Beiträge

Billie sucht ihren Vater – Der spannende Entwicklungsroman „Paradise Garden“ von Elena Fischer

Auch mit zwei Jobs – im Krankenhaus und in einer Bar – reicht das Geld kaum aus, um Mutter Marika und ihre 14-jährige Tochter Billie im reichen Deutschland ein Leben oberhalb der Armutsgrenze zu ermöglichen. Doch Trübsal blasen ist nicht ihr Ding. Marika gelingt es immer wieder, das Leben in der Sozialsiedlung mit Witz und Phantasie aufzuheitern. Nur wenn Billie wissen will, wer ihr Vater ist, schweigt die Mutter beharrlich.

Die junge deutsche Schriftstellerin Elena Fischer erzählt aus der Perspektive von Billie, als Leser schlüpft man in die Gedankenwelt des Teenagers ein, ihre Sprache ist einfach und direkt, will Billie doch Schriftstellerin werden. Der Roman beginnt mit dem Tod von Marika, der erste Teil ist also eine Rückblende. Das Unglück der beiden beginnt, als Billies Großmutter aus Ungarn bei ihnen in die kleine Wohnung einzieht, weil sie den Ärzten ihrer Heimat Ungarn nicht vertraut. Die können nämlich keinen Grund für ihre Beschwerden finden – wie bald darauf auch ihre deutschen Kollegen. Beim Streit mit Oma fällt Marika fatalerweise auf den Glastisch und stirbt. Billie steht plötzlich vor den Trümmern ihrer Kindheit, sie kommt in ein Heim für Minderjährige, woraus sie allerdings bald flieht – sie will unbedingt ihren Vater suchen, obwohl sie kaum Hinweise und kaum Geldmittel besitzt. In der Klapperkiste ihrer Mutter startet sie in den Norden, wo ihre Mutter nach ihrer Migration aus Ungarn wohnte.

„Paradise Garden“ ist streckenweise ein Road Novel, durch die kindlichen Gedanken Billies gerät die Erzählung bisweilen in die Nähe von Klischees. Doch Fischer weiß, wie sie die Nöte eines Teenagers darstellen kann. Der Showdown mit ihrem Beinahe-Vater gibt uns das Bild einer beschaulichen Biografie im Norden Deutschlands auf einer Insel mit nur wenigen wortkargen Menschen. Sozusagen ein Gefühls-Thriller.


Elena Fischer: Paradise Garden
Diogenes Verlag
348 Seiten
€ 24,50

Kultur trifft Wellness: Karl Markovics liest im Kurhaus Marienkron

Bild: ©Marienkron/Steve Haider

Am 5. August gibt es im Kurhaus Marienkron ein ganz besonderes Kultur- & Wellness-Angebot. Tagsüber das einzigartige Spa genießen und sich kulinarisch verwöhnen lassen – den Tag krönt am Abend Schauspielerlegende Karl Markovics mit einer Lesung aus Alfred Polgars „Über die Menschen“.

Angebot in Marienkron: Tagsüber das Spa genießen und abends bei kulinarischer Verwöhnung der Schauspielerlegende Karl Markovics lauschen.
Am 5. August um 19.00 Uhr liest Karl Markovics aus Polgars Werk „Über die Menschen“ im Kurhaus Marienkron. – ©Stefan Diesner

Lesung

„Der Erzähler Polgar hatte viele Themen. An seinem Tisch im Kaffeehaus – für Polgar ein „Ort der Leidenschaften“ – schrieb er über Städte und Landschaften, Dinge und Tiere. Doch vor allem schrieb er über die Menschen – und nicht zuletzt auch immer über sich selbst.“

Alfred Polgar war ein österreichischer Schriftsteller und Kritiker des 20. Jahrhunderts. Bekannt für seinen scharfen Verstand und Humor, prägte er die Literaturszene seiner Zeit. Mit seinen Werken hinterließ er einen bleibenden Eindruck bei seinen Zeitgenoss*innen. Polgars brillante Beobachtungsgabe und feinsinnige Analyse machten ihn zu einem bedeutenden Intellektuellen seiner Ära. Am 5. August um 19.00 Uhr liest Karl Markovics aus Polgars Werk „Über die Menschen“.

Kombination Lesung & Regenerations-Day Spa inkl. Kulturgenuss am Abend: € 155,- p.P.

Mittags- & Abendbuffet mit vegetarischer Kulinarik und Fisch
1x Entspannungswickel
1x Meditation
1x Bewegungstraining
1x Schnupperguss
Nutzung Indoorpool mit großer Liegeterrasse zum Naturpark, Sauna & Dampfbad, Kneipptretbecken, flauschiger Bademantel, Badepantoffel Tageszimmer für den persönlichen Rückzug
KULTUR.Genuss & Sektempfang mit Karl Markovics am Abend um 19:00

Lesung inklusive Sektempfang: € 30,- p.P.

Karl Markovics liest Alfred Polgar „Über die Menschen“ ab 19.00 Uhr


KARTEN & INFO
5. 8. 2023
19.00 Uhr
02173 80205 0
info@marienkron.at
marienkron.at/kultur

KAFKA am Semmering – Sprache & Musik im Südbahnhotel

Bild: Für die musikalische Darbietung sorgt Nikola Djoric. – ©Nancy Horowitz

Im Rahmen des Sommerprogramms („Liebst du um Schönheit“) im Südbahnhotel gestaltet der Schriftsteller, Regisseur, wienlive-Autor und Moderator Otto Brusatti an zwei Sonntagen im August um 13.30 Aufführungen zu Franz Kafkas Erzählung „Ein Landarzt“. Die musikalische Darbietung besorgt der bekannte Akkordeonist Nikola Djoric. Mit dem Cellisten Valentin Erben (Alban Berg Quartett) gründete Djoric das Duo „Ex Equo“ und mit dem Bariton Bo Skovhus schuf er eine besondere Interpretation von Schuberts Winterreise. 

Otto Brusatti bereitet im echomedia buchverlag zu Franz Kafkas 100. Todestag 2024 ein Buch mit neuen Kurzgeschichten von österreichischen und internationalen Autorinnen und Autoren im Andenken an Franz Kafka vor.

Die Performance findet statt im Rahmen des Mottos: Das 20. Jahrhundert im Brennpunkt eines Menschen statt.

Franz Kafka: Ein Landarzt  –  Gestaltung: Otto Brusatti/ Musik (Akkordeon): Nikola Djoric


Sonntag, 6. August & Sonntag 13. August 2023 – jeweils 13.30 Uhr
Südbahnhotel
+436641261140

Ich scheine, also bin ich – der Hochstaplerroman „Mindset“ von Sebastian Hotz

Dass jetzt ausgerechnet ein Social-Media-Star wie Sebastian Hotz, der als El Hotzo auf Twitter und Instagram als Satiriker mehr als 1 Million Follower hat, einen Roman über einen jungen Mann, der sich im Netz mit teuren Uhren und Autos als reicher Anleger präsentiert, schreibt, erscheint schlüssig. Schließlich hat Hotz sicher Erfahrungen als digitale Berühmtheit. Doch ein Typ wie Maximilian Krach, der aus der deutschen Provinz kommend das Studium hinschmeißt – schließlich haben das alle Erfolgreichen wie Steve Jobs oder Elan Musk gemeinsam –, um gleich an das große Geld zu kommen, macht leider noch keinen Roman. Auch wenn seine Inszenierung als Big Spender, während er in Wirklichkeit als Pizzabote arbeitet, durchaus amüsant zu lesen ist. Und so hat Hotz seinem Protagonisten eine Figur gegenübergestellt, die dessen Consulting-Geschwafel von den belämmerten Schafen und den erfolgreichen Wölfen auf den Leim geht. Mirko ist IT-Mann in einer ebenso faden wie soliden Firma und langweilt sich nicht nur im Job zu Tode. Maximilians „Mindset“ kommt ihm da gerade recht.

Mirko reibt sich freilich mitten in seiner größenwahnsinnigen Winner-Blase immer wieder am Alltag in einer deutschen Kleinstadt – Schützenfest inklusive. Das ist witzig beschrieben, „Mindset“ eignet sich bestens als leichte Strandlektüre. Richtig böse und scharf pointiert wird Hotz – im Gegensatz etwa zu Kollegen wie Heinz Strunk freilich nicht. Dem Buch fehlen mit Sicherheit weitere interessante Protagonisten – die Rezeptionistin Jasmin bleibt etwa zu blass beschrieben. Markos Arbeitskollegin Angela ebenso.

Trotzdem – ein Roman mit einigen originellen Wendungen und immer wieder aufblitzendem Humor. Warum sich Hotz freilich den kleinen Würstchen widmet und nicht den wirklich großen Playern im Consulting-Geschäft, wo sich bestimmt viel tiefere Abgründe auftun, ist freilich rätselhaft.  


Ich scheine, also bin ich – der Hochstaplerroman „Mindset“ von Sebastian Hotz. Buchtipp von Helmut Schneider.

Sebastian Hotz: Mindset
Kiepenheuer & Witsch
288 Seiten
€ 24,50

Am 21. September wird wieder Heimito von Doderer gedacht – Gedanken zu Doderers Kriminalroman „Ein Mord den jeder begeht“

Am 21. September wird wieder Heimito von Doderer gedacht – Hier ein paar Gedanken zu Doderers Kriminalroman „Ein Mord den jeder begeht“.

„Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will.“

Mit dieser sarkastischen Feststellung beginnt einer der untypischsten Krimis der Weltliteratur, nämlich Heimito von Doderers 1938 bei C. H. Beck erschienener Roman „Ein Mord den jeder begeht“ – bis 1951, dem Erscheinen der „Strudlhofstiege“, das einzige Buch Doderers mit nennenswertem Erfolg. Außerdem ist der Roman quasi ein Auftragswerk seines endlich gefundenen neuen Verlages, Doderer gab auch wie geplant zeitgerecht das Manuskript ab.

Der beschriebene Kriminalfall ist freilich kein geplanter Mord. Der Todesfall ist aber trotzdem entscheidend für das Schicksal des Protagonisten Conrad, dessen Jugend – sehr untypisch für einen Krimi – detailliert beschrieben wird. Doderer spart auch nicht mit eindrücklichen Bildern, die fast nach einer psychoanalytischen Auslegung schreien – etwas, das sich Doderer freilich verbeten hätte.

Der Junge Conrad fängt Molche und bewahrt einzelne Exemplare in seinem Zimmer auf. Sie gedeihen im Dunkeln, es riecht modrig und einmal bringt Conrad einfach so auch eine kleine Schlange um. Ein Spiegel im Vorzimmer lehrt ihn das Gruseln oder eher die Faszination des Abgründigen. Im Großen und Ganzen hat Conrad freilich – als Sohn eines reichen Tuchhändlers – eine sehr unspektakuläre Jugend, wenngleich seine Mutter stirbt und sein Vater ziemlich unzugänglich ist. Doch Conrad, von dem Doderer immer wieder betont, dass er eher kein Geistesblitz ist (er ist „klein Denker vom Beruf“), erhält nach dem Studium die Chance, sich im Betrieb eines Geschäftsfreundes seines Vaters in Württemberg zu bewähren. Bald heiratet er Marianne, die Tochter des Fabriksbesitzers, und erfährt – über ein Bild – vom Schicksal seiner Schwägerin Louison, die mutmaßlich einem Raubmord im Zug ums Leben gekommen ist. Wie sich später über viele Umwege herausstellt, trägt ausgerechnet Conrad selbst Schuld daran – indem er bei einem Ulk unter Jugendlichen mitmachte. Wichtiger ist freilich, wie Conrad in den Bann seiner toten Schwägerin gerät und den Kriminalfall lösen will. Dabei entgleitet ihm freilich sein unspektakuläres Leben. Schon bald nach der Hochzeit, findet er seine Frau nicht mehr begehrenswert und er sieht – trotz Warnungen aus seiner Umgebung – zu, wie sich Marianne nur noch mit ihren Sportsfreunden die Zeit vertreibt. Im Showdown fährt Conrad dann nach Berlin, wo er den längst entlasteten vermeintlichen Raubmörder verfolgt. Der Zufall spielt ihm dann den Aufklärer zu – jenen Jugendlichen, der mit ihm im Nebenabteil saß und der Louison einen Streich mit einem Totenkopf spielen wollte. Conrad fährt nach Hause, wo er seine Frau mit ihrem Liebhaber antrifft, er schleicht sich aus der Wohnung und kommt im Haus eines Freundes wiederum durch einen dummen Unfall ums Leben. Sein Tod scheint fast wie die Strafe für ein ungenütztes Leben zu sein. Denn, wie Doderer im Roman ausführt, bedeutet leben zu wissen, wer man selbst ist. Was natürlich an die berühmte Inschrift am Orakel zu Delphi erinnert.

Interessant ist, wie Doderer in diesem Roman noch jedes Detail der Erzählung auf die Wirkung und das Ende hin anordnet. So erklärt er etwa in der Mitte des Romans, wie eine elektrische Klingel funktioniert und dass es dabei zu einem Funkenschlag kommen kann. Ein solcher löst dann die Explosion aus, nachdem eine unglücklich liebende Bedienstete mittels Gas Selbstmord verüben will. Dass der Roman im III. Reich erscheinen konnte, bedingte natürlich Doderers Mitgliedschaft bei der Reichsschrifttumskammer. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.


Am 21. September wird um 18.30 Uhr der Historiker und frühere Leiter der Büchereien Wien Alfred Pfoser im Justizpalast über Doderers Darstellung des Justizpalastbrandes in den „Dämonen“ sprechen. Chris Pichler liest ausgewählte Passagen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Aufwachsen in Rom, leben zwischen Berlin und Italien – Veronica Raimos Familienroman „Nichts davon ist wahr“

Eine Tochter im Schatten des als Genie angesehenen Bruders – mit einem Vater, der die kleine Wohnung mit Zwischenwänden zu einem Labyrinth mach und einer Mutter, die ihren Kontrollzwang an ihren Kindern auslebt. Veronica Raimo erzählt in Ich-Perspektive von einem Leben, das ihrem ziemlich gleicht. Raimos Bruder ist ebenfalls Autor und sie pendelt gerne zwischen Berlin und Rom. Es ist ein Buch voller kleiner und großer Katastrophen – vom Leiden unter Verstopfung, einem gescheiterten Ausbruchsversuch als Teenager bis zu für sie schrecklichen Besuchen bei der Familie in Apulien und Freundinnen, bei denen der Kontakt abbricht.

Diese Aufzählung lenkt allerdings davon an, wie witzig dieses Buch zu lesen ist. Die Lektüre ist ein großes Vergnügen, denn Raimo besitzt eine stupende Lebensweisheit. Und natürlich nimmt man als Leser an, dass – konträr zum Titel des Buches – alles so oder so ähnlich geschehen ist. Die Langeweile in der Kindheit, die seltsamen medizinischen Behandlungsmethoden des Vaters, die dauernden Anrufe der Mutter und eine Abtreibung, die für sie doch nicht so easy wie gedacht abläuft. Und jede Familie hat auch ihre Geheimnisse – die Tochter kommt dahinter, dass ihr Vater eine Geliebte hatte und Mutter wahrscheinlich davon wusste. Am Ende stellt sich Raimo jener Frage, die sich Schriftsteller immer stellen müssen: Warum schreibt sie? Nämlich konkret sogar über „zwiespältige und frustrierende Dinge“. Wenn das Ergebnis so unterhaltend ist wie dieses Buch, können wir nur hoffen, dass Raimo damit weitermacht.


Veronica Raimo: Nichts davon ist wahr
Aus dem Italienischen von Aufwachsen in Rom, leben zwischen Berlin und Italien – Veronica Raimos Familienroman „Nichts davon ist wahr“ von Koskull
Klett-Cotta
224 Seiten
€ 22,70


Arm in der Schweiz – Lukas Bärfuss „Die Krume Brot“

Der 1972 in der Schweiz geborene Autor und Theatermacher Lukas Bärfuss ist bei uns weniger bekannt, in Deutschland aber – dank Büchner-Preis und vielen Theaterprojekten – ein Star. Er gilt als scharfer Sozialkritiker und sein neuer Roman „Die Krume Brot“ handelt auch von einer Frau, die für ein bescheidenes Leben hart kämpfen muss. Und das in der von Wohlstand geprägten Schweiz. Wir sind in den 70er-Jahren, viele Italiener arbeiten – ohne sozial halbwegs abgesichert zu sein – in Zürich. Adeline hat zwar auch eine italienische Herkunft – die Familiengeschichte ihrer Großeltern und Eltern wird breit erzählt –, sie wächst aber schon in der Schweiz auf – ihr Vater hinterlässt ihr allerdings nur Schulden, die sie aus Stolz auch noch übernimmt. Als Schweizerin wird sie von den Hiesigen aber trotzdem nie anerkannt. Dazu kommen eine sehr dürftige Schulbildung und die Unvorsichtigkeiten der Jugend – sie heiratet aus Liebe einen italienischen Arbeiter und bekommt eine Tochter als der schon wieder in den Süden Italiens abgetaucht ist. Für Adeline spricht ihr Fleiß und ihr starker Wille, sich und das Kind mit harter Arbeit in der Fabrik durchzubringen. Als sie dann einen Schweizer Grafiker und Unternehmer kennenlernt, scheint sich – obwohl sie ihn nicht liebt – das Blatt zu wenden. Doch natürlich stellt sich auch dieser als Schuft heraus, der eigentlich nur an dem Kind interessiert war. Adeline gerät in ihrer Verzweiflung über das von ihm entführte Kind sogar in die Nähe von Aktivisten der berüchtigten Brigate Rosse, deren Kampf sie als Deklassierte natürlich nachvollziehen kann. Sie lässt sich als Botin missbrauchen – im Gegenzug soll sie ihr Kind wiederbekommen. Das Ende scheint vorgezeichnet, Hoffnung spendet Bärfuss nicht. Aber hat Adeline überhaupt ein Recht auf ihr Kind, wenn sie ihm keine Zukunft bieten kann? Das muss sie sich als Mutter fragen.

„Die Krume Brot“ ist ein gut lesbarer Roman zu einem Thema, vor dem sich bekanntlich viele Autoren drücken. Bärfuss kenn das Milieu aber genau, er hat Erfahrungen als Arbeiter und war in seiner Jugend sogar mehrfach obdachlos. In einem Interview erklärte er: „Ich weiß, was es heißt, arm zu sein.“ Ein Buch, das nachdenklich machen sollte.


Lukas Bärfuss: Die Krume Brot
Rowohlt
224 Seiten
€ 23,50

Vom ganz normalen durchgeknallten Alltag – Heinz Strunks neues Buch mit kurzen Geschichten

Heinz Strunk wurde mit seinem auch später verfilmten Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ bekannt, in dem er von einem jungen Musiker in einer Tanzband, die auf diversen Dorffesten spielt, erzählte. Mit dem Roman über einen Hamburger Frauenmörder „Der Goldene Handschuh“ – so der Name der Kneipe, in der der asoziale Killer verkehrte – erreichte er einen literarischen Höhepunkt.

Insgesamt hat der 1962 in Bevensen geborene Autor, Musiker und Schauspieler bereits 11 Bücher veröffentlicht, die meisten davon sind satirisch und oft sarkastisch, wobei sich Strunk nicht scheut, sich im sogenannten bildungsfernen Milieu zu bewegen. Sein neuestes umfasst 30 Miniaturen, einige nur so lang wie Gedankenbilder, andere sind durchaus Erzählungen. Es beginnt schon mit einem Abendessen zweier Paare, die sich im Urlaub kennengelernt hatten und nun – da sie nicht weit voneinander wohnen – ihre Freundschaft auf die Probe stellen wollen. Daraus wird aber nichts, denn beim gemeinsamen Essen im Restaurant müssen sie erkennen, dass ihre Lebensweisen komplett verschieden sind. Strunk ist ein sehr genauer Beobachter deutscher Kleinbürger und natürlich ein exzellenter Satiriker. Seine Hiebe sitzen immer.

Schwer auszuhalten ist etwa seine Geschichte über einen älter gewordenen Sportfanatiker, der die Anweisung seines Arztes – höchste Arthrosegefahr – ignoriert und im Keller seines Hauses weiter ohne Hemmungen an den Geräten trainiert. Zu den Knochenbrüchen, die er sich zuzieht, kommt die Unmöglichkeit, Hilfe zu holen, dazu. Er verendet qualvoll in einer Truhe, was Strunk sehr genau und wohl auch mit Genuss beschreibt. Das ist hart, auch wenn der Typ natürlich alles andere als sympathisch erscheint.

Dazu kommen als Personal ein schwer drogenabhängiger Afghane, militante Tierschützer, diverse Rentner, ein nervtötender weiblicher Fan, das Opfer einer Thai-Massage und weitere Versager von nebenan. Eine etwas andere Urlaubslektüre. In der Titelgeschichte geht es übrigens um den Traum eines Schriftstellers von einem anderen berühmten Schriftsteller.


Heinz Strunk: Der gelbe Elefant
Rowohlt
208 Seiten
€ 22,70

Heimito von Doderers „verleugnetes Leben“ – Die Biografie des Schriftstellers zur Einstimmung auf den D-Day am 21. September

Am 21. September feiern wir bereits den 3. D-Day für Doderer – Heuer im Justizpalast! Helmut Schneider spricht mit dem Historiker und früheren Leiter der Büchereien Wien Alfred Pfoser über den Justizpalastbrand in Doderers Roman „Die Dämonen“, Chris Pichler wird Stellen aus dem Roman vorlesen. Der Eintritt ist frei.

Heimito von Doderer (1896 – 1966) war zweifelsohne ein Monomane und sein Werk steht wie ein erratischer Block in der Landschaft der Literatur – sogar in der an Eigenwilligkeiten nicht mangelnden österreichischen. Trotzdem wollte der Autor der „Strudlhofstiege“ und der „Dämonen“ zeitlebens hinter seinem Werk als Person verschwinden, wollte ein „Autor ohne Biografie“ werden. Dass dergleichen zumal heutzutage nicht gelingen kann, ist offensichtlich. Aber bis 1996 nahm trotzdem niemand das Wagnis einer Doderer-Biografie auf. Da erschien bei Kremayr & Scheriau Wolfgang Fleischers fast 600seitiges Buch „Das verleugnete Leben – Die Biographie des Heimito von Doderer“. Fleischer war – als blutjunger Student – in den letzten 3 Lebensjahren des Autors so etwas wie sein Privatsekretär gewesen, Doderer hatte ihm Briefe diktiert und bald auch in seinem Namen schreiben lassen. Fleischers Doderer-Bio ist deswegen aber keineswegs unkritisch – im Gegenteil, er schont Doderer in keiner Phase seines Lebens, räumt mit Mythen auf und gibt ein faires Bild von dessen politischen Fehlern und Ahnungslosigkeiten. Sogar Doderers sehr spezielles Sexualleben wird – ohne sensations- oder sonstwie -lüstern zu werden – nüchtern aufgearbeitet. Leider ist dieses Schlüsselwerk zu Doderer nur noch als ebook lieferbar.

Lebensweg

Heimito von Doderer hatte alles andere als ein typisches Schriftstellerleben. Weder zeigte sich seine Begeisterung für Sprache früh – er war ein miserabler Schüler – noch wurde ihm sein Schriftstellerleben bis zum Erfolg der „Strudlhofstiege“ – da war er schon 55! – leicht gemacht. Die meiste Zeit war er von Zuwendungen – vor allem von seiner Mutter – abhängig und ganze 11 Jahre war er beim Militär, die Zeiten der Gefangenschaft mit eingerechnet. Ausgerechnet im russischen Gefangenenlager – Doderer geriet 1916 in Gefangenschaft – in Sibirien an der Grenze zu China entdeckte er die Dichtkunst und beschloss, Schriftsteller zu werden. Nun behandelten die Russen auch noch in den Zeiten des Bürgerkriegs nach der Revolution, Offiziere viel besser als normale Soldaten. Die Häftlinge konnten in den Lagern eine Art Schulprogramm aufbauen und die Kameraden konnten sich gegenseitig weiterbilden. Die vier Jahre in Krasnojarsk waren aber sicher nicht nur angenehm, viele starben an Seuchen. Und im Chaos des russischen Bürgerkrieges war auch die Rückkehr nach Österreich durch ganz Sibirien über Sankt Petersburg nicht ungefährlich.

In Wien studierte Doderer schließlich Geschichte und schaffte auch einen Abschluss, bemühte sich aber auch Erzählungen und journalistische Arbeiten bei Verlagen unterzubringen – mit mäßigem Erfolg.

Zu dieser Zeit hatte er auch eine erste Freundin. Mit der aus einer jüdischen Arztfamilie stammenden Gusti Hasterlik, katholisch getauften jungen Dame, die ihm bildungsmäßig stark überlegen war, ging er eine mehr als ein Jahrzehnt dauernde wechselvolle Beziehung ein, die in einer Ehe mündete – ausgerechnet als ihr Verhältnis längst getrübt war. Denn Doderer war nicht nur bisexuell – sein erster Geliebter als Schüler war sein Hauslehrer Albrecht Reif gewesen, der später auch mit ihm in Sibirien das Gefangenenlager teilte –, sondern hatte sehr spezielle Vorlieben. Besonders dicke Frauen erregten ihn und am meisten genoss er Folterspiele, wobei der die Auserwählten nicht wirklich verletzte, da er sich mit einer Samtpeitsche begnügte. Um das zu erklären würde es wohl einer psychoanalytischen Analyse bedürfen, klar ist aber, dass Doderer sich in seiner Familie immer unterdrückt fühlte. Sein Vater war einer der erfolgreichsten Bauunternehmer, der maßgeblich an vielen Eisenbahnprojekten und an der Regulierung des Wienfluss beteiligt gewesen war.

Krisenjahre

Doderer war zeitlebens politisch nicht interessiert, er sehnte sich nach einer Art idealen Vielvölkerstaat, doch diverse Krisen ließen ihn – der als Adeliger die Massen verachtete und nicht einmal ein Radio in seiner Wohnung duldete – gemeinsam mit seinem Freund, den Maler und Schriftsteller Albrecht Paris Gütersloh, 1933 in die NSDAP beitreten. Just als sich in Österreich gerade der Austrofaschismus etablierte und die Nazis verboten wurden. Doderer erhoffte sich bessere Möglichkeiten bei deutschen Verlagen und er schaffte es dann auch tatsächlich, Autor von C. H. Beck in München zu werden. Natürlich musste er dafür auch in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen werden. Noch vor dem Krieg wurde freilich eine andere Bewegung für ihn viel wichtiger, zumal ihn die Nazis in ihrer tatsächlichen Herrschaft zunehmend widerlich wurden. Er trat als evangelischer Christ zum Katholizismus über und las mit Begeisterung die Schriften des mittelalterlichen Dogmatikers Thomas von Aquin. Ausgerechnet, denn Aquin schuf auch die Grundlagen für den so fatalen Hexenglauben – ein Hexenprozess kommt später auch in Doderers „Dämonen“ vor. Aber bald folgte sowieso seine Einberufung in die Wehrmacht. Doderer musste an viele Kriegsschauplätze, wenn auch nicht in vorderster Front – als Offizier soll er seine Mannschaft immer geschont haben. Bei Kriegsende wurde er in Norwegen gefangen genommen.

Sein NSDAP-Zwischenspiel wirkte sich nach dem Krieg dann äußerst ungünstig auf den noch immer um Anerkennung Ringenden aus. Es kostete ihm viel Zeit und Geld als unbelastet eingestuft zu werden. Der österreichische PEN, der ihn später für den Nobelpreis vorschlug, lehnte zweimal seine Mitgliedschaft ab. Doderer hatte zeitlebens viele jüdische Freunde und sogar Förderer. Nach dem Krieg verkehrte er etwa mit Hans Weigel und Hilde Spiel und selbst der in Sachen verdrängter Geschichte des Nazitums sehr sensible Helmut Qualtinger wurde zu einem Saufkumpan.

Erfolg

Das Erscheinen der „Strudlhofstiege“ 1951 änderte schließlich alles für ihn. Er wurde mit Ehren überschüttet und überall eingeladen, sein Underdog-Schicksal war Geschichte. Als 1956 „Die Dämonen“ herauskamen, war der Nobelpreis für ihn in Griffweite, denn erstaunlicherweise wurde das fast 1400-Seiten-Werk auch in andere Sprachen übersetzt – dabei ist ein sehr langes Kapitel in Mittelhochdeutsch geschrieben. Doch ein – natürlich anonymer – Brief im Umkreis des österreichischen PEN machte das Nobelpreiskomitee dezidiert auf Doderers NSDAP-Mitgliedschaft aufmerksam.

In den letzten Jahren seines Lebens schrieb Doderer an seinem Roman No7 – in Anlehnung an Beethovens 7. Symphonie, seinem Lieblingsstück, sollte dieses Werk vier Bände (Sätze) haben. Nur der erste – „Die Wasserfälle von Slunj“ – konnte vollendet werden und erschien 1963 als eigener Roman. Zwischendurch verfasste Doderer auch das „Schelmenstück“, seinen Roman „Die Merowinger oder Die totale Familie“. 1966 starb er – kurz nach seinem 70. Geburtstag – an einem zu spät erkannten Darmkrebs. Seine behandelnde Ärztin, die sich um das Begräbnis kümmerte, verhinderte das Abspielen des 2. Satzes der A-Dur Symphonie – der letzte Wunsch des Autors – weil sie das Werk als zu weltlich empfand.

Sein Biograf Wolfgang Fleischer – er starb 2014 – hatte sich später zu einem anerkannten Experten für Feuchtbiotope entwickelte und Seerosen gezüchtet.


INFO
Facebook.com/D-Day für Doderer

Zeit für ein Gedicht – Mit der poesiegalerie gibt es endlich eine Plattform für Lyrik

Frieda Paris, Sara Schmiedl & Hannah Bründl beim „Fest der Poesie“ 2022. – ©poesiegalerie

Eigentlich sind Gedichte die ideale Literaturform für heute: Schnell konsumierbar wären sie ideal für Social Media-Kanäle und endlich einmal ein intelligentes „Futter“ für Smartphones. Allein: die Zahl der Lyrik-Fans scheint überschaubar – Verlage trauen sich kaum, Lyrik zu veröffentlichen, denn die Verkaufszahlen sind in der Regel niedrig. Deshalb sind private Initiativen so wertvoll.

In Wien gibt es seit 2018 die poesiegalerie (www.poesiegalerie.at). Initiiert von Udo Kawasser will sie ein Podium für die Präsentation der Vielfalt zeitgenössischer Lyrik in Österreich sein und als Forum für Information, Austausch und Vernetzung fungieren. Die poesiegalerie wird vom Verein „poesiegalerie. verein zur förderung der zeitgenössischen dichtkunst“ getragen, zu dessen Gründungsmitgliedern im Jänner 2019 auch Peter Clar und Monika Vasik zählten.

Die Ziele der poesiegalerie sind Öffentlichkeit, die größere Wahrnehmung österreichischer Lyrik und eine breitere Auseinandersetzung mit Poesie.

Neben dem Online-Auftritt www.poesiegalerie.at ist die poesiegalerie auch auf Facebook, Twitter, Instagram und Youtube präsent.

Mehrmals wöchentlich wird in der Rubrik Ausgestellt ein Gedicht von heute vorgestellt. Es sind Texte aus dem aktuellen Schaffen österreichischer Lyriker*innen bzw. von Autor*innen, die in österreichischen Verlagen publizieren. Anlassbezogen wird auch über die Grenzen Österreichs hinausgesehen. Es gibt Besprechungen von Lyrikbänden, sowie  Werkstattgespräche und Interviews.

Die poesiegalerie gibt zudem Schreibimpulse und lädt die Lyrik-Community ein, sich mit vorgegebenen Themen auseinanderzusetzen.

Außerdem findet jährlich im Herbst an drei aufeinanderfolgenden Abenden ein „Fest der Poesie“ statt, wo auch Newcomern eine Bühne geboten wird. Es ist Zeit für ein Gedicht!