseur u.a. von „Die beste aller Welten“ und „Der Fuchs“) doch ein bisschen autobiografisch geworden ist. Der Plot wurde bei vielen Gesprächen entwickelt, das Drehbuch schrieb aber Goiginger selbst.

„Ich wollte auf keinen Fall vermitteln, dass harte Arbeit immer zum Erfolg führt.“

Voodoo Jürgens

„RICKERL“ erzählt die Geschichte eines Wiener Musikers, der seinen Job auf einem Friedhof verliert – Voodoo Jürgens hat auch einmal in diesem Gewerbe gearbeitet – und jetzt als Musiker über die Runden kommen muss. Er besitzt zwar schon viele auf Schmierzettel geschriebene Songs, aber Selbstvermarktung gehört zweifelsohne nicht zu seinen Talenten. Als Musikmanager mit Herz hat der Schriftsteller Georg Biron einen Gastauftritt.

Zum eigentlichen Movens des Films wird allerdings Rickerls Beziehung zu seinem Sohn, der nach der Trennung bei seiner Mutter und dessen neuen Partner lebt. Der etwas chaotische Rickerl verliert seinen ihn innigst liebenden – von Ben Winkler sehr authentisch dargestellten – Sohn zwischendurch. Ausgespart wird auch nicht das zwiespältige Verhältnis des Protagonisten zu seinem sich immer auf der Suche nach Geld befindenden Spieler-Vater. 

Und während üblicherweise bei einem Musikfilm der Durchbruch des Stars das Grande Finale bildet, verweigert RICKERL das A-Star-Is-Born-Happy-End. 

Helmut Schneider: Waren Sie Autodidakt beim Schreiben und in der Musik?

Voodoo Jürgens: Ja, mein Großvater war ein Sportler und ich bin dann auch in eine Sportschule gegangen. Kunst und Kultur waren lang gar kein Thema in unserer Familie. Ich bin damals ziemlich viel Skateboard gefahren. Das Gitarrespielen habe ich mir beigebracht, damit ich Lieder singen kann. 

Im Film ist Autobiografisches dabei. Sie waren auch Friedhofsgärtner …

Ich habe dem Adrian – meistens hier im Weidinger – viele Geschichten erzählt. Aber wir wollten beide nicht meine Biografie machen, wenngleich einige Anekdoten dann doch in den Film gekommen sind. 

Der Sohn ist sehr präsent. Haben Sie selbst Kinder?

Ich habe eine Tochter, aber die Idee, ein Kind in die Handlung einzubauen, ist von Adrian gekommen. 

Im klassischen Künstlerfilm hat ja der Künstler zwar am Anfang keinen Erfolg, aber dann wird er entdeckt. Das wird bei RICKERL verweigert, warum? 

Genau das war mir wichtig. Ich wollte eine Geschichte erzählen, wo das zumindest offen bleibt. Eben keine 0815-Erfolgsstory. Ich kenne ja viele, die es probieren und hart daran arbeiten und bei denen es niemals aufgeht. Ich wollte auf keinen Fall vermitteln, dass harte Arbeit immer zum Erfolg führt.



Rickerl – Musik is höchstens a Hobby. Der Spielfilm von Adrian Goiginger kommt am 19. Jänner in die österreichischen Kinos.

Rickerl – Musik is höchstens a Hobby. Der Spielfilm von Adrian Goiginger kommt am 19. Jänner in die österreichischen Kinos.

Was war Ihnen noch wichtig? 

Es ist ja ein sehr schmaler Grat, wo etwas kitschig, das Wienerische platt wird und in Klischees abdriftet. Auch die Schauplätze im Film sind keine Ansichtskartensujets von Wien. 

Wo in Wien fühlen Sie sich persönlich am wohlsten? Ihr Klischee wären ja die Beisln …

Ich bin jetzt eher weniger in Beisln als früher. Es gibt ja auch immer weniger Beisln. Aber dieses Gefühl, dass an einem Ort die Zeit stehen geblieben ist, mag ich schon sehr. 

Sie sind sehr viel auf Tournee, auch in Deutschland – werden Sie da überhaupt verstanden?

Ich bin sogar mehr in Deutschland unterwegs als in Österreich, weil es dort mehr Auftrittsmöglichkeiten gibt. Im bayerischen Raum werde ich gut verstanden. Im Norden wird die Textebene natürlich weniger wichtig, aber die Band gleicht das dann gut aus. Da geht es dann mehr um das Feeling, das ich vermitteln kann. 

Der klassische Spruch, den ich dann oft in Deutschland höre, lautet dann: „Kein Wort verstanden, aber richtig geil!“ 

Ich habe aber schon das Gefühl, dass bei meinen Konzerten mehr rüberkommt, als es den Leuten wirklich bewusst ist. Meine Texte lassen sich über die Musik schon gut vermitteln. Mir geht das ja genauso manchmal bei amerikanischen Songs, wo ich auch nicht immer so auf den Text achte. 

Voodoo Jürgens ist natürlich eine Kunstfigur, Sie stehen ja für ein gewisses Lebensgefühl?

Ja, deswegen habe ich ja auch ein Pseudonym gewählt. Das hat sich natürlich erst entwickelt. Der Voodoo ist quasi eine Version von mir, bei der ich mehr draufdrücke.


Voodoo Jürgens mit Ben Winkler als Sohn und Agnes Hausmann als Ex. – ©FILMLADEN Filmverleih


Sie sind in Tulln aufgewachsen, aber schon lange in Wien. Fühlen Sie sich inzwischen als Wiener?

Ja, klar. Ich habe mit 15 in Wien eine Lehre angefangen, lebe also schon lange hier. Für mich war aber schon lange vorher klar, dass ich Tulln verlassen würde.

Der Schriftsteller Georg Biron spielt auch im Film mit, wie ist das entstanden?

Lustigerweise hat Adrian das Drehbuch in seinem Salzburger Heimatdialekt geschrieben und so brauchten wir jemanden, der das ins Wienerische übersetzt. Für mich war das neben der Musik nicht machbar und so ist der Georg eingesprungen und hat dann auch gleich eine kleine Rolle übernommen. 

 Der Film scheint aus der Zeit gefallen, es tauchen zwar Handys auf, aber auch Schreibmaschinen und Kassettenrekorder. War das gewollt?

Na ja, es gibt durchaus auch heute Menschen – zu denen auch ich gehöre –, die auf das Analoge, das Haptische abfahren. Und der Rickerl ist eben so einer. 

Der Hauptkonflikt ist aber die Geschichte mit dem Sohn …

Der Rickerl muss eben schauen, wo er seinen Platz findet – er hat ja eine Trennung hinter sich, ist arbeitslos. Und in seiner Rolle als Vater ist er sich genauso unsicher wie beim Musizieren.

In einer Szene gibt es eine Schlägerei auf einer Hochzeit, wo der Rickerl spielt. Haben Sie so etwas schon erlebt?

Ja, tatsächlich – aber in meiner Kindheit, wo ich mit den Eltern bei einer Hochzeit war und irgendwer die Braut angebraten hat. Da gab es dann eine Schlägerei. 


Informationen & Details zum Film: filminstitut.at

Der Dirigent des Kultur-Tourismus

Bild: ©Sound of Vienna Konzertveranstaltungs GmbH/Mario Berger

Josip Susnjaras SHI-Group feiert demnächst 25-jähriges Jubiläum. Der Wirtschaftsexperte baute ein Imperium auf und ist heute federführend im Kulturtourismus. Susnjaras Leistung für Wien ist enorm: Klassik-Konzerte und Events locken Touristen von Deutschland bis Japan in die Stadt und sorgen dafür, dass Wien in der ganzen Welt als Zentrum der klassischen Musik wahrgenommen wird. Der Spitzenunternehmer, der u.a. den Kursalon Hübner am Stadtpark betreibt, im Interview.

Er spricht schnell und mit großer Begeisterung, in seinen Ansagen ist er extrem exakt und zielgerichtet. Der leichte Akzent von Josip Susnjara geht im Stakkato seiner Ausführungen unter. Der gebürtige Kroate aus Pula kam zum Wirtschaftsstudium nach Wien, blieb und blickt auf eine einzigartige Erfolgsgeschichte zurück. In den vergangenen Jahrzehnten baute er eine vielseitige Firmengruppe auf. Heute, kurz vor dem 25-Jahr-Jubiläum, dirigiert Susnjara die SHI-Group, die mittlerweile zehn Firmen, diverse Beteiligungen und elf Internetportale umfasst und deren alleiniger Eigentümer der Geschäftsmann ist.

Mehr als 200 MitarbeiterInnen sind in den Unternehmen tätig, die dafür sorgen, dass Wien in der Welt als Hauptstadt der klassischen Musik wahrgenommen wird: über 500 Kulturevents und Konzerte veranstaltet Susnjara jährlich in Wien, u. a. in dem von ihm betriebenen Kursalon und dem aus dem Dornröschenschlaf erweckten Gastronomiebetrieb in der Gloriette, aber etwa auch im regelmäßig angemieteten Konzerthaus und anderen namhaften Kulturhäusern. Getrieben von Innovationsgeist und Kreativität holte Susnjara u. a. auch die internationale Wiener Kunstmesse vienna contemporary in den Kursalon am Stadtpark, die heuer vom 7.bis 10. September dort residiert.

©Dominik Gajda

Im Interview spricht der Spitzenunternehmer über seinen Aufstieg und seinen Antrieb und er sagt, ob er den Kursalon am Stadtpark weiter betreiben will.

wienlive: Heute dirigieren Sie eine Firmengruppe und blicken auf fast 25 erfolgreiche Jahre zurück. Wie hat alles begonnen?

JOSIP SUSNJARA: Ich komme aus Pula in Kroatien, eine touristische Stadt, mir wurde Tourismus quasi in die Wiege gelegt. Mit 14 Jahren habe ich am Bahnhof auf Rucksacktouristen gewartet und mein Zimmer vermietet, die Einnahmen habe ich mit meiner Mutter geteilt. Ich habe Airbnb also quasi erfunden. (Lacht) Ich bin dann nach Wien gekommen, um Wirtschaft zu studieren, habe mich mit Jobs durchgeschlagen, u. a. habe ich Souvlaki in einem griechischen Restaurant gegrillt. Obwohl ich mich studienmäßig ursprünglich auf Exportwirtschaft und Handel konzentriert habe, hat mich der Tourismus nie losgelassen. Mir war klar, dass Wien eine Kulturstadt ist und dass sie Touristen aus der ganzen Welt anzieht. Viele kommen vor allem wegen der klassischen Musik, Mozart und Strauss sind eng mit Wien verbunden. Ich habe damals rasch erkannt, dass in Wien etwas fehlt: im Sommer, wenn die meisten Touristen da sind, haben Kulturinstitutionen wie Staatsoper und Volksoper Sommerpause. Es gab also viel Nachfrage ohne qualitativ hochwertiges Angebot. Um diese Lücke zu schließen, habe ich die Konzertagentur „Sound of Vienna“ gegründet. Für die künstlerische Leitung habe ich den langjährigen Konzertmeister der Wiener Volksoper, Professor Udo Zwölfer, engagiert, ein qualitativ hochwertiges Orchester aufgestellt, und in der Nationalbibliothek einen Saal gemietet – so hat es begonnen. Mit dem neuen Kulturangebot im Gepäck habe ich mich dann sofort international auf die großen Tourismusmessen begeben. Anfangs wurde ich belächelt, denn dort waren damals in erster Linie große Hotelketten, Transport- und Reiseunternehmen vertreten. Und ich war eine Ein-Mann-Agentur … (Lacht) Heute haben wir touristische Spitzenkompetenz, die sich über viele Jahre entwickelt hat. Wir bieten Konzerte mit klassischer Musik auf höchstem Niveau.

Die Konzerte und Kulturevents finden in großartigen Locations statt, wie etwa im Kursalon Hübner am Stadtpark, den Sie betreiben. Sind Sie stetig auf der Suche nach neuen Spielstätten?

Natürlich finden die Veranstaltungen auch im Kursalon statt, den wir ja seit mehr als 20 Jahren erfolgreich betreiben, eine großartige Location, die sehr gut zu unserem Kulturangebot passt. Aber die SHI-Group ist mittlerweile wesentlich mehr als „Sound of Vienna“, und auch wesentlich mehr als der Kursalon. Wir haben auch andere Unternehmen und Betriebe, wie etwa die Gloriette oder das Schloss-Restaurant Joseph II. in Schönbrunn. Die SHI hält auch mehrere Beteiligungen, etwa an den Eventlocations Palais Berg und Palais Wertheim am Schwarzenbergplatz. Wir sind jedenfalls auf Expansionskurs und halten die Augen nach spannenden Objekten, Projekten und Partnerschaften immer offen.

Konzertagentur, Eventlocations, Immobilien – was sind die Schwerpunkte der SHI-Group?

Wir engagieren uns grundsätzlich in drei Bereichen, die eng miteinander verbunden sind. Neben unseren umfangreichen Freizeit-, Kultur- und Tourismusaktivitäten investieren wir sehr stark in den Bereich Culture Tech. Unser Ziel ist es, die europäische Kulturlandschaft durch neue Technologien zu bereichern. Dazu untersuchen wir, inwieweit wir neue Technologien wie Künstliche Intelligenz, Augmented- und Virtual Reality, oder die Blockchain für Kultur und Tourismus nutzbar machen können. Über unser Startup „Vienna Digital Lab“ haben wir da auch schon einige spannende und zukunftsträchtige Pionierprojekte für internationale Kulturinstitutionen und Künstler umgesetzt. Außerdem sind wir sowohl in Österreich als auch im Ausland im Bereich der Immobilienentwicklung tätig. Hier haben wir unseren Hauptfokus auf „Sonderimmobilien“, die entweder als Eventlocation nutzbar oder eng mit einer touristischen oder kulturellen Nutzung verbunden sind. Wir prüfen aber jedes Projekt individuell, auch außerhalb dieser Bereiche. Wir haben z. B. auch schon große Wohnbauprojekte erfolgreich entwickelt.

Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis, Ihr Business-Motto?

Henry Ford soll einmal gesagt haben: „Ich prüfe jedes Angebot, es könnte das Angebot meines Lebens sein.“ Diesem Statement kann ich einiges abgewinnen. Wir denken wirtschaftlich und wachstumsorientiert, sind aber auch agil genug, um spontan zu sagen: Das schauen wir uns an, das rechnen wir uns durch. Wichtig ist für mich aber auch: als SHI-Group müssen wir nicht alles allein machen. Wir arbeiten nicht isoliert, sondern verfolgen einen „Open Innovation“ Ansatz. Das heißt: In unseren Kernkompetenzen sind wir sehr, sehr smart, aber es gibt Bereiche, für die wir Input von außen holen, Partner dazu nehmen. Ich bin überzeugt, dass man Projekte mit diesem Ansatz schneller und qualitativ optimal umsetzen kann. Wir suchen also immer nach interessanten, strategischen Partnern. Menschen und Unternehmen, mit denen man sich auf Augenhöhe gemeinsam auf einen Weg macht und partnerschaftlich Projekte umsetzt. Dabei liegt der Fokus natürlich immer auch auf dem wirtschaftlichen Erfolg – für alle Beteiligten.

©Sound of Vienna Konzertveranstaltungs GmbH

Apropos Wirtschaftlichkeit: Sie betreiben seit mehr als 20 Jahren sehr erfolgreich den Kursalon Hübner und haben ihn zur Kultlocation gemacht. Jetzt gibt es eine Ausschreibung um die Betreibung ab 2025. Wollen Sie sich zurückziehen?

Es gibt eine Ausschreibung, weil unser Vertrag Anfang 2025 ausläuft. Wir stehen in bestem Einvernehmen mit den Eigentümern und sind von diesen auch herzlich eingeladen, ein Angebot abzugeben. Die Ausschreibung ist bereits länger geplant und für uns natürlich nachvollziehbar: die Eigentümer wollen sich auf dem Markt umschauen, was wirtschaftlich und konzeptionell möglich ist. Als langjähriger Betreiber kennen wir die Location Kursalon natürlich in- und auswendig, mit allen Stärken und Schwächen. Für mich ist der Kursalon eines der schönsten Palais Wiens, ein fantastisches Objekt, aber es ist natürlich auch anspruchsvoll, das Haus wirtschaftlich zu führen.

Werden Sie sich an der Ausschreibung beteiligen?

Der Kursalon ist großartig, aber für uns ist Wirtschaftlichkeit ein zentrales Thema, der Betrieb muss sich rentieren. Es ist also eine Rechenaufgabe, und wenn für uns alle Parameter passen, werden wir ein interessantes Angebot abgeben.

Es heißt, dass bereits Spitzengastronomen an Sie herangetreten sind, die den Kursalon gern mit Ihnen gemeinsam weiterbetreiben würden.

Wir werden tatsächlich immer wieder von Unternehmen angesprochen, die an einer Zusammenarbeit mit der SHI-Group interessiert sind – auch, aber nicht nur den Kursalon betreffend. Das freut uns natürlich, das bestätigt uns in unserer Arbeit und wir prüfen diese Möglichkeiten immer sehr genau. Das heißt, wir sind immer offen für einen spannenden Ideenaustausch und mögliche Partnerschaften. Aber es sollte auch klar sein: Wer den Kursalon allein betreiben will, muss sich an der Ausschreibung beteiligen und sich an die mit der Ausschreibung beauftragte Agentur wenden.

Viele heimische Besucher des Stadtparks würden sich ein ganzjährig durchgehend geöffnetes Kaffeehaus oder Restaurant im Kursalon wünschen. Warum gibt es das nicht?

Bis jetzt war das nicht Teil unseres Geschäftskonzepts. Derzeit prüfen wir unterschiedliche Konzepte, und für die Zukunft ist natürlich nichts ausgeschlossen.


Stark verbreitet und schambehaftet: 1 Million Österreicherinnen und Österreicher können nicht sinnerfassend lesen. Ein Interview mit Angelika Hrubesch, der Leiterin des Alfa-Zentrums in den Wiener Volkshochschulen. 

Lesen schafft Autonomie – Interview mit Angelika Hrubesch

Bild: ©Bubu Dujmic

Stark verbreitet und schambehaftet: 1 Million Österreicherinnen und Österreicher können nicht sinnerfassend lesen. Ein Interview mit Angelika Hrubesch, der Leiterin des Alfa-Zentrums in den Wiener Volkshochschulen. 

Bei einem so massiven Problem ist es einigermaßen merkwürdig, dass es so wenig Aktionen gegen den Analphabetismus gibt. Denn es müsste ja das Ziel jeder Regierung sein, das sofort zu ändern. Nun gibt es tatsächlich wenig Informationen zu diesem Themenkomplex. Österreich hat sich erst sehr spät, 2011/2012, an einer internationalen Vergleichsstudie beteiligt und seither wissen wir, dass etwa eine Million der 15- bis 65-Jährigen, ca. 17 Prozent betroffen sind. Es gab damals eine gewisse Aufregung, aber die Diskussionen beschränken sich seither immer auf den 8. September, den Weltalphabetisierungstag. 

Seit 2012 existiert allerdings eine große Initiative des Bundes und der Länder, die „Initiative Erwachsenenbildung“, die Kurse fördert. Neben den Volkshochschulen gibt es bundesweit viele Einrichtungen, die Alphabetisierung anbieten. In den Volkshochschulen ist die Basisbildung aber schon mehr als 30 Jahre Teil des Angebots. 

wienlive: Was ist das Hauptproblem?

Angelika Hrubesch: Wir wissen, dass wir viele der Betroffenen kaum erreichen können. Richtige Kampagnen sind in dem Fördervolumen nicht drinnen. An Fernsehspots kann ich mich jedenfalls nicht erinnern.

Ein Vorurteil ist, dass die Betroffenen hauptsächlich Migranten sind. Was ist da dran?

Von den 17 Prozent Betroffenen haben die meisten als Erstsprache Deutsch. Viele glauben dann, das würde v. a. arbeitslose oder sozial benachteiligte Menschen betreffen – das ist allerdings ein Irrtum. Viele der Betroffenen sind berufstätig, manche sogar erfolgreich. Sie sind aber immer in Gefahr, dass jede Änderung im Berufsumfeld für sie das Aus bedeuten könnte. Und: Viele davon sind sehr intelligent, um vielleicht das letzte Vorurteil auszuräumen. 

Das wird im „Vorleser“ ja auch beschrieben. Die Analphabetin soll weitergebildet werden und kündigt dann, weil sie da ja lesen können müsste …

Ja, ich kenne eine Frau, die bei einer Bank gearbeitet hat – in der Reinigung. Und dann hat die Bank die Reinigung ausgelagert. Nun hätte die Reinigungsfirma zwar die Frau übernommen, aber das wäre alles komplizierter geworden – mit mehreren Einsatzgebieten etcetera. Die Bank hätte die Frau sogar als Telefonistin übernommen, aber das hat sie sich eben auch nicht zugetraut. 

Das „Nicht-gut-lesen-Können“ ist nämlich leider sehr schambehaftet. Manche Kampagnen verstärken das sogar – sie sind leider oft skandalisierend – so in der Art „Was, du kannst nicht lesen?“. In der Folge ziehen sich die Betroffenen noch mehr in sich zurück. Zu oft wird nämlich der Mangel an Lesekompetenz auf ein individuelles Versagen zurückgeführt. Also schuld sind immer die Betroffenen …

Ein Versagen besteht allerding beim Schulsystem, denn wie kann es sein, dass die Schulen nach 9 Jahren Menschen entlassen, die nicht ausreichend lesen können?

Genau, allerdings sind da auch die sozialen Bedingungen um die Schule herum Teil des Problems – man kann allerdings sicher nicht Kinder von 6 bis 14 dafür verantwortlich machen, dass sie etwas nicht gelernt haben.   

Was kann die VHS tun, um Betroffene zu erreichen?

Wir bemühen uns, unsere Kurse so niederschwellig wie möglich anzubieten. Wir haben so gut wie immer Beratungszeiten und Sprechstunden, ein Kurseinstieg ist auch fast jederzeit möglich. Oft geht es um den richtigen Zuspruch. Viele, die zu uns kommen, glauben, dass sie die Einzigen sind, die davon betroffen sind und sagen selbst „ich war zu faul“ oder „ich war so ein schlimmer Schüler“. Erst im Kurs bemerken sie, dass sie nicht allein sind. Deshalb ist Mundpropaganda für uns sehr wichtig. 

Aber es ist nicht so, dass manche das Lesen nur verlernt haben, oder? 

Dieses Verlernen ist nur ein Teil des Problems. Ich verwende auch den Begriff Analphabetismus ungerne, weil das so ausschaut, als ob die Betroffenen nur die Buchstaben nicht kennen und es würde reichen, diese 26 Buchstaben zu lernen, um lesen und schreiben zu können. Die Herausforderungen sind aber komplexer. Ich muss Zusammenhänge verstehen, auf Bildschirmen lesen und scrollen können und so weiter.

Wie muss man sich so einen Kurs also vorstellen?

Wir schauen uns immer zuerst an, was die Betroffenen können, denn die meisten, die hier in die Schule gegangen sind, können in unterschiedlichsten Facetten ein bisschen lesen. Manche tun sich wirklich schwer mit den Buchstaben, können aber sehr gut Abschreiben, weil das die Schule trainiert hat. Bei manchen vermuten wir eine nicht erkannte Legasthenie. 

Wichtig ist uns das Arbeiten in der Gruppe, wobei wir bei den Kompetenzen auch individuell arbeiten können. Wir haben also viele Kurse, und zwar von zweimal pro Woche bis zu viermal. Durch die Förderung haben wir sozusagen den Luxus, auch in kleineren Gruppen arbeiten zu können. 

Gibt es zu diesem Problem auch eine wissenschaftliche Forschung innerhalb der Pädagogik?

Der Bereich ist sehr klein – also da ist definitiv noch Luft nach oben. In Deutschland ist es besser, da läuft gerade wieder eine Dekade der Alphabetisierung mit ziemlich vielen Mitteln für die Forschung.

Eigentlich müssten Betriebe ja stark an Lesekampagnen interessiert sein. Sehen Sie da Signale?

Die Sozialpartner sind natürlich an der „Initiative Erwachsenenbildung“ beteiligt. Betriebliche Initiativen für Basisbildung sehe ich leider wenige. Die Firmen regeln das oft auf ihre eigene Weise und sind oft perfekt auf gering Gebildete eingestellt. Ein Beispiel aus dem Bereich Reinigung: Jedes Putzmittel hat eine bestimmte Farbe und der Lappen und die zu putzende Fläche die gleiche Farbe. Besser wäre es selbstverständlich, den Menschen Lernangebote zu machen – bei uns sind Alphabetisierungs-Kurse sogar kostenfrei! 

Abschließend: Warum ist das Lesen-Können so wichtig?

Mit dem Lesen gewinnt man ungeheuer viel Autonomie – viele Türen öffnen sich erst mit dieser Fähigkeit. Und das Lesen von Literatur erschließt uns dann nochmal eine Welt. 


vhs.at

T. C. Boyle in Wien – ein Interview mit dem Bestsellerautor aus Santa Barbara.

„Ich tue alles, um mein Publikum zu unterhalten“ – T. C. Boyle

T. C. Boyle in Wien – ein Interview mit dem Bestsellerautor aus Santa Barbara.

T. C. Boyles neuer Roman „Blue Skies“ wird weltweit bejubelt. Niemand sonst versteht es, die Auswirkungen der Klimakatastrophe ebenso drastisch wie unterhaltsam anhand einer gewöhnlichen Familie in den USA darzustellen. Sein Auftritt bei „Theater im Park“ im Schwarzenbergpark am Montag vor hunderten Fans wurde heftig akklamiert – sein Schriftstellerkollege Michael Köhlmeier las Stellen aus dem Roman auf Deutsch, T. C. Boyle diskutierte mit Ö1-Redakteurin Renata Schmidtkunz über Leben und Werk.

In „Blue Skies“ ist die Klimakatastrophe längst Alltag – in Kalifornien regnet es nie und Waldbrände fressen sich auch durch die Siedlungen, während in Florida sich Hurrikane täglich abwechseln und Häuser vom Meer verschluckt werden.

Wienlive konnte mit dem Autor, der 2013 mit seinem Roman „América“ Gast bei unserer Gratisbuchaktion „EineSTADT.EinBUCH.“ war, bei einem Mittagessen in der „Hollerei“– T. C. Boyle lebt weitgehend vegetarisch – sprechen.

Von Helmut Schneider

Nach den Klimabüchern „Ein Freund der Erde“ 2000 und jetzt „Blue Skies“ – fühlen Sie sich nicht ein bisschen wie Kassandra?

Ja, absolut – aber ich schreibe meine Romane nicht, um Menschen zum Handeln zu bewegen – das ist nicht mein Job als Künstler. Ich bin nur sehr beunruhigt. Wir alle begreifen inzwischen, dass es bei der Umweltkatastrophe keine Beschränkungen gibt – wir sind längst über der Grenze. Was uns Menschen erwartet, ist purer Horror. Ich habe keine Lösung für das Problem, ich kann nichts dagegen tun – außer Menschen bewusst machen, was ihnen bevorsteht. Romane können Menschen nicht von schädlichem Handeln abhalten.

Wir müssen uns also nicht vor Ihrem nächsten Roman fürchten?

Ich hoffe nicht, aber ich weiß noch nicht, worüber ich schreiben werde – aber es wird sicher wieder etwas ganz Anderes sein.

Nebenbei bemerkt – Kassandra ereilte ja ein schlimmes Schicksal…

Ja, das ist wahr. Aber irgendwie erwartet uns das ja alle…

Alle Ihre Bücher sind unterhaltsam, aber „Blue Skies“ finde ich ihr bisher witzigstes. War das so geplant?

Jede meiner Geschichten hat einen anderen Sound, eine andere Stimmung. Ich habe gestern mit Vergnügen gehört, wie die deutsche Fassung von „Blue Skies“ aufgenommen wurde. Aber ich plane keine Witze in die Geschichte ein, sondern diese entwickeln sich daraus.

Ist Humor nicht inzwischen die einzige Option, der Situation unserer Welt zu begegnen?

Ja, ob es nun die Klimaerwärmung ist, oder einfach die Tatsache, dass wir in einem sinnlosen Universum leben und irgendwann sterben werden – klar braucht man dabei Humor.

Es heißt ja auch, nur böse Witze sind gute Witze…

Das ist wahr. Meine Rezensenten waren sehr glücklich mit dem Buch, meinten aber, es wäre sehr schwarzhumorig. Mir war das aber gar nicht bewusst. Das liegt einfach in meiner Mentalität und es ist der Weg, den die Geschichte eingeschlagen hat. Aber bei Gesprächen mit dem Publikum merkte ich schon, dass viele einen Guru erwarten oder Lösungen und zumindest etwas Hoffnung. Damit kann ich allerdings nicht dienen.

In vielen Ihrer Bücher kommen Tiere in entscheidenden Rollen vor – Schimpansen, Löwen, Ratten, Vögel – nun eben Insekten und Schlangen. Es sind gar nicht mehr so viele Tiere übrig für Ihre nächsten Bücher, vielleicht noch ein Nilpferd?

Ja, Pablo Escobars Nilpferde sind ja berühmt und würden eine gute Story ergeben – obwohl das schon sehr bekannt ist. Aber ich bin einfach von der Natur und Biologie fasziniert. Wahrscheinlich wäre ich auch als Biologe glücklich. Aber es ist lustig – vielleicht gehen mir ja als Autor tatsächlich einmal die Tiere aus. Aber ich glaube fest daran, dass die Insekten, die in den letzten Jahren sehr reduziert wurden, wieder zurückkommen.

Sie bewegen sich sehr gerne – wie oft beschrieben – in der Natur. Aber warum sind Sie meistens allein unterwegs?

Das ist mein Weg, den Puls der Erde zu fühlen, wenn dabei dein Blut durch deine Venen strömt – ohne Ablenkung. Als junger Mann liebte ich es auch, mit Freunden durch die Gegend zu wandern, oft zugedröhnt und dann ins Wasser zu springen – das war auch toll. Aber unter meinen jetzigen Lebensumständen und vielleicht auch meinem Alter geschuldet bin ich bei meinen Wanderungen am liebsten unbegleitet. Ich will alles auf meine Weise sehen – ein bisschen so wie als Kind.

Sie hatten ja schon sehr viele Lesungen in den USA und Europa – unterscheidet sich da ihr Publikum sehr?

Eigentlich nicht. Aber in Deutschland und Österreich ist das literarische Publikum besser. Ich habe natürlich auch Hardcore-Fans in den USA, aber das normale Publikum scheint sich nicht so viel aus Literatur zu machen. Die Menschen, die zu meinen Lesungen kommen, sind ähnlich – sie lieben Literatur und ich versorge sie mit meiner, und ich habe das Glück, dass sie das lieben, was ich ihnen liefere. Vielleicht bestehen in Deutschland und Österreich bisweilen höhere formale Erwartungen, aber ich versuche das herauszunehmen, denn ich finde, Literatur wie eben auch Musik und generell Kunst soll für alle erfahrbar sein. Man muss nicht immer einen akademischen Schirm über alles halten – das kann auch spannend sein, aber ich liebe es, wenn Menschen Literatur einfach als Unterhaltung genießen. Literatur ist eine Geschichte, die dich emotional bewegt. Wer meine tiefgreifenden Gedanken haben will, soll meine Bücher lesen. Und wer sich unterhalten will, soll zu meinen Lesungen kommen, denn ich werde alles tun, um mein Publikum zu unterhalten. Das ist genau das, was meine Mutter getan hat, als sie mir als Kind Geschichten vorgelesen hat. Es ist eine Show, es ist Spaß. Ich denke, wir vergessen das nur zu oft.

Interessant, sie wuchsen ja in einer schwierigen Familie auf, aber Ihre Mutter hat Ihnen immer vorgelesen?

Meine Mutter hat mir tatsächlich das Lesen beigebracht – obwohl ich ein hyperaktives Kind war und anfangs auch gar nicht gut in der Schule. Deshalb hat sie begonnen, mir vorzulesen. Ich höre noch immer ihre Stimme, wenn ich lese, sogar auf der Bühne. Daneben gab es auch noch einen Lehrer, der Amateurschauspieler war. Wenn wir brav waren, hat er uns am Freitag eine Geschichte vorgelesen, eigentlich als Schauspieler aufgeführt. Das war pures Vergnügen, ich bin zitternd da rausgegangen. Als ich vor vielen Jahren in meinem Job angefangen habe, wusste ich von Beginn an, dass das eine Show sein musste. Einigen Hochschulprofessoren gefällt das nicht so, sie meinen, man sollte sich ernsthaft mit Literatur auseinandersetzen. Da stimme ich auch zu, aber jeder kann sich meine Arbeit auf seine Weise aneignen. Denn Kunst ist Freude – das ist das Einzige, was uns von den Tieren unterscheidet.  


T. C. Boyle: Blue Skies. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
Hanser, 400 Seiten, € 28,80

UNSER WEG ZUM CLOUDKAPITALISMUS – Ein Interview mit Armin Thurnher

Foto: Irena Rosc

Ein Interview mit Armin Thurnher, der heute (19. Mai) um 18 Uhr bei dem zweitägigen Literaturfestival „Rund um die Burg“ sein Buch „Anstandslos“ vorstellen wird. In seinem neuen Buch arbeitet der Falter-Herausgeber die Ära von Sebastian Kurz auf. Im Interview geht es auch darum, warum Demokratien durch Social Media gefährdet sind.

Geboren 1949 in Bregenz, kam Armin Thurnher zum Studium nach Wien und gründete 1977 mit Walter Martin Kienreich die linksliberale Wochenzeitschrift Falter, deren Ausrichtung er maßgeblich prägte, ab 2012 als Falter-Herausgeber. Seit Beginn der Pandemie schreibt er einen täglichen Blog namens „Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt“, in dem er vor allem die österreichische Innenpolitik kommentiert und in dem bis zu seinem Tod auch sein Kater regelmäßig als Ezzesgeber auftrat. Mit „Anstandslos – Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege“ erschien jetzt eine Abrechnung mit der unter Korruptionsverdacht stehenden Regierungen von Sebastian Kurz.

wienlive: Alle, die Politik beobachteten, konnten live erleben, wie Kurz und Sobotka die Regierung mit Kern, deren Mitglieder sie waren, sabotierten. Wieso hat da niemand Alarm geschrien?

ARMIN THURNHER: Weil die Medienlandschaft, von der es zwar immer heißt, sie stünde unter einer linken Hegemonie, die in Wirklichkeit aber fest in konservativer Hand ist, das unterstützt hat. Verschiedene entscheidende Akteure waren begeistert, dass die Schwarzen jetzt endlich einen Stimmenbringer mit einer gewissen Ausstrahlung hatten. Denn bis zu diesem Zeitpunkt waren das immer die anderen: Kreisky und Vranitzky und die Blauen mit Haider und sogar der dumpfe Strache hat noch Stimmen angezogen. Plötzlich war einer da, der die Wähler auf die schwarze Seite gezogen hat.

Halten Sie die Medien tatsächlich noch für so mächtig?

Ja, denn wenn alle geschrieben hätten, Kurz ist ein sprechblasentrainierter Maturant und seine Behauptungen über Silberstein und die Balkanroute sind falsch, wäre es anders ausgegangen.

Das gilt dann wohl international, denn Trump hätte es ohne Fox News vielleicht auch nicht gegeben, oder?

Nicht nur nicht ohne Fox, sondern auch nicht ohne die New York Times, denn Medien sind nun einmal begeistert von Menschen, die Aufmerksamkeit generieren. Totschweigen ist im Medienzeitalter keine reale Möglichkeit. Aber natürlich muss zuerst etwas da sein – bei Kurz etwa sein Wille zur Macht und der Wille, die ÖVP auf einen neuen Kurs zu bringen. Die ÖVP war ja bis dato immer zerrissen und hat mit zig Stimmen gesprochen. Und da gab es dann einen, der gesagt hat: Entweder ihr nehmt mich und lässt mich mit harter Hand regieren, oder ihr bleibt weiter unter 20 Prozent. Diese Drohung hat funktioniert. Bei Trump war es ganz ähnlich. Beide haben aber auch einen stark ausgeprägten opportunistischen Kern.

Kurz hat dann seine Regierung wie einen Mafia-Clan geführt mit ihm als Paten. Alle anderen waren seine Soldaten. Die Beamten hat er mit seinen Generalsekretären kaltgestellt.

Ja – alle Ministerien haben nur noch das wiedergegeben, was die Zentrale Kurz ausgegeben hat. Interessanterweise hat das alle fasziniert, statt dass das kritisiert worden wäre.

„Die Texte der Chats gehören vor dem Parlament, in Stein gemeißelt, als Mahnmal für die Demokratie aufgestellt.”

Armin Thurnher

Das scheint ein Grundbedürfnis in Österreich zu sein – man soll ja nicht streiten …

Der kultivierte Streit wird hierzulande nicht geschätzt. Dabei ist Politik ja nichts anderes – man muss immer verschiedene Konzepte und Angebote bewerten und darüber befinden, wer Recht hat mit seiner Einschätzung.

Sie schreiben „Die Lüge gehört zum politischen Geschäft wie der Pool zur Hollywoodvilla“ – was war also an den Lügen von Kurz anders?

Gar nichts, er hat seine Karriere mit der Lüge, dass er so unglaublich populärer ist als Mitterlehner, begonnen – was er dann mit den gefälschten Umfragen untermauert hat. Das war insofern wahr, als er tatsächlich populärer war – aber er hat das so übertrieben, dass es dann doch wieder eine Lüge war. Das Interessante daran ist, dass es egal gewesen wäre, wenn man das damals schon gewusst hätte. Das ist so wie bei Trump. Seine Anhänger entschließen sich, ihm alles zu glauben und wollen das gar nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfen. Denn sie sagen, es lügen sowieso alle, und da ist mir mein Lügner lieber als deiner.

Nach den bekannt gewordenen Chats von Schmidt müsste inzwischen ja alles klar sein …

Ja, nach den Chats müsste moralisch alles klar sein, und ich verstehe auch nicht, wie man sagen kann, dass das private oder intime Inhalte sind. Die wirklich intimen Inhalte wurde ja zu Recht beiseite geschoben. Aber in den bekannt gewordenen Chats geht es um öffentliche Geschäfte – etwa wie die Reichen bevorzugt werden. Das sind Texte, die gehören – in Steintafeln gemeißelt – vor dem Parlament als Mahnmal aufgestellt. Das sind öffentlich relevante Texte, die gar nichts mit Privatsphäre zu tun haben.

Was Sie im Buch natürlich noch nicht behandeln konnten – weil gerade passiert –, ist die ÖVP/ FPÖ-Koalition in Niederösterreich. Wieso kommt Mikl-Leitner damit in den Medien durch?

Sie kommt damit durch, weil sie einfach eine große Machtposition hat. Man sieht ja, wie das funktioniert. Alle Medien behandeln die sogenannten „Chaos-Tage“ der Sozialdemokraten, statt sich mit Niederösterreich zu beschäftigen, was sicher mehr die Aufgabe eines kritischen Journalismus wäre. Aber solange die Entscheidungsträger im Land das Gefühl haben, man müsse nur eine kurze Aufregung überstehen, wird nichts passieren.

Leider sind die Demokratien weltweit in Gefahr, angefangen mit dem Brexit, dann Trump, Orban und zuletzt Kurz-Freund Netanjahu. Warum eigentlich, es gibt ja keine Hungerrevolten oder ähnliches?

Es besteht eine brisante Kombination aus der neuen Social-Media-Situation und dem relativen Wohlstand, der vieles mit einem Wurstigkeits-Gefühl überzieht. So lässt man Dinge aus dem Ruder laufen. Die Social-Media-Situation schafft wiederum die idealen Voraussetzungen für einen neuen Irrationalismus. Der war zwar immer da, kommt aber heute viel leichter an die Oberfläche. Die neuen Medien generieren zudem eine neue Art von Überwachungs- oder Cloud-Kapitalismus. Fast alle nehmen an etwas teil, von dem sie gar nicht so genau wissen, was es ist.

rundumdieburg.at


Die Gastro-Szene im Wandel zur Zwei-Klassen-Gesellschaft mit Billiglokalen und gehobenen Restaurants. Ein Interview mit WKW-Gastro-Obman Peter Dobcak.

Aus für den Wirt am Eck? Interview mit Peter Dobcak

Bild: ©Bubu Dujmic

Die Gastro-Szene im Wandel zur Zwei-Klassen-Gesellschaft mit Billiglokalen und gehobenen Restaurants. Ein Interview mit WKW-Gastro-Obman Peter Dobcak.

Seit acht Jahren kämpft der Fachgruppenobmann der Gastronomie der Wirtschaftskammer Wien, Peter Dobcak, jetzt schon für „seine“ Wirte. Auch mit viel Erfolg und Einsatz in der Corona-Zeit – die Förderungen der Regierung für die Gastro-Szene waren hoch. Der Sohn einer Hoteliersfamilie in Salzburg hat das Gastro-Geschäft von der Pike auf gelernt und nach einem Abstecher auf den Immobiliensektor in den USA auch in Wien Lokale betrieben. Der Job als Wirt geht sich mit dem Einsatz in der WKO, wo er 6.000 Mitglieder vertreten muss, natürlich nicht mehr aus. 

Zumal die Gastro-Szene gerade einen Umbruch erlebt. Nach Corona kam die Inflation. Die Energiekosten haben sich vervielfacht und auch die Preise für die Wareneinkäufe zogen stark an. Dazu kommen Mietpreiserhöhungen. Die Wiener Wirte müssen seither seiltanzen zwischen Mehrkosten-Abdeckung und Preisen für die Gäste, die sich diese gerade noch leisten können. Dazu kommen die Probleme bei der Rekrutierung von Personal.

wienlive: Warum ist es so schwierig, Köche und Kellner zu finden?

PETER DOBCAK: Das Gehalt – die Kollektivverhandlungen sind gerade für beide Seiten befriedigend gelaufen – ist wichtig, aber es gilt sicher auch, Rahmenbedingungen zu verbessern. Wir müssen uns darauf einstellen, dass unsere Angestellten flexiblere Arbeitszeiten wollen. Viele möchten nur noch 30 Wochenstunden arbeiten – ich bräuchte also mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Branche muss sich darauf einstellen. Allerdings kann ich ein Lokal nicht weniger lang offen halten, da sonst der Umsatz fehlt. Das ist der Grund für unser Personalproblem. 

Auch die Drop-out-Quote ist in Ihrer Branche sehr hoch, wieso?

Das war in der Gastro-Szene schon immer so – aber das gilt auch für uns Unternehmer selbst. Etwa 20 Prozent der Gewerbescheine fallen pro Jahr weg und es kommen 20 Prozent wieder dazu. Auch wenn da viele Ummeldungen etwa innerhalb der Familie dabei sind, ist das eine hohe Zahl. 

Seit einiger Zeit geistert das Schlagwort von der Zwei-Klassen-Gastronomie herum – also nur noch Billiglokale mit wenig Personal und entsprechend teurere Restaurants. Ist das die Zukunft?

Das sind unsere Befürchtungen. Der Mittelbau könnte tatsächlich wegbrechen, denn zwischen 5 und 30 Mitarbeiter*innen hat man bald – wir sind nun einmal eine personalintensive Branche. Um sich das leisten zu können, was wir als Mittelbau bezeichnen – also das bessere Wiener Gasthaus –, werde ich als Unternehmer preislich ein Stück raufrutschen müssen. Wir sehen das jetzt schon in anderen Ländern wie der Schweiz, wo es im mittleren Preissegment gar nichts mehr gibt. Dort haben sie nur noch To-Go-Lokale mit bestenfalls Selbstbedienung und Restaurants mit sehr hohen Preisen. Ich fürchte, das wird auch bei uns die Zukunft sein. Wir sind stolz darauf, dass unsere Gäste eine schöne Zeit bei uns verbringen können, aber es muss sich am Ende des Tages auch für uns rechnen. Ich kann nichts um 1 Euro verkaufen, das mich im Einkauf 1,50 Euro kostet.


„Unsere Ausbildung ist top. Auf der ganzen Welt trifft man in der Spitzengastronomie auf Österreicher.“

Peter Dobcak, Fachgruppenobmann Gastronomie Wien, über die Situation in der Szene. 

Das traditionelle Wiener Gasthaus am Eck ist also in Gefahr. Wird das aussterben?

Ich glaube nicht, dass es aussterben wird, aber es wird sich verändern, wird sich anpassen, also schlicht und ergreifend bis zur letzten Komma-stelle optimieren müssen, damit das Ding wirklich gut läuft. Jetzt hatten wir ja noch den Aufholeffekt nach der Pandemie – die Gansl- und Weihnachtsumsätze waren wirklich gut. Aber natürlich waren auch unsere Kosten durch die Inflation sehr hoch. Manche Kolleginnen und Kollegen haben etwa Energiepreissteigerungen um das 10-Fache. Wir sind ja logischerweise eine sehr energieintensive Branche und wenn ich dann statt 50.000 im Jahr 500.000 zahle, kann man sich ausrechnen, was das für uns bedeutet. Das ist kalkulatorisch nicht mehr darstellbar. Dazu kommt, dass das Mittagsgeschäft durch das vermehrt genützte Homeoffice eingebrochen ist. 

Wie sehen Sie den Boom der Zustelldienste? Viele Wirte nützen das ja auch …

Die Lieferdienste sind gekommen, um zu bleiben, wie es so schön heißt. Es gibt momentan nur noch zwei große – Mjam und Lieferando –, die fast schon eine Monopolstellung haben und in gewisser Weise die Preise diktieren können. Idealerweise nützen unsere Mitglieder die schwächeren Zeiten in der Küche für diese Dienste, aber es ist nicht einfach, die Kosten im Griff zu halten. Was mir aber mehr Sorge bereitet, sind sogenannte „Ghost Kitchen“. Da wird das Menü irgendwo produziert, wo es überhaupt keine Gasträume gibt, der Kunde bestellt aber im Glauben, es wäre beispielsweise eine echte Pizzeria. Eine solche Schattengastronomie ist leider gesetzlich vollkommen legal. 

Was ist momentan der Trend in der Gastronomie – welche neuen Lokale werden vermehrt eröffnet?

Es geht stark in Richtung Regionalität und Nachhaltigkeit. Auch veganes und bewussteres Essen ist weiter im Trend. Gäste, die ins Lokal gehen, wollen ein hochwertiges Essen, bei dem man weiß, wo die Zutaten herkommen. Jahrzehntelang gab es eine Burgerwelle, dann kamen Wraps in Mode.

Ich beobachte tatsächlich vermehrt Lokale, die auch Zutaten zum Selberkochen verkaufen, wie etwa selbstgemachte Pasta oder Gnocci …

Ja, das gibt es auch. Manche haben sogar einen kleinen, feinen Lebensmittelhandel dabei und bieten neben dem Gastraum auch To-Go an. Unsere Mitglieder werden immer flexibler.

Was hat Sie bewogen, in die Gastronomie zu gehen?

Ich bin in der Touristik aufgewachsen und habe mit vier Jahren schon Teller abserviert. Ich bin dann in die Hotelfachschule gegangen, wo ich meine Frau kennengelernt habe. Also ich war sozusagen immer im Dienstleistungsgewerbe. Jetzt als Funktionär ist es meine Arbeit, „lästig“ zu sein und Gefahren für die Branche aufzuzeigen. Die Förderungen in der Pandemie haben unsere Kolleg*innen einzig und allein unserer Beharrlichkeit zu verdanken. Gastronom wird man aus Freude an der guten Zeit von anderen und aus Freude am Kochen. Wir haben nach wie vor viele Familienbetriebe und unsere Ausbildung ist sehr gut – auf der ganzen Welt trifft man in der Spitzengastronomie auf Österreicher.