Dystopien – also düstere Science-Fiction meist nach einer globalen Katastrophe spielend – sind der neue Zeitroman. Sehr viele aktuelle Bücher spielen in einer Zukunft, die so fern nicht scheint, die wir aber nicht erleben wollen. So auch der neue Roman von C Pam Zhang, dessen Titel „Wo Milch und Honig fließen“ eher das Gegenteil vermuten ließ. Denn wir befinden uns da in einer Welt, die nach einem Supergau in der Landwirtschaft, von einer Smogwolke bedeckt ist. Nur noch sehr genügsame Pflanzen wachsen in der dunklen Atmosphäre, die Menschen ernähren sich hauptsächlich von Mungomehl, einer grauen Pappe.
Eine junge, amerikanische Köchin heuert – gestrandet in Europa nach dem Einreiseverbot in die USA – bei einer Forschungsgruppe um einen geheimnisvollen Millionär auf einem Berg nahe Mailand an, weil sie schon seit Monaten kein frisches Grün mehr essen konnte. Denn oben im Gebirge ist man über dem Smog – die Wissenschaftler züchten alles, was es auf der Erde schon lange nicht mehr gibt. Mehr noch – der reiche Betreiber der Kolonie ist von seinen noch reicheren Sponsoren abhängig, denen er jede Woche ein opulentes Menü aus exquisiten Lebensmitteln servieren muss. Die Köchin ist zwar weit nicht so gut wie sie behauptet hat, sie hat jedoch einen wichtigen Bonus: sie sieht der verschwundenen asiatischen Frau des Magnaten ähnlich und soll sich bei den Dines im Seidenkleid als seine Frau ausgeben. Aber weil sie sich in dessen Tochter, einer exzentrischen Forscherin, verliebt, bleibt sie vorerst im „Land, wo Milch und Honig fließen“.
C Pam Zhang, 1990 in Peking geboren, wuchs in den USA auf und wurde 2020 mit ihrem Debütroman, den fulminanten Western „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ berühmt. Ihr neuer Roman liest sich etwas sperriger, aber durchaus ebenso gut. Ihre Köchin ist durchaus ein interessanter Charakter, auch die Tochter des Magnaten ist gut gezeichnet. Die Superreichen bleiben im Gegensatz dazu leider etwas flach.
Der Roman ist freilich durchaus eine realistische Beschreibung möglicher Zukunftsperspektiven. Der Ausbruch eines Supervulkans (unter dem Yellowstone Park oder im Atlantik bei den Kanaren befinden sich derartige), der ähnliche Auswirkungen wie der beschriebene Smog zeigen würde, ist ja denkmöglich. Gespenstisch sind C Pam Zhangs Schilderungen der Besuche der Köchin im darbenden Mailand samt tödlichem Unfall. Die längst vom Einheitsbrei abgestumpften Gaumen der Kinder finden den Geschmack eines Apfels nur noch widerlich. Wer denkt da nicht an die heute grassierende Fast-Food-Unkultur.
https://wienlive.at/wp-content/uploads/2024/03/MilchBB.png11001800Helmut Schneiderhttps://wienlive.at/wp-content/uploads/2021/03/Bildschirmfoto-2020-04-15-um-14.31.27-1-300x138.pngHelmut Schneider2024-03-29 09:28:332024-03-29 09:28:35Essen nach der Katastrophe – C Pam Zhangs Roman „Wo Milch und Honig fließen“
Ein großes Zeichen für das Lesen: Heuer gab es beim österreichischen Vorlesetag mehr als doppelt so viele Anmeldungen wie im Vorjahr.
Mit rund 9.000 Lesungen an einem Tag – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr – brach der österreichische Vorlesetag gestern am 21. März alle Rekorde. Zahlreiche Prominente aus Politik, Kunst und Kultur lasen in ganz Österreich vor und sorgten so für ein buntes und abwechslungsreiches Vorleseprogramm unter dem Motto „Lesen. Deine Superkraft“.
Der Österreichische Vorlesetag 2024
Mit dabei waren unter anderem der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, Bildungsminister Martin Polaschek, Schauspieler und Regisseur Michael Schottenberg, die TV-Moderatorinnen Barbara Stöckl und Arabella Kiesbauer, Boxer Marcos Nader, Dompfarrer Toni Faber und viele mehr. Gemeinsam mit allen Unterstützer:innen ist es einmal mehr gelungen, auf die Bedeutung des Vorlesens aufmerksam zu machen und die Freude am (Vor-)Lesen zu wecken.
Am Österreichischen Vorlesetag um 10 Uhr schien die Zeit still zu stehen: Denn im ganzen Land wurde zugehört und vorgelesen. Mit mehr als 8.600 Lesungen an nur einem Tag wurden gestern alle Rekorde gebrochen und gezeigt, wie groß die Bereitschaft der Menschen in Österreich ist, das (Vor-)Lesen zu fördern und die Freude am Lesen wieder zu wecken, um allen Kindern bessere Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Damit sind die Weichen für die kommenden Jahre gestellt. Denn Lesen ist der Grundstein für unsere Kultur, für eine gute Ausbildung und einen erfolgreichen Berufsweg. „Wir sind überwältigt vom diesjährigen Erfolg und bedanken uns bei allen, die uns unterstützt und mit uns gemeinsam die größte Vorlesegemeinschaft Österreichs aufgebaut haben. Unsere Vision ist es, möglichst viele Menschen für das Vorlesen zu begeistern, und es hat sich wieder einmal gezeigt, wie sehr sich die Anstrengungen lohnen“, freut sich Werner Brunner, Mitinitiator des Österreichischen Vorlesetags und Herausgeber des Vorlesebuchs.
Von Tandemlesen, Book-Dating, Kamishibai-Erzähltheater bis zu Lyrikwanderungen
Der Kreativität waren am Österreichischen Vorlesetag keine Grenzen gesetzt: Ob jung oder alt, ob privat oder öffentlich, im eigenen Wohnzimmer oder an einem speziellen Ort: Menschen in ganz Österreich organisierten kreative Leseaktionen und luden unter anderem zum Tandemlesen, Book-Dating, Kamishibai-Erzähltheater, zu Lyrikwanderungen durch Weingärten, zur mystischen Lesenacht, zum gemeinsamen Kochen mit Küchensprüchen und zum Lesekino ein. Schulen verwandelten sich in Lesecafés, Texte in verschiedenen Sprachen sowie aus diversen Literaturwettbewerben wurden zum Besten gegeben und Märchen aus aller Welt entführten die Zuhörer:innen in das unendliche Reich der Fantasie.
Neben den regionalen Programmhighlights erfreute sich der Österreichische Vorlesetag auch vieler prominenter Unterstützer:innen. Vorlesen hat Vorbildwirkung: Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig lud auch in diesem Jahr Volksschulkinder ins Wiener Rathaus ein und las ihnen aus Wiener Sagen vor. Weitere Lesungen fanden unter anderem im Bildungsministerium mit Bildungsminister Martin Polaschek, im Prater mit Wiesn-Kaiser Johann I. und in der Volksschule Judengasse mit Dompfarrer Toni Faber statt. Zum Ausklang des erfolgreichen Tages lasen die österreichischen Schriftsteller:innen Ursula Heinrich aus „Mord im Astoria“ und Thomas Sautner aus „Nur zwei alte Männer“ sowie Autor, Schauspieler und Regisseur Michael Schottenberg aus „Vom Entdecken der Welt“ auf der Summer Stage vor.
Am Vormittag wurden außerdem Lesungen von Bildungsminister Martin Polaschek, Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm, Bildungsdirektor Heinrich Himmer, Präsident des Pensionistenverbandes Peter Kostelka, Vorstandsdirektorin der Wiener Städtische Versicherung Doris Wendler, den TV-Moderatorinnen Barbara Stöckl und Arabella Kiesbauer und Schauspieler Hans Sigl auf der Website des Österreichischen Vorlesetags freigeschaltet.
Das Bundesministerium war dieses Jahr Schauplatz mehrerer Lesungen: Dort lasen Bundesminister Martin Polaschek aus „Kleine und große Wunder der Natur“ von Gabby Dawnay, Boxer Marcos Nader aus „Liebesgeschichten vom Franz“ von Christine Nöstlinger, Miss Europe Beatrice Turin aus „Reisen Reisen: Wie wir die Welt entdecken wollen“ von Michael Dietz und Jochen Schliemann, der Präsident des Niederösterreichischen Gemeindebundes Johannes Pressl aus „Schau durchs Fenster“ von Katerina Gorelik und die Autorin Lena Raubaum aus ihrem Werk „Mit Worten will ich dich umarmen“ für Volksschulkinder aus Neusiedl vor.
Am Vormittag besuchten zudem Volksschulkinder den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig im Rathaus, wo er ihnen aus seinem großen Wiener Sagenschatz vorlas. Anschließend gab es für die jungen Besucher:innen noch eine kleine gemeinsame Jause. Altbürgermeister Michael Häupl las in der Volksschule Brüßlgasse im 16. Bezirk gemeinsam mit Fußballern des FK Austria Wien sowie Tino Schlench vom Literaturpalast und Dompfarrer Toni Faber in der Volksschule Judengasse vor.
Im Wiener Prater las der Wiesn-Kaiser Johann I. für Kindergartenkinder vor und in der Erlebniswelt des Wiener Flughafens brachte der Autor Christoph Mauz die Kinder mit einer Flughafenrundfahrt erst zum Staunen und dann mit seinem Werk „Geisterbahn voll abgefahren“ zum Lachen. In den Wiener Kaffeehäusern fanden Lesungen mit Schriftsteller Thomas Sautner (Café Museum), Schriftsteller Gerhard Loibelsberger (Café Feinklein), Lyrikerin Sirka Elspaß (Café Strozzi), Journalist und Autor Robert Sommer (Café Weidinger), Schauspielerin und Regisseurin Michaela Ehrenstein (Café Weimar), Schauspieler Robert Ritter(Café Alt Wien), Schauspielerin Edith Leyrer (Café Frauenhuber), Schauspieler Martin Schwanda (Hollerei), Schriftstellerin Simone Hirth (Café Kosmos) und Autor Max Gruber (Café IIN) statt.
Das diesjährige Vorlesebuch wartet mit viel Tiefgang auf. Mit 25 Geschichten und Aufsätzen von renommierten Autor:innen und heimischen Jung-Autor:innen sowie Schüler:innen spricht die jüngste Ausgabe des Vorlesebuchs 2024 jedes Alter an. „Das Vorlesebuch wurde bewusst so kuratiert, dass es spannende Geschichten für Kinder, kurzweilige Aufsätze von und für Jugendliche sowie inspirierende Erzählungen für Erwachsene enthält. Alle Altersgruppen sollen auf ihre Kosten kommen und die Freude am Lesen entdecken“, sagt Werner Brunner.
Als sich der Krieg in Jugoslawien ausbreitet, flieht die Familie der Erzählerin nach Österreich – zumal ihre Identität innerhalb der Volksgruppen nicht so eindeutig ist. Die drei landen ausgerechnet in Wiener Neustadt, weil es dort – Verwandten zufolge – eine Stelle als Haushaltshilfe geben soll. Die Erzählerin ist da noch ein Kind und wir erleben so die Sozialisation eines „Ausländerkindes“ in Österreich. Wobei sich die Kleine aus Rijeka bald als Musterschülerin entpuppt, die sogar in Deutsch Bestnoten erzielte. Ewas, das die Lehrerin nur schwer akzeptieren konnte, denn „Ein Ausländerkind bekommt kein Sehr Gut in Deutsch“.
Auch das Erlangen der Staatsbürgerschaft war schon damals schwierig und nur durch einige Tricks möglich. Dabei war die Mutter ausgebildete Apothekerin. Nur durch zusätzliche Kurse konnte sie schließlich in ihrem Job arbeiten und bekam eine Stelle in einer Apotheke. Später arbeitete sie in einem großen Pharmaunternehmen. Papa hat – obschon ebenfalls Akademiker – hingegen grobe Schwierigkeiten – nicht nur mit der Sprache. Vom Schiffsbauingenieur wird er zum Hausmann in der Familie. Erst findet das die Erzählerin super, weil Papa immer Zeit für sie hat, doch später nervt sie ihr Vater immer mehr. Zur großen Tragödie ihrer Adoleszenz wird ein Schwimmwettbewerb. Die Erzählerin war zu einer Spitzenschwimmerin herangereift. Bei einem Fun-Wettbewerb sollte sie mit ihrem Vater antreten, doch der ist – trotz guter Fitness – mental unfähig, sich wirklich anzustrengen. Daraufhin ignoriert das Kind ihren Vater, der für die Sozialisation in der Fremde so gar nicht gerüstet scheint.
„Ein schönes Ausländerkind“ ist ein gut lesbarer Roman über die Wünsche, Ängste und Sehnsüchte einer Heranwachsenden fern der Heimat. Der Prolog passt allerdings nur bedingt. Da wird nämlich beschrieben, wie die Erzählerin nach dem Jus-Studium in einem Amt arbeitet, wo sie anscheinend nichts zu tun hat und sich schrecklich langweilt. Als das endlich auffällt, wird sie einvernehmlich gekündigt. Aber das ist ihr egal, denn sie fühlt sich längst „innerlich tot“. Die nachfolgende Beschreibung ihrer Sozialisation – eben das gesamte Buch – liest sich nicht so hart, dass man diese innere Leere verstehen kann.
Toxische Pommes ist natürlich ein Pseudonym. Irina – so der Verlag – arbeitet tatsächlich als Juristin in Wien und wurde in der Pandemie durch witzige Videos auf TikTok und Instagram bekannt. Inzwischen ist sie auch mit ihrem Kabarettprogramm „Ketchup, Mayo & Ajva – Die sieben Sünden des Ausländers“ erfolgreich.
Am 11. April wird das Buch im Wien Museum präsentiert – Anmeldung unter wienmuseum.at/event
Das Hörbuch wurde vor vielen Jahren als neues Buchmedium ziemlich gehypt, bis es auf die heutigen etwa 1,2 Prozent des (deutschen) Buchhandels gesunken ist. Dieser bescheidene Anteil hat sicher mehrere Gründe. Zwar kann man heute mit ein paar Klicks Hörbücher/Audiobooks kaufen und herunterladen, der Preis ist aber meist nicht viel geringer als das gedruckte Buch, denn die Verlage müssen natürlich auch die Kosten für die Hörbuchproduktion kalkulieren. Das größte Hindernis dürfte allerdings sein, dass viele Leser es einfach schätzen, ein Buch in der Hand zu halten – der Anteil der E-Books am Umsatz des Buchmarkes stagniert ja ebenfalls seit Jahren und liegt bei etwa 6 Prozent.
Ich selbst schätze Hörbücher vor allem als zusätzliche Möglichkeit, ein Buch zu lesen, denn ich höre sie dann, wenn ich sonst nicht lesen könnte – vornehmlich beim Laufen und in der U-Bahn bei längeren Strecken, weil man da einen Sitzplatz bräuchte und das Licht nicht optimal fürs Lesen ist. Nicht alle Bücher sind gute Hörbücher. Manche sind zu kompliziert, die Handlung zu verworren oder der Stil zu elaboriert und manche sind einfach schlecht gelesen.
Michael Köhlmeier ist freilich ein echter Glücksfall für das Hörbuch. Seiner Stimme würde man wahrscheinlich auch dann gerne lauschen, wenn er das Telefonbuch oder die Nutzungsbedingungen für die iCloud läse. Und das ist – zumal unter der Autorenschaft – selten, denn bei öffentlichen Lesungen kommen Besucher ja vor allem, um dem Autor, der Autorin zu begegnen und nicht weil sie sich eine spannende Darbietung erwarten.
In seinem neuesten Roman geht es um eine 100jährige Architektin, die dem Erzähler, einen Autor, der sich Michael nennt, eine Episode aus ihrer Kindheit anvertrauen will, die sie noch niemand erzählt hat. Denn dieser Autor ist dafür bekannt, dass er gerne flunkert und so kann sie sicher sein, dass man ihm nicht glauben wird, wenn er die Wahrheit schreibt. Die in St. Petersburg geborene Architektin wurde als 14-Jährige mit ihren Eltern auf ein Schiff verfrachtet, denn Intellektuelle waren in revolutionären Zeiten in der Sowjetunion sehr verdächtig. Das Trotzki & Co. solche Schiffe tatsächlich losschickten ist übrigens historisch belegt. Auf diesem besagten riesigen Dampfer sind dann aber nur eine Handvoll Vertriebener, die auch von der Mannschaft völlig abgeschirmt werden. Da wird im Geheimen der alte, schwerkranke Lenin an Bord gebracht. Verbotenerweise besucht das Mädchen den schon bewegungsunfähigen Diktator daraufhin mehrere Nächte lang auf dem Deck und unterhält sich mit ihm. Bis sie dann mitansehen muss wie ein Mann – natürlich Stalin – den Hilflosen im Rollstuhl über die Reling schiebt…
Ein schönes Beispiel für die sogenannte Alternative History, denn Köhlmeier kann sehr glaubhaft das völlig Absurde der kommunistischen Herrschaft darstellen. Andere Beispiele für diesen erzählerischen Topos wären etwa die Filme von Quentin Tarantino – wie zuletzt „Once Upon a Time in Hollywood“ über den Anschlag der Manson-Family auf die Villa von Roman Polanski.
Michael Köhlmeier ist ein sehr produktiver Autor mit sehr vielen Fans, einigen Zeitgenossen missfällt naturgemäß auch manches. „Das Philosophenschiff“ ist aber zweifelsohne einer seiner gelungensten Texte.
https://wienlive.at/wp-content/uploads/2024/03/SchiffBB.png11001800Helmut Schneiderhttps://wienlive.at/wp-content/uploads/2021/03/Bildschirmfoto-2020-04-15-um-14.31.27-1-300x138.pngHelmut Schneider2024-03-20 09:48:042024-03-20 09:48:05Über Hörbücher und Michael Köhlmeiers neuen Roman „Das Philosophenschiff“
August wächst am Land auf und muss eine Jugend erleben, die von Gewalt und Fürsorge sozusagen in die Mangel genommen scheint. Erst ist der bald arbeitslose Vater das Problem, der versucht durch Käufe und Verkäufe auf Flohmärkten Geld zu verdienen und das Haus in eine Rumpelkammer verwandelt. Besonders wenn er trinkt, schlägt er meist grundlos August und spart seine Liebe nur für seine Hunde auf. Augusts Mutter lebt in ihrer eigenen Welt und kümmert sich kaum um den Haushalt, nachdem sie nicht mehr als Krankenpflegerin arbeitet. Als der Vater plötzlich verschwindet, kann August endlich einen unbeschwerten Sommer mit den Nachbarskindern erleben. Doch die Freude hält nur kurz – August bekommt eine Sommergrippe und liegt im Bett. Seine Mutter blüht plötzlich auf, denn endlich kann sie ihren Sohn umsorgen und in der Dorfgemeinschaft als Mutter punkten.
Als August wieder zu gesunden ansetzt, hilft sie mit Tabletten nach, um ihn krank zu halten. Sie schafft es sogar lange ihren neuen Partner – ausgerechnet den dicken Gemeindearzt – zu täuschen. Zwischendurch füttert sie ihm Zündholzköpfe als Stärkungsmittel. Nur im Urlaub, in Italien, bekommt August wieder Kraft, denn der Mutter sind die Tabletten abhandengekommen. Dort sieht er auch – ganz verklärt – Zitronen an den Bäumen wachsen. Die endgültige Befreiung gelingt August erst im Unglück. Vom Blitz getroffen kommt er ins Krankenhaus und sein neuer Stiefvater ermöglicht ihm danach einen Neustart in der Stadt. Als Kellner verliebt er sich in eine Künstlerin, was nur so lange gutgeht, bis diese seine völlig gestörte Psyche anhand seiner krankhaften Eifersucht erkennt.
In „Zitronen“ schildert die in Graz geborene Schriftstellerin Valerie Fritsch wie ein Mensch durch eine schwer belastete Kindheit selbst zum Täter wird. Das Phänomen Angehörige künstlich krank zu halten ist inzwischen auch medizinisch diagnostiziert und wird Münchhausen-Stellvertretersyndrom genannt. Über Fälle von Gewalt an Kindern oder Frauen liest man sowieso nur allzu oft in den Zeitungen. Fritsch hat auch unter Tätern recherchiert. Im Buch lauscht August – bevor er selbst zum Täter wird – einem Mörder, der von der Teilnahmslosigkeit und Schulduneinsichtigkeit seiner „Kollegen“ erzählt. Das Ende des Romans sei aber hier nicht verraten.
Valerie Fritsch wird ihr Buch auch bei „Rund um die Burg“ (10./11. Mai) vorstellen.
https://wienlive.at/wp-content/uploads/2024/03/ZitronenBB.png11001800Helmut Schneiderhttps://wienlive.at/wp-content/uploads/2021/03/Bildschirmfoto-2020-04-15-um-14.31.27-1-300x138.pngHelmut Schneider2024-03-15 07:00:002024-03-15 08:47:24Wie Gewalt entsteht – Valerie Fritschs Roman „Zitronen“ wird auch bei „Rund um die Burg“ gelesen
Roberto Saviano, geboren 1979 in Neapel, ist der zurzeit berühmteste Schriftsteller Italiens. Seine Berühmtheit halt allerdings einen Preis, denn seit Erscheinen seines Mafia-Romans „Gomorrha“ 2006 steht er unter Polizeischutz und muss andauernd seine Wohnung wechseln, denn in diesem Weltbestseller nannte er die Namen der Mitglieder der Camorra und wurde daraufhin mehrfach bedroht. An das muss man denken, wenn man sich jetzt auf Netflix die 5 Staffeln „Gomorrha“ ansieht, denn in dieser Serie geht es wirklich ultrabrutal zu. Nicht nur Mitglieder der „Familien“ und ihre Soldaten werden ermordet, auch viele Unschuldige und kleine Gauner, die die Not zu Verbrechern macht, kommen blutigst ums Leben. „Italien ist ein gefährliches Land – mit einer gewaltvollen Politik, einer unvollendeten Demokratie und einem feigen Vasallen-Journalismus“, erklärte Saviano in einem Interview.
Die TV-Serie, die meist an den Originalschauplätzen in den heruntergekommenen Sozialsiedlungen Neapels und nach Salvianos Roman gedreht wurde, zeigt uns das Leben in unserem Nachbarland abseits des Dolce-Vita-Klischees. Die Polizei wird nicht ernst genommen und bei Bedarf geschmiert, die Politik ist oft selbst in Korruption verstrickt. Es geht immer nur darum, dass die Richtigen am Gewinn profitieren. Schwer verständlich für Nicht-Italiener ist die enge Beziehung der Mafia-Bosse zum katholischen Glauben und zur Kirche. Nach dem Mord wird gebetet, Madonna-Statuen sind selbst noch im kleinsten Versteck. Und ihren bisweilen gar nicht so großen Reichtum genießen die Drogenhändler in völlig verkitschten kleinen Wohnungen mit Prunk nach dem ästhetischen Geschmack von Donald Trump. Die von Gier und Eitelkeiten gesteuerten Konflikte und Schachzüge würde man gerne der blühenden Phantasie der Drehbuchschreiber zuschreiben, wenn man nicht wüsste, dass sie vom penibel recherchierenden Roberto Saviano stammen. In einem Interview erklärte er einmal das Denken in Italien mit dem berühmten Pferde-Wettkampf in Siena. Ziel des Palio wäre nicht zu gewinnen, sondern dafür zu sorgen, dass auf keinen Fall der Gegner und Nachbar Erster wird.
Auch wenn die Dialoge nicht immer wirklich glaubhaft klingen, die Kameraführung ist sehrgelungen. Und die Lichttechniker schaffen es, eine ganz eigene Farbigkeit zu kreieren, die an alte Farbfilme (als es noch Agfachrome gab) erinnert. Ein Sommertag in Neapel scheint in Licht zu ertrinken.
In seinem neuesten Roman „Falcone“ setzt Saviano nun einem noch berühmteren Mafia-Jäger ein Denkmal. Der hartnäckige Untersuchungsrichter Giovanni Falcone starb bekanntlich 1992 bei einem Sprengstoff-Attentat der Mafia in Palermo. In der Vorbemerkung heißt es da (angesichts der haarsträubenden Geschichten, die er dann erzählt): „Alle auftretenden Personen hat es wirklich gegeben, jedes Ereignis ist tatsächlich geschehen. All das ist gewesen.“
https://wienlive.at/wp-content/uploads/2024/03/Gomorrah-removed-from-netflix.jpg506900Helmut Schneiderhttps://wienlive.at/wp-content/uploads/2021/03/Bildschirmfoto-2020-04-15-um-14.31.27-1-300x138.pngHelmut Schneider2024-03-14 07:00:002024-03-13 09:08:22Roberto Saviano und die TV-Serie „Gomorrha“
Daniel Kehlmann wird tatsächlich von Roman zu Roman immer besser. Sein Buch über den österreichischen Filmregiegiganten G. W. Papst (geboren 1885 in Böhmen, gestorben 1967 in Wien) zeichnet sich durch bestes schreiberisches Handwerk, Fokussierung auf ein Thema und sogar durch Humor aus. Kehlmann konzentriert sich nämlich auf einen – allerdings sehr wichtigen – Aspekt aus dem Leben von Papst. Warum kehrte er aus Hollywood nach Deutschland zurück als dort bereits Hitler seinen Krieg vorbereitete und wie überlebte er unter der Propagandamaschinerie von Joseph Goebbels im Kulturbetrieb? Und vor allem: Würde Papst dadurch moralisch schuldig?
Gleich zu Beginn steht eine der witzigsten Szenen des Buches, die aber bereits auf das Kernthema hinweist. Ein bereits fast dementer Regieassistent von Papst – Franz Wilzek – hat einen Auftritt bei Heinz Conrads „Was gibt es Neues“ und streitet mit dem stetig mehr angepissten Moderator über einen Film, der kurz vor Kriegsende von Papst gedreht wurde. Dieser Film – „Der Fall Molander“ – nach einem Roman des NS-Dichters Alfred Karrasch – gilt als verschollen und wurde auch nie geschnitten. Allerdings sollen dabei – wie im Roman breit geschildert – KZ-Häftlinge als Statisten eingesetzt worden sein.
In Hollywood hatte man Papst, der sich mit „Die freudlose Gasse“ in die erste Riege der Stummfilmregisseure katapultiert hatte, 1934 genötigt, ein schlechtes Drehbuch zu verfilmen – der Streifen „A Modern Hero“ war dann dementsprechend erfolglos. Er versucht vergebens Greta Garbo – seine Entdeckung – für ein Filmprojekt zu begeistern und kehrt zunächst nach Frankreich zurück. Um seine mutmaßlich kranke Mutter zu sehen, kommt er wieder nach Österreich, das es damals allerdings schon gar nicht mehr gab. In seinem Schloss hat der Hausmeister, ein NS-Parteigänger, bereits die Macht ergriffen. Plastisch beschreibt Kehlmann – permanent die Erzählperspektive wechselnd – auch die Audienz bei Goebbels oder die Kameraden von Jakob, den Sohn des Regisseurs. Der Roman über den Filmregisseur ist dabei durchaus sehr cineastisch geworden. Das mag manche Exegeten der reinen Literaturlehre stören, die Leser werden ihm allerdings danken.
https://wienlive.at/wp-content/uploads/2024/03/LichtspielBB.png11001800Helmut Schneiderhttps://wienlive.at/wp-content/uploads/2021/03/Bildschirmfoto-2020-04-15-um-14.31.27-1-300x138.pngHelmut Schneider2024-03-08 08:40:232024-03-08 09:19:15Kunstfreiheit unter Goebbels – Daniel Kehlmanns Roman „Lichtspiel“ über G. W. Papst
Die 11-jährige Erzählerin J. versteckt sich unter einem Lastwagen, in dem gerade der gesamten Hausrat der Familie aufgeladen wird, denn ein Umzug steht an. In ein viel größeres Haus, das gebraucht wird, weil die Mutter unzählige Möbelstücke aus dem Dorotheum im nahen Villach aufgekauft hat – der neue Reichtum der Familie, der vom schwunghaften Verkauf von Lastwägen in die eben frei gewordenen Länder aus dem Osten herrührt, verlangt nach einer repräsentativen Bleibe.
J. will gar nicht weg, weil sie sich von ihrer Freundin Luca, ein aus Bosnien stammendes gleichaltriges Mädchen, trennen muss, mit der sie bereits erste Küsse ausgetauscht hat. Wir sind in den 90ern in Kärnten, der Vater schimpft ununterbrochen, weil seine beiden Söhne lange und die Tochter kurze Haare haben. Eine neue Zeit ist im Anmarsch, der neue Bürgermeister – ein guter Freund des Vaters – redet von Hausverstand und umgibt sich mit allerlei Kellernazis, die wieder aus den Löchern kriechen.
Die in Kärnten aufgewachsene Autorin Julia Jost, Jahrgang 1982, hat den Aufstieg Jörg Haiders miterlebt. Sie studierte in Wien und Berlin und hat bisher vor allem an diversen Theatern gearbeitet. Im April wird am Volkstheater ihr Shakespeare-Stück ROM uraufgeführt.
Für ihren ersten Roman hat sie augenscheinlich ihre eigene Jugend verarbeitet. Erstaunlich ist schon, wie viel sie in den 230 Seiten unterbringen kann, denn schließlich erzählt sie sozusagen ganz naiv mit den Augen eines Kindes. Ihre Sprache ist freilich keinesfalls einfach. Zum einen verwendet sie Dialekt und zum anderen findet sie oft ungewöhnliche Sprachbilder.
Am Beginn steht ein tödlicher Unfall. Ein Kind wird von den Spielkameraden genötigt, in einem Schacht das verlorene Messer – ein sorgsam gehüteter alter SS-Dolch mit der Aufschrift „Meine Ehre heißt Treue“ – zu holen und ertrinkt dabei. Ein Trauma für die Kinder und die gesamte Dorfgemeinschaft. Doch Jost wollte keinen sogenannten Anti-Heimatroman schreiben, ihr schriftstellerisches Interesse gilt immer dem erzählenden Kind. Wie war das damals, in Kärnten auf dem Land aufzuwachsen? Ein Roman, der trotzdem so nebenbei das politische Dilemma in unserer Republik darstellt.
Julia Jost wird bei Rund um die Burg – heuer am 10. und 11. Mai – lesen. Infos ab Mitte März unter www.rundumdieburg.at
https://wienlive.at/wp-content/uploads/2024/02/KarawankenBB.png11001800Helmut Schneiderhttps://wienlive.at/wp-content/uploads/2021/03/Bildschirmfoto-2020-04-15-um-14.31.27-1-300x138.pngHelmut Schneider2024-02-29 12:45:192024-02-29 12:45:22Aufwachsen in Kärnten – Julia Josts Debütroman „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
Die Zahlen sind so ernüchternd wie in der politischen Debatte der USA wirkungslos: Die USA haben mehr Menschen im eigenen Land durch Schusswaffen verloren als sie Tote in allen ihren Kriegen – vom Unabhängigkeitskrieg angefangen – zu beklagen haben. Insgesamt kommen aktuell jedes Jahr fast 40.000 Menschen in den USA durch Schussverletzungen ums Leben, etwa genauso viele wie bei Autounfällen. Der bekannte Schriftsteller Paul Auster hat jetzt einen Essay zu diesem Thema veröffentlicht, wohl auch um sich selbst zu erklären, wie ein derartiger Wahnsinn möglich ist. Dabei beginnt Auster sehr persönlich. Er erzählt, wie das Abfeuern einer Waffe für ihn als Teenager nichts Besonderes war und er sogar – ohne Übung – ein Meister im Tontaubenschießen wurde. Freilich hatte er dann andere Interessen, Waffen gehörten für ihn nicht zum Alltag. Seine Familie hasste zudem Waffen. Erst sehr spät erfährt er den Grund dafür, nämlich dass in einer sehr verdrängten Familiengeschichte ein Revolver eine wichtige Rolle spielte. Seine Großmutter hat nämlich seinen Großvater im Affekt erschossen – damals, gleich nach dem 1. Weltkrieg, fand sie einen Richter, der sie aufgrund temporärer Unzurechnungsfähigkeit freisprach.
Auster gibt auch zu, dass er vielleicht anders denken würde, wenn er im Süden der USA aufgewachsen wäre, wo Waffenbesitz einfach zum Alltag gehört. Er erklärt, wie die USA aus einer Miliznation entstanden ist, wo die Bürger ihre Waffen stets griffbereit haben mussten. Bis zur Bürgerrechtsbewegung, als viele weiße Amerikaner sich vor „Black Power“ fürchteten, war die inzwischen berüchtigte Waffenlobbyvereinigung NRA ein kleiner Verein für Sportschützen. Die aller Vernunft spottende Bewaffnung der US-Staatsbürger – es gibt längst mehr Schusswaffen als Einwohner – ist also gar noch nicht so alt. Frustrierend Austers Einschätzung der Zukunft: Selbst wenn es einmal eine Regierung mit großer Mehrheit geben würde, die europäische Gesetze und Prämien für jene, die ihre Waffen abgeben, durchsetzen könnte – eine solche ist aber sowieso nicht in Sicht – würde alles ähnlich sinnlos sein wie das Verbot von Alkohol während der Prohibition, zumal man heute mittels 3D-Drucker einfach selbst Waffen herstellen kann.
Interessant ist Austers Schilderung des einzigen Falls, in dem ein Attentäter durch einen beherzten Mann mit einer Waffe gestoppt wurde – denn die NRA und ihre Anhänger behaupten ja immer, dass man Waffen brauche, um Amokläufern das Handwerk zu legen. Der damalige „Held“ war schwer geschockt, weil er auf Menschen schießen musste, der Attentäter flüchtete zunächst auch noch im Auto, ehe er sich schwer verwundet das Leben nahm. Und erhellend ist auch Austers Vergleich von Schusswaffen mit dem zweiten Heiligtum der USA, dem Auto. Denn beim Individualverkehr ist es durch strenge Gesetze und Auflagen nach und nach gelungen, die Todeszahlen drastisch zu senken. Sicherheitsgurte wurden etwa in den USA lange vor Europa Pflicht.
Ein wichtiges Buch – auch wenn man sich als Europäer natürlich nicht wirklich angesprochen fühlt und Auster keine Lösung dieses Problems für die USA zeigen kann.
Gespenstig sind die im Buch abgebildeten Fotos von Austers Schwiegersohn, des US-Fotografen Spencer Ostrander, der Schauplätze bekannter Waffengewalt-Massaker in den USA in Schwarz-Weiß fotografiert hat – menschenleere Supermärkte, Schulen, religiöse Einrichtungen, die nach den Tragödien geschlossen wurden.
Paul Auster: Bloodbath Nation Mit Fotos von Spencer Ostrander Aus dem Englischen von Werner Schmitz Rowohlt 180 Seiten € 27,50
https://wienlive.at/wp-content/uploads/2024/02/BloodbathBB.png11001800Helmut Schneiderhttps://wienlive.at/wp-content/uploads/2021/03/Bildschirmfoto-2020-04-15-um-14.31.27-1-300x138.pngHelmut Schneider2024-02-23 10:11:042024-02-23 10:11:08Der Waffenbesitz gehört zur DNA der USA – Paul Austers Essay „Bloodbath Nation“
Mit seinem 2021 erschienenen Roman „Salonfähig“ über die Slim-fit-Polititikerkaste erregte der 1994 geborene Wiener Autor und Slam-Poet Elias Hirschl erstmals größere Aufmerksamkeit. Sein neuer Roman „Content“ spielt in einer nahen Zukunft in einer ungenannten Stadt, die auf stillgelegten Kohlefeldern gebaut wurde. Die Protagonistin will einen Roman schreiben, braucht aber den Job in einer Content-Fabrik, wo Beiträge für soziale Plattformen auf dem laufenden Band hergestellt werden. Die 31-jährige Newcomerin muss Listen erfinden nach dem Motto: Die schlechtesten Promi-Trennungen aller Zeiten oder die Top 10 besten Tipps für ein glücklicheres Leben, immer mit dem Hinweis versehen (Die Nummer 7 wird dich zum Weinen/Lachen/Schmunzeln etcetera bringen). Andere schreddern daneben Handys mit Stabmixer oder Hydraulikpressen, während sie zwischendurch weiter davon träumen, in amerikanischen Late-Night-Shows aufzutreten.
Das mit dem Roman wird immer schwieriger, denn bald kann sich die Erzählerin auf nichts mehr konzentrieren, was mehr als 30 Sekunden Aufmerksamkeit erfordert. Zwischendurch passieren Unfälle, die an Monty-Pyton-Sketche erinnern. Eine Mitarbeiterin greift absichtlich in die Hydraulikpresse, weil sie die Taubheit rundherum nicht mehr erträgt, und ein Autor stürzt in ein plötzlich sich bildendes Riesenloch. Ein Lover – Sex ist allerdings so spannend geworden wie ein Klogang – gründet derweilen ein Start-up nach dem anderen. Nach einer privaten Feuerwehr, die kalte Getränke an Brandopfer und Schaulustige verkauft, gründet er ein Unternehmen, das Wasser abpumpt – da versinken allerdings bereits ganze Häuser in der vom Bergwerk ausgelösten Überschwemmung. Der Erzählerin entgleitet nach und nach ihr Leben. Selbst ihr Social-Media-ich wird gekapert – sie muss zusehen, wie sie heiratet und ihre Eltern mit ihr glücklich werden. Irgendwann hat die Heldin dann eine KI so konfiguriert, dass ihr das Listenschreiben abgenommen wird und sie gar nicht mehr ins Büro kommen braucht.
Elias Hirschl schafft in „Content“ eine Welt, die von der unseren vielleicht nur noch um einen Dreh entfernt ist. Das ist satirisch witzig, aber auch gespenstisch. Denn die Millionen Videos auf den Plattformen müssen ja tatsächlich irgendwo hergestellt werden. Und wer mit der U-Bahn fährt, sieht schon heute kaum mehr Menschen, die nicht auf ihr Smartphone starren. Die Wirklichkeit ringsum ist längst out.