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Theater in der Plastikwelt – Zak Zarafshans Queer-Komödie „The Boys Are Kissing“ im Volkstheater

Willkommen in der Plastikwelt: Über die ganze Bühne zieht sich ein zum Rasen aufgeblasener Teppich und am Beginn schälen sich die vier Nachbarn aus ihren kleinen Luftpolsterhäuschen. Wir sind in einer britischen Kleinstadt, wo sich Admira und Cloe – anders als in London – ein Häuschen leisten können und mit Matt und Sarah nebenan das Kleinstadtidyll leben wollen. Hätten sich nicht ihrer beiden Söhne am Schulhof geküsst… Natürlich erinnert man sich da an Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“, wo eine Rauferei zwischen Buben dann bei den Eltern eskaliert.

Aber „The Boys Are Kissing“ des britisch-iranischen Autors Zak Zarafshan spielt geschickt mit Klischees und Regisseurin Martina Gredler sowie Sophie Lux (Bühne) und Moana Stemberger (Kostüme) haben dafür das perfekte optische und dramaturgische Setting gefunden. Die Figuren – auch zwei Engel und stumm auch die beiden Buben spielen mit – können problemlos hinfallen und wieder aufwippen, denn alles ist mit Luft gefüllt. Heiße Luft ist es schließlich auch, was die konservativen Wächter der Moral (Elternbeirat!) nach diesem Nicht-Ereignis am Schulhof von sich geben. Als dann plötzlich ein Geburtstagsfest, zu dem einer der beiden Freunde nicht willkommen ist in einem Desaster endet, droht sich das komplette Idyll in Luft aufzulösen. Die Szenen laufen dabei fast wie bunte TikTok-Videos ab. Für eine Komödie bekommen wir aber trotzdem ganz schön viel Konfliktpotential mit – das lesbische Paar kämpft ebenso mit sich kreuzenden Lebensentwürfen wie die Heteros mit ihren Vorurteilen. Als Helfer und Richter fungieren die beiden queeren Engel (Nick Romeo Reimann und Luca Bonamore), die zu Publikumslieblingen aufsteigen, zumal sie auch singen dürfen. Wirklich gut spielen aber sowieso alle. Das Premierenpublikum spendete zurecht den längsten Applaus seit langem im Volkstheater.

Foto: Marcella Ruiz Cruz

Infos & Karten: volkstheater.at

Neue Ära am Volkstheater mit Jura Soyfer und Michael Haneke

Nur 26 Jahre alt war der in Russland geborene, aber in Wien sozialisierte Autor Jura Soyfer, als er 1939 im Nazi-KZ Buchenwald an Typhus starb. In den 70er- und 80er-Jahren wurde er als linker Nachfahre von Johann Nestroy viel gespielt, ein „Jura-Soyfer-Theater“ zog etwa durch die Wiener Gemeindebauten. Sein interessantes Romanprojekt „So starb eine Partei“ blieb leider nur Fragment. Aktuell ist es aber sehr still um ihn geworden. Der neue Volkstheater-Direktor Jan Philipp Gloger beginnt jetzt mit einer Fassung aus mehreren Soyfer-Stücken – „Weltuntergang“, „Astoria“, „Vineta“ – sowie einigen Einzelszenen seine erste Saison. Eine gute Wahl für ein Volkstheater, man kokettiert gleich am Anfang mit dem „armen Theater“, die Bühne beherrscht die Raumkapsel aus dem Weltuntergang, die aufklappbar zur Theaterpawlatsche werden kann. Das spielfreudige Ensemble – Andrej Agranovski, Alicia Aumüller, Tjark Bernau, Maximilian Pulst, Sissi Reich, Samouil Stoyanov, Kostia Rapoport – agiert beherzt zur Freude des Publikums. Soyfers berühmtes „Lied von der Erde“ („Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde, Voll Leben und voll Tod ist diese Erde, In Armut und in Reichtum grenzenlos“) bildet die Klammer zu dieser kurzweiligen Inszenierung, die nur wenig Längen hat.

Am Samstag feierte das neue Volkstheater-Team einen Tag der offenen Tür und erlebte einen Besucheransturm und am Sonntag hatte dann die Bühnenadaption von Michael Hanekes Film „Caché“ in einer Inszenierung von Felicitas Brucker Premiere – ein wahres Kontrastprogramm, denn im Film verschwimmen ja die Realitätsebenen. Doch der Abend gelingt nicht zuletzt durch die geschickt eingesetzten Mittel –  auf mehreren Ebenen werden Videos gespielt, die Bühne ist gleichzeitig Projektionsleinwand. Es geht ja um eine Familie, die plötzlich anonym Videokassetten erhält, auf denen ihr Haus und sie selbst von außen zu sehen sind. Als der Vater dem Verdacht nachgeht, sie könnten von jemandem stammen, den er als Kind aus der Familie gemobbt hatte – der Sohn der plötzlich verstorbenen Bediensteten, kippt die Story in eine Art Kriminalfall. Der vom Vater zur Rede gestellte Mann streitet glaubhaft alles ab, begeht aber dann vor dessen Augen Selbstmord. Das Rätseln über die Motive aller Figuren wird immer bedrückender. Nur vier DarstellerInnen braucht der Abend (Bernardo Arias Porras, Sebastian Rudolph, Johanna Wokalek und Moritz Grossmann). Allesamt spielen großartig nüchtern – Burgtheater-Publikumsliebling Johanna Wokalek kehrt damit nach Jahren in Deutschland wieder nach Wien zurück. Auch hier setzte der begeisterte Applaus des Premierenpublikums ein.

Infos & Karten: volkstheater.at

Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ wird zum Hit im Burgtheater

Was 1974 geschah, als Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ erschien, lässt sich heute kaum mehr nachvollziehen. Klar, der Text ist eine Abrechnung mit den Praktiken der deutschen Boulevardpresse, unter der der Autor auch selbst stark leiden musste – in der Erzählung ist von DER ZEITUNG die Rede, aber jeder wusste, dass BILD gemeint war. Die Springer-Presse rotierte, sogar der Bundespräsident verurteilte Böll und machte sich selbst zum Gespött, weil er Namen verwechselte und offenbar das Buch nicht gelesen hatte. 3 Millionen erreichte die Auflage des Buches…

Dabei erzählt Böll ziemlich nüchtern anhand von Gerichtsprotokollen die Geschichte der fiktiven Katharina Blum, die auf einer Party einen Mann kennenlernt, der sie am nächsten Morgen wieder verlässt. Was sie nicht weiß: der Liebhaber ist Terrorist und gesucht wegen Raubüberfalls und steht schon längst unter polizeilicher Beobachtung. Sie wird verhört und bereits am nächsten Tag in der Zeitung als Terroristenflittchen verunglimpft. Ein Rufmord, der tagelang weitergeht. Bis Blum den Redakteur zu einem Interview lockt und erschießt. Seine letzten Worte waren „Ich schlage vor, dass wir jetzt erst einmal bumsen?“

Das Burgtheater spielt jetzt die Theaterfassung von Bastian Kraft (eine Übernahme aus Köln, als Burgchef Bachmann dort Direktor war). Der dichte Theaterabend braucht dabei nur 3 – allerdings grandios agierende – Schauspielerinnen, nämlich Lola Klamroth, Rebecca Lindauer und Katharina Schmalenberg, die gleichzeitig in diversen Rollen 3 riesige Videowände bespielen. Der Text wird aber fast immer live gesprochen. Das entwickelt einen enormen Sog, die Protokolle werden dadurch auf wundersamer Weise lebendig. Nun kann man Böll natürlich den Vorwurf nicht ersparen, seine Personen allzu klischeehaft angelegt zu haben. Und was damals die BILD sind heute die – sicher nicht besseren – sozialen Medien. Aber es ist interessant, dass ein derart mit seiner Entstehungszeit verschränkter Text auch heute noch funktioniert. Das könnte ein Theaterhit werden wie der Premierenapplaus vermuten lässt.

Foto: Tommy Hetzel/Burgtheater

Infos & Karten: burgtheater.at

Karl Kraus im Burgtheater und Daniel Kehlmann in den Kammerspielen

Dušan David Pařízeks Fassung von Karl Kraus „Die letzten Tage der Menschheit“ ist nach der Premiere bei den Salzburger Festspielen jetzt im Burgtheater zu sehen. 220 Szenen mit gut tausend Figuren – Karl Kraus (1874–1936) war klar, dass das nicht komplett gespielt werden kann. Der jetzt dreieinhalbstündige Abend ist trotzdem vielschichtig, bietet dem Publikum einige reißerische Szenen und Manches zum Nachdenken. Zum Mittelpunkt wird die Figur der berüchtigten Kriegsberichterstatterin Alice Schalek, die von Marie-Luise Stockinger verjüngt und mit burschikosem Haarschnitt und mit einer Kamera bewaffnet als Netzreporterin gespielt wird. Absolut sehenswert. Auch die anderen Darsteller – Michael Maertens, Dörte Lyssewski, Felix Rech, Elisa Plüss, Branko Samarovski und Peter Fasching können ihr Potenzial entfalten. Letzterer spielt auch live Musik mit vielen Instrumenten. Am Schluss verwirrt man das Publikum eine halbe Stunde lang mit mehreren Abschiedsszenen samt Vorhängen. Aber es ist halt so: Zum Krieg ist das Schlusswort leider noch immer nicht gesprochen.  

Ein Stück über Corona, jetzt, wo alle froh sind, sich nicht mehr daran erinnern zu müssen – Daniel Kehlmann hat noch während der ersten Monate der Pandemie Szenen geschrieben, aber Direktor Föttinger wollte sie erst viel später aufführen, wie aus einem im Stück auch vorgelesenen Brief hervorgeht. Nun, er hatte recht: Heute sieht man vieles als Kabarett, was damals normal war. Da werden nicht in Niederösterreich gemeldete Wiener aus ihrem eigenen Haus zurück in die Stadt getrieben, man blickt argwöhnisch auf die Nachbarin, weil die mehrmals am Tag das Haus verlässt, ein Polizist belangt einen Mann, der allein auf einer Bank ein Buch liest und Sicherheitskräfte genießen endlich ihre Minuten der absoluten Macht. Corona zeigte uns, dass auch in mutmaßlich lupenreinen Demokratien Machtgier schlummert und Bürgerrechte nicht selbstverständlich sind. Raphael von Bargen, Robert Joseph Bartl, Katharina Klar, Alexandra Krismer, Julian Valerio Rehrl und Ulrich Reinthaller zeigen Spiellust, Stephanie Mohr hat professionell inszeniert. Im zweiten – wesentlich später geschriebenen – Teil, sehen wir einen recht unsympathischen Schauspieler (Raphael von Bargen) in Hotelquarantäne, der offensichtlich durchdreht. Das Armageddon der modernen Zeit ist real geworden: es gibt kein Internet! Bis ein Obdachloser auftritt sind wir in seinem Kopf gefangen – aber Kehlmann zerstört damit diese Interpretation und lässt dann Tote auftreten. Das wirkt ein wenig unausgegoren.

Foto Kammerspiele: Moritz Schell

Endlosschleife Patriachat – „Kitty“ von Satoko Ichihara bei den Wiener Festwochen

Ein Theaterabend wie eine Gehirnwäsche: Schon die fast andauernd laufende Teletubbies-Musik macht betrunken, aber das Gezeigte setzt da noch einen drauf. Ein Mädchen taumelt durch den Familienalltag, die harmlose Kindchen-Erzählerstimme kommt aus dem Off, Papa und Mama haben groteske Katzenmasken auf und benehmen sich stereotyp. Denn Papa will dauern Fleisch essen, Mama ekelt davor. Der Patriarch schreckt auch vor Vergewaltigung nicht zurück, um sein Recht durchzusetzen. In der Küche blinkt und surrt es wie in einem Casino.  

Die japanische Theatermacherin Satoko Ichihara schickt in „Kitty“ – nach der besonders bei Kindern beliebte Comicfigur „Hello Kitty“ – ihre Protagonistin durch alle Höllen, in denen Frauen ausgebeutet und geknechtet werden. Die Protagonistin ist als einzige ohne Maske, ihr begegnen als Empfangsdame, Pornodarstellerin und Prostituierte andauernd Männer in absurd-niedlichen Kostümen – eine Horrorshow des Patriachats. Ihre Devise: immer nur freundlich lächeln, die japanische Tugend, die wohl nur für Frauen gilt. Im Rahmen der Geschichte verliert sie ihr geliebtes Kätzchen Charmy, formt sie einen „Fleisch-Mensch“ und bricht gar ins Weltall auf. Nur vier Darstellerinnen schaffen die Comic-Handlung – Sung Soo-yeon, Yurie Nagayama, Birdy Wong Ching Yan, und Yuka Hanamoto –, eine wahrlich gigantische Leistung, die vom interessierten Publikum auch mit viel Applaus belohnt wird. Am Ende sieht man sie alle maskenlos – da bieten sie in Werbefernsehmanier Schlüsselanhänger von allen im Stück aufgetretenen Figuren an.

www.festwochen.atFoto: Toshiaki Nakatani

Brecht als Bildgeschichte: Festwochen-Gastspiel von „Moeder Courage“

Die Bühne beherrscht eine riesige Kugel (Welt- oder Kanonen–?), die die Darsteller schwach von hinten beleuchtet durch ein Wasserbassin ziehen. Hat der Weltuntergang schon stattgefunden und ist irgendwie kosmisch?

Lisaboa Houbrechts im Februar 2025 am Toneelhuis Antwerpen / KVS Brüssel herausgebrachte Version von Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ setzt zuerst ein optisches Statement. Und dann erst ein theatralisches. Die junge belgische Regisseurin lässt Brechts Text in großer Geschwindigkeit und mit wenig Emotionen sprechen. Das hat Sinn, denn auch Brecht begriff den Krieg – bei „Mutter Courage“ den Dreißigjährigen – als Geschäft und die Courage (Laetitia Dosch) erst recht. Sie lebt vom Krieg – angeblich um ihre 3 Kinder zu retten, die sie natürlich trotzdem nach und nach verliert – und fürchtet sich vor dem geschäftsstörenden Frieden. Genug Stoff, um an heutige Konflikte zu denken. Die Brutalität der Kriegsdialektik wird offengelegt. Doch Brecht wusste auch, dass er sein Publikum unterhalten musste, um es aufzuklären. Das wird bei dieser Inszenierung leider vergessen – nicht wenige Zuseher verließen schon nach wenigen Minuten die Halle. Dass auf Französisch und Niederländisch gespielt wird, kommt erschwerend dazu. Aber immerhin ein Versuch, Brechts erfolgreiches Kriegsdrama neu zu interpretieren, wie das dann doch am Ende dankbar applaudierende Publikum wohl auch fand. (Foto: Kurt Van Der Elst)

Was wäre wenn… Wajdi Mouawads „Die Wurzel aus sein“ im Akademietheater

Foto: ©Tommy Hetzel

Schriftsteller, zumal Romanciers, müssen quasi aus Berufsgründen vom Schicksal besessen sein. Ihr Job ist es ja, sich Lebensentwürfe auszudenken. So schrieb der im Vorjahr verstorbene Paul Auster mit „4321“ einen 1000-Seiten-Roman, in dem er vier verschiedene Schicksale eines 1947 geborenen Jungen ausbreitet. Im Akademietheater sehen wir jetzt etwas Ähnliches auf der Bühne. Der libanesische Autor Wajdi Mouawad beschreibt in „Die Wurzel aus sein“ fünf Versionen des Lebens von Talyani Waqar Malik, dessen Eltern vor der Frage standen, ob und wohin sie vor dem Krieg im Libanon fliehen sollen. Einmal bleibt Malik in Beirut, einmal wird er Neurochirurg in Rom, einmal ein Künstler in Quebec, einmal Taxifahrer in Paris und einmal ist er ein Mörder, der in einer Todeszelle in Texas auf seine Hinrichtung wartet. Das Ganze hat einen persönlichen Hintergrund, denn Wajdi Mouawads Vater schickte den Bruder zum Flughafen, um die nächste Maschine nach Rom oder Paris zu buchen, um die Familie in Sicherheit zu bringen. Es wurde Paris, aber es hätte auch anders kommen können…

Im Stück sind wir am Tag der verheerenden Explosion eines Chemielagers im Hafen von Beirut 2020. Wajdi Mouawad hat viel zu erzählen in diesem doch sehr epischen Drama, das im Akademietheater dreieinhalb Stunden dauert, dank der geschickten Regiekunst von Stefan Bachmann und seinen beeindruckenden Schauspielern aber trotzdem sehr kurzweilig geriet.

Denn wir lernen natürlich auch die jeweiligen Familien Maliks – sehr präsent gespielt von Thiemo Strutzenberger – kennen und alle haben natürlich ihre Eigenheiten, die aufzuzählen hier den Rahmen sprengen würden. Es ist ein bisschen wie in einer sehr guten TV-Serie, man bekommt Charaktere zum Lieben und Ablehnen, manche versteht man, andere nicht. Olaf Altmann genügen als Bühne dunkelgraue Wände, die sich magisch verschieben, die Darsteller brauchen kaum mehr als bisweilen einen Tisch und einen Stuhl, wir eilen immer wieder durch Orte und Zeiten. Am Ende wollen die Hiergebliebenen die ganze Familie nach Beirut einladen, wo ein ganzes Viertel in Schutt und Asche liegt. Ein Abend der maximal unterhält.

Infos und Karten: burgtheater.at

 „Ever Given“ am Volkstheater, „Der Revisor“ im Akademietheater und „Akins Traum“ an der Burg

Bild: ©Tommy Hetzel

Nach drei Abenden hintereinander an drei Wiener Bühne stellen sich Ermüdungserscheinungen ein – und das liegt nicht nur an den Bestuhlungen.

Freitags am Volkstheater: „Ever Given“, eine „Kipp-Punkt-Revue“ von Helgard Haug und Rimini Protokoll. Haugs Arbeit zum Verschwinden eines Flugzeuges („All Right. Good Night“) war wirklich spannendes Doku-Theater, doch diesmal wirkt ihr Konzept nicht schlüssig. Es sollte um die wochenlange Blockade des Suezkanals nach der Havarie des Containerschiffs ”Ever Given“ gehen. Der globale Stillstand der Handelsströme wird von der Metapher zur Realität. Doch Haug mischt das mit Geschichten von Migration und persönlichen Schicksalsschlägen. Das mag alles interessant sein – die nur über Video eingespielte Beschreibung einer Frau, die über ihr Stottern erzählt, ist sogar sehr witzig –, es mangelt aber an einer gedanklichen Klammer. Und die Live-Musik macht es diesmal auch nicht besser.

Am Samstag dann Nikolai Gogols Komödienklassiker „Der Revisor“ aus dem Jahr 1835 im Akademietheater. Regisseur Mateja Koležnik versetzt das zweifelsohne noch immer aktuelle Stück über eine Kleinstadt, die einen faulen kleinen Beamten, der auf zu großem Fuß lebt, für einen Revisor hält, in ein Ambiente von Kaltem Krieg und Realsozialismus. Alle sind korrupt, das Gemeinwohl wird mit Füßen getreten. Die Gemeindediener führen einen artistischen Tanz auf, um den Status Quo zu verschleiern – das bringt einen grotesken Drive in den Abend. Andrea Wenzl und Lola Klamroth setzen als schrille Mutter und gestörte Tochter des Bürgermeisters noch einen drauf. Es gibt sehr unterhaltsame Szenen, Tim Werths als vermeintlicher Revisor mit Oberschüler-Charme ist ebenso gerissen wie eitel. Eine solide Arbeit, vielleicht hätte man sich im Kafka-Jahr aber doch mehr Hinweise auf das Parabelhafte dieser Komödie gewünscht.

Sonntag dann im Burgtheater: „Akins Traum vom osmanischen Reich“, ein fürs Schauspiel Köln geschriebenes Stück des 1991 in Essen geborenen Autors Akın Emanuel Şipal, das der Burg-Chef Stefan Bachmann jetzt an seinem neuen Haus zeigt. In Köln soll es ja sehr erfolgreich gewesen sein, in Wien wirkt das ganze zumal auf der großen Bühne dann doch sehr dünn. Anhand der Identitätskrise des Autors wird die Geschichte des osmanischen Reichs im Schnelllauf aufgearbeitet – immerhin standen die Osmanen ja auch zweimal in Wien, wie man bei uns schon in der Volksschule lernt. Nun, Mehmet Ateşçi als Erzähler und Alter Ego des Autors ist durchaus sympathisch und ein paar Gags – wie der Kampf um die immer wieder von ihm vergessenen Feuchttücher für seine Kinder – locken den Abend auch auf. Doch die historischen Szenen beginnen schnell zu ermüden, zumal ihnen auch die historische Reflexion fehlt.


volkstheater.at

burgtheater.at

September – Arnold Schönberg Uraufführung „UND PIPPA TANZT!“ in der Galerie bel etage

Foto: Arnold Schönberg Center, Wien, Schönberg 1907, im Hintergrund Mathilde Schönberg

Wienlive-Mitarbeiter und Kolumnist Otto Brusatti präsentiert im Schönberg-Gedenkjahr (150. Geburtstag am 13. September) ein vergessenes Fragment mit einem hochkarätigen Ensemble:  UND PIPPA TANZT!

Aus den überlieferten Skizzen Schönbergs zu einem Musik-Bühnenstück nach dem Märchendrama in 4 Akten „UND PIPPA TANZT!“  von Gerhart Hauptmann.

Neu eingerichtet als vielfältiges Musik-Kammerspiel für 6 SolistInnen (im expressiven Naturalismus des beginnenden 20. Jahrhunderts, sowie aus Schubert und bis in die Jetztzeit)

Musik: Trio Stippich (Maria/Helmut/David) und Otto Brusatti (auch Gestaltung und Sprechrollen), Schauspiel: Julia Prock-Schauer, Tanz: Elisabeth Kneissl

Schönberg hinterließ Entwürfe; aber: kombiniert mit Musik zwischen Schubert und Aktuellem wird erstmals ganz „Neue Musik“ der überraschenden Art geschaffen!

Theatralisch: ausgerissen, absurd-realistisch, in Bewegung, ein andres Musiktheater …
Inhaltlich: (ACHTUNG) weiterhin aktuell mit Brutalem, Süßem, Aggressivem, Frauenverachtendem …

12. September, 19 Uhr
Galerie bel etage Kunsthandel
Mahlerstraße 15, 1010 Wien

Eine Anmeldung für die Performance und Uraufführung um 19 Uhr ist unbedingt erforderlich unter:
office@beletage.com  oder  schoenberg.pippatanzt@gmail.com

Yasmina Rezas „James Brown trug Lockenwickler“ in den Kammerspielen

Szenebild aus „James Brown trug Lockenwickler“ – ©Moritz Schell

Die Französin Yasmina Reza kennt man als scharfe und witzige Chronistin unser westlichen Mittelstandsgesellschaft. In „Der Gott des Gemetzels“ treffen etwa zwei Familien, deren Kinder körperlich aneinandergeraten waren, zu einem Versöhnungstreffen aufeinander, was natürlich gründlich schiefgeht. Das Stück wurde auch von Roman Polański höchst erfolgreich verfilmt. In der neuen, erst im Vorjahr in München uraufgeführten Komödie „James Brown trug Lockenwickler“ geht es wieder um eine Familie und deren Sohn. Dieser hält sich seit seinem fünften Lebensjahr für den kanadischen Superstar Céline Dion. Das Stück spielt in einer psychiatrischen Einrichtung – in den Kammerspielen ist man da gleich in einer Art weißen Gummizelle (Bühnenbild: Sabine Freude). Jacob/Celine, gespielt von Julian Valerio Rehl, ist fast in allen Szenen anwesend, oft aber nur stummer Beobachter.  Regisseurin Sandra Cervik unterstreicht das Märchenhafte der Geschichte, denn alle Figuren wirken von der Autorin stark überzeichnet. Die Psychologin (Alexandra Krismer) ist mit ihrem seltsamen Verhalten geradezu das Klischee ihrer Zunft. Was dieser Komödie allerdings abgeht ist ein klarer Konflikt, denn Reza stellt sich keinesfalls der heutigen Identitäts-Problematik. Dass sich Jacob als Frau fühlt, ist zwar für die Eltern nicht angenehm, würde aber wahrscheinlich sogar der konservativen aber unsichere Vater (Juergen Maurer) irgendwie schlucken. Sein insistieren, Céline Dion zu sein, ist allerdings wirklich ein psychischer Defekt, den man mit dem Recht auf die eigene Identität schwer verteidigen kann. Der einzige Freund, der Jacob in seiner Rolle akzeptiert, ist ausgerechnet ein junger weißer Mann, der sich für einen Schwarzen hält. Manche würden das als sozio-kulturelle Aneignung empfinden…

In den Kammerspielen gehen die gut anderthalb Stunden Spiel durch die Professionalität des Ensembles – Maia Köstinger spielt die ratlose Mutter – sehr kurzweilig vorbei. Am Ende bricht die hintere Wand der Zelle weg und Jacob steht glücklich im Sternenhimmel. Na schön, Wohlfühlstücke sind ja heute eh rar.


Infos & Karten: josefstadt.org